Zweite Generation:

Patrice Flesch, geb.am 23. Juni 1951 in New York, USA
Fotografin
verheiratet mit Peter Rogers, geb. am 21. Dezember 1956
wohnt heute in Boston, USA
Peter starb im Dez. 2016 nach langer schwerer Krankheit

Eltern:
Peter Karl Jochen Flesch,
geb. am 11. November 1918 in Frankfurt
gest. am 13. Mai 2012
verlässt Deutschland 1936 und emigriert 1938 in die USA
Ethel Sulkins
geb. 1915 – gest. 2003

Großeltern Flesch:
Herbert Bertram Flesch
geb. am 31. August 1890 in Frankfurt
gest. am 11. Oktober 1979 in Barcelona
geschäftsführender Gesellschafter/
Vorstandsvorsitzender der Flesch-Werke AG
in Frankfurt
Hildegard Flesch, geb. Dreyfuss,
in zweiter Ehe: Hilde Fränkel,
geb. 1897 in Frankfurt
gest. 1950 in New York, USA

Geschwister von Peter Flesch:
Inge, geb. am 5.Oktober 1922 in Frankfurt
gest. 2015 in den USA
Gerhard Paul, geb.am 6. Februar 1920 in Frankfurt,
gest. 16. Oktober 2016 in Barranquilla, Kolumbien

Emigration:
Großmutter Hilde Fränkel (gesch. Flesch) und
Vater Peter emigrieren in die USA
Großvater Herbert und die Geschwister des Vaters Peter,
Inge und Gerhard, emigrieren nach Kolumbien;
Großvater Herbert reist später nach Spanien aus,
Inge in die USA; Gerhard bleibt in Kolumbien

Unternehmen der Familie
Carl Flesch jr. Gerbstoffwerke, Frankfurt am Main
Flesch-Werke AG (seit 1923), Frankfurt und Oberlahnstein
arisiert 1937; ehem. Werk Oberlahnstein ab 1939
im Besitz von Zschimmer und Schwarz, Lahnstein

Letzte Wohnadresse in Frankfurt
Beethovenstr. 36 (Herbert, Januar 1935)
vorher lt. Patrice: Kettenhofweg und Mendelssohnstraße


Quellen:
• Hessisches Staatsarchiv Wiesbaden
• Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt (PJLF): Gespräche mit Patrice Flesch

Fotos:
Familienbesitz Patrice Flesch; Till Lieberz-Groß

Recherche und Text:
Till Lieberz-Groß

Familie Flesch

„I felt I was Jewish“

Von Till Lieberz-Groß

Patrice Flesch, Teilnehmerin des Besuchsprogramms 2016, wurde 1951 in New York/ USA geboren. Sie ist Mitglied der bekannten Frankfurter Unternehmerfamilie Flesch, nach der ein entsprechendes Areal im Gallus „An den Fleschwerken“ benannt werden soll.

Für Patrice war die Reise nach Frankfurt eine Reise in ihre lang verschwiegene Familiengeschichte. Patrice kam in Begleitung ihres Mannes Pete Rogers nach Frankfurt.

Identitätssuche

Patrice ist die Tochter von Peter Karl Jochen Flesch, geb. am 11. November 1918 in Frankfurt und Enkelin von Herbert Bertram Flesch, geb. am 31. August 1890 in Frankfurt, dem letzten Besitzer und CEO der Fleschwerke vor deren Arisierung.

Patrice ist bereits um die 20 Jahre alt, als sich ihre Vermutung, jüdischer Abstammung zu sein, erhärtet; ihr Vater verweigert sich über Jahre ihren Fragen zu seiner Familiengeschichte.

Peter Karl Jochen Flesch, der Vater, emigriert 1938 als Teenager über Amsterdam/ Rotterdam in die USA. Er reist aber bereits 1936 aus Deutschland aus und lebt bis zur Übersiedlung in die USA in Frankreich, Spanien und Belgien. Er verlässt Deutschland erzwungenermaßen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, da er seine Schulausbildung am Wöhler-Gymnasium abbrechen muss. Erst in den USA wird er später eine Ingenieursausbildung absolvieren.

Peter Flesch bricht radikal mit seiner Vergangenheit und erfindet sich neu. Er sucht bewusst einen nicht-jüdischen Neuanfang: Er heiratet eine protestantische New Yorkerin, Ethel Sulkins, Jahrgang 1915, und spricht selten über seine Jugendzeit in Deutschland; seine jüdische Herkunft erwähnt er nie. Als Patrices Mutter 2003 stirbt, verhindert er sogar, dass seine Herkunftsfamilie zur Beerdigung erscheint. Und er versucht alles, um seine Tochter Patrice von einer Kontaktaufnahme zu ihrer jüdischen Familie abzuhalten. Dieses Verhalten ist der letzte Anstoß für Patrice, nach dem Tod der Mutter Kontakt zu dieser Familie zu suchen. Peter Flesch stirbt am 13. Mai 2012.

Emigration

Peters Mutter, Hilde Fränkel, geschiedene Flesch, wird 1897 als Hilde Dreyfuss in Frankfurt geboren. Sie emigriert wie ihr Sohn Peter in die USA. Sie befreundet sich dort mit Hannah Arendt und Paul Tillich. Hilde Fränkel stirbt 1950 in New York.

Ihre Tochter Inge emigriert 1938, ein Jahr nach ihrem Vater Herbert Flesch, dem Großvater von Patrice, nach Kolumbien. Inge hat nach der Scheidung ihrer Eltern zunächst bei ihrer Mutter gelebt, wird dann aber wegen der zunehmenden Gefahr durch die Nazis zum Vater nach Kolumbien geschickt. Sie lebt dort einige Jahre mit dem Vater, seiner dritten Frau und ihrem Bruder Gerhard, reist aber schließlich zur todkranken Mutter nach New York und bleibt auch nach deren Tod in den USA. Sie heiratet einen Holocaust-Überlebenden und bekommt zwei Kinder. Sie stirbt 2015.

Patrice trifft Inge erst, als sie selbst fast 50 Jahre und Inge um die 80 Jahre alt ist. „She became my best friend. It was almost as if we were one person. I was devastated when she died about 1 1/2 years ago. I still am. I also met her sons (my cousins) at that time. I remain in touch with them“.

Gerhard Flesch, geboren am 6. Februar 1920 in Frankfurt, lebte bis zu seinem Tod 2016 in Kolumbien. Er war verheiratet mit einer Ecuadorianerin, Dona Rosita Santoro, mit der er drei Söhne hatte – heute erfolgreiche Geschäftsleute.

Die Flesch-Werke

Der Chemiker Herbert Bertram Flesch übernimmt die Flesch-Werke von seinem Vater Carl Flesch jun., geb. am 26. Juni 1860 in Frankfurt. Das Stammwerk waren die „Carl Flesch jr. Gerbstoffwerke“ in Frankfurt; seit 1923 hatte die „Flesch-Werke AG“ zwei Firmenstandorte: in Frankfurt am Main und in Oberlahnstein.

Herbert Flesch wird 1933 aufgrund einer Anzeige wegen angeblicher Devisenvergehen in Gestapo-Haft genommen. Die Inhaftierung erfolgt mit der Absicht, seinen Vater unter Druck zu setzen. Der Vater und Aufsichtsratsvorsitzende der Flesch-Werk AG, Carl Flesch jun., soll seinen Sohn Herbert als Vorstandsvorsitzenden entlassen. Ziel ist der Zugriff auf das Unternehmen mit der Absicht der Arisierung. Diese erfolgt tatsächlich im Jahre 1937 durch Carl Goertz (Dresdner Bank) und Otto Eberhardt (NS-Funktionär). Das Werk in Oberlahnstein wird ab 1939 von „Zschimmer und Schwarz“ geführt. Carl Flesch jr. stirbt 1935.

Vgl. Frankfurter Rundschau vom 7. Juni 2016, S. R8-R9: Arisierung nach Drehbuch. 1937 wurde die Flesch-Werke AG, ein Frankfurter Chemieunternehmen in jüdischem Besitz, „arisiert“. Nachfahrin Patrice Flesch folgt den Spuren ihrer Familie und eines nie gesühnten Verbrechens.

FR Arisierung nach Drehbuch 7.6.2016PDF
1 MB

In einem Bescheid des Regierungspräsidiums Wiesbaden von 1967 wird an die politische und gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Flesch-Werke und deren Chef Herbert Flesch erinnert: Es „…ist als erwiesen anzusehen, dass der Antragsteller schon mit der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 mehr oder weniger direkten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt war, weil er als geschäftsführender Gesellschafter der mit anderen bedeutenden Firmen zu einem Konzern zusammengeschlossenen „Fa. Farb- und Gerbstoffwerke Carl Flesch jun. OHG“ eine wirtschaftliche Stellung innehatte, die die nationalsozialistischen Machthaber Personen jüdischer Abstammung nicht zubilligen und deren Einfluss auf die Gesamtwirtschaft sie allmählich ausschalten wollten.“

Dafür war jedes Mittel recht: Herbert Flesch, Geschäftsführer der Flesch-Werke AG, wird mit kurzen Unterbrechungen wegen angeblicher Devisenvergehen und „wirtschaftlichen Landesverrats“ fast ein Jahr lang (10.09.1933 bis 27.07.1934) in sog. „Schutzhaft“ gehalten. Man wirft ihm vor, über Konten seiner Frau und seiner Kinder in Brüssel verfügt, die Gründung einer französischen Gesellschaft vorbereitet und zudem Maschinen aus der Produktionsstätte Oberlahnstein ins Ausland transferiert zu haben.

Obwohl diese Vorwürfe ohne Evidenz sind, werden sie von interessierten Kreisen gezielt genutzt, um mittels Kreditkündigung eines Bankenkonsortiums unter Führung der Dresdner Bank sowie deren Tochterunternehmen, dem Bankhaus Hardy, Berlin, die Firma zu enteignen. Herbert Flesch verliert sein Vorstandsmandat, sein gesamtes Vermögen und seine deutsche Staatsbürgerschaft.

Nach der Entlassung lebt Herbert Flesch zunächst bei seinen Schwiegereltern in Frankfurt am Main, danach bis zur Scheidung der Ehe bei seiner zweiten Frau in Paris (die schon – finanziell unterstützt von Verwandten – seit dem 01.04.1933 in Paris lebte), anschließend bei einem Neffen und bei weiterer Verwandtschaft, wie seiner Schwester und seinem Schwager, Minnie und Max Rothschild, in Paris. Minnie und Max Rothschild werden später in Auschwitz ermordet.

Emigration nach Kolumbien

Herbert Flesch verlässt Deutschland 1935; als seine letzte Adresse in Frankfurt (bis Januar 1935) ist die Beethovenstr. 36 vermerkt. 1937 gelingt ihm die Flucht über Frankreich, Spanien und Belgien nach Kolumbien. Seine „Ausbürgerung“, verbunden mit der „Vermögensbeschlagnahmung“, ist auf den 14. April 1937 datiert.

Seine Sohn Gerhard und seine Tochter Inge folgen ihm 1938 nach Kolumbien. Herbert Flesch hatte nach der Volksschule und der Oberrealschule 1909 das Handelsabitur abgelegt; es folgte das Studium der Chemie am Senckenberg-Institut in Frankfurt. Nach der Teilnahme am Ersten Weltkrieg tritt er in das väterliche Unternehmen ein und absolviert dort noch eine technische und kaufmännische Ausbildung. Er übernimmt die Leitung der Fabrik in Oberlahnstein und wird 1923 Vorstand der neu gegründeten Flesch-Werke AG.

In Kolumbien gründet er 1938 zusammen mit deutschen Mit-Gesellschaftern eine Öl- und Lackfabrik, die aber durch die Tatsache, dass Kolumbien 1941 die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland abbricht und 1943 sogar den Krieg erklärt, wirtschaftlich nicht prosperieren kann. Wegen ihrer deutschen Inhaber steht die Firma bis 1945 unter staatlicher Aufsicht.

Herbert Flesch, Großvater von Patrice Flesch heiratet dreimal:
Hildegard, geb. Dreyfuss (in zweiter Ehe Hilde Fränkel): Die Mutter seiner Kinder Peter, Gerhard und Inge – sie ist Patrices Großmutter.

In zweiter Ehe war Herbert Flesch verheiratet mit Margot Flesch, geb. Ansbacher, und in dritter Ehe mit Hildegard Flesch, geb. Paul, mit der er bis zu seinem Tod am 11. Oktober 1979 in Barcelona lebte, nachdem er Ende der 1950er nach Spanien umgezogen war.

Späte Entschädigung

Erst 1974 wird ihm rückwirkend eine Rente zugesprochen; er erhält die Auszahlung der Rentenrückstände sowie eine monatliche Rente ab 1974 (Entscheidung des Bundesgerichtshofs 1974 ).

Die zweite Generation

Patrice Flesch, Herberts Enkelin, erfährt von alledem erst sehr viel später. Sie wird christlich erzogen, ein „All American Girl“, völlig abgeschnitten von ihrer deutsch-jüdischen Herkunft. Patrice studiert Kunst am College; sie wird professionelle Fotografin. Heute lebt sie in Boston.

Patrice heiratet einen amerikanischen Juden, Pete Rogers, Jahrgang 1956. Sie beschäftigt sich intensiv mit der jüdischen Geschichte und ihrer jüdischen Familiengeschichte.

Einmal spielt sie sogar in einem Film von Martin Scorcese mit, in dem sie eine Gefangene in einem KZ darstellt. Sie arbeitet heute ehrenamtlich als „Guide“ im „New England Holocaust Memorial“.

Patrice weiß bis heute nicht, ob ihre Mutter von den jüdischen Wurzeln des Vaters wusste. Er sprach auch kaum über seine deutsche Herkunft. Bis heute empfindet Patrice eine starke Distanz zu ihren deutschen Wurzeln, die sie so beschreibt: „It’s a fact. I have no choice“ und es bedeutet „nothing positive“ für sie.

Inzwischen hat der zuständige Ortsbeirat der von Armin H. Flesch angeregten Benennung eines geeigneten Ortes in Frankfurt zur Würdigung der Flesch-Familie zugestimmt – und gibt damit Patrice eine zweite Chance, dass die Heimatstadt ihres Großvaters und ihres Vaters doch auch noch auch ein wenig ihre Heimat werden kann … Willkommen, Patrice!