KURZBIOGRAPHIE

Name:
Croitoru-Federman, Gisele

Teilnahme am Besuchsprogramm: 2012
Teilnahme des Bruders: 2013

Geboren:
1965

Vater:
Siegbert Federmann
Geboren: 1934

Wohnung der Familie in Frankfurt:
Friesengasse, Bockenheim

Emigration:
Der Versuch der Eltern, nach England zu fliehen scheiterte. So emigrierte die Familie 1937 nach Brasilien.

Quellen:
Fragebogen von Gisele Croitoru-Federman
Mitschnitt des Gesprächs in der Ernst-Reuter-Schule 1 am 1.6.2012

Fotos:
Ernst-Reuter-Schule 1, Angelika Rieber

Texte:
Katja Walther, Sandra Vucic, Angelika Rieber


Quellen:

  • Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt (PJLF): Fragebogen von Gisele Croitoru-Federman
  • PJLF: Mitschnitt des Gesprächs in der Ernst-Reuter-Schule 1 am 1.6.2012

Fotos:
Ernst-Reuter-Schule 1, Angelika Rieber

Texte:
Katja Walther, Sandra Vucic, Angelika Rieber

Gisele Croitoru-Federman

Das Herkunftsland des Vaters war immer sehr präsent

Von Katja Walther, Sandra Vucic, Angelika Rieber

Aus Florida kamen Gisele Croitoru-Federman, geboren in Brasilien, und ihr Mann Moises, geboren in Kolumbien, auf Einladung der Stadt nach Frankfurt. Sie gehören einer Generation an, die nicht in Deutschland geboren wurde. Beim Schulbesuch in der Ernst-Reuter-Schule fühlen sie sich auch deshalb wohl, weil viele der Jugendlichen, ähnlich wie sie selbst, aus Familien stammen, die aus ihrer ursprünglichen Heimat weggegangen sind. Gisele Croitoru-Federman stellt Schülerinnen und Schülern gegenüber sehr lebendig dar, was sie von ihren Eltern und Großeltern über deren Leben in Deutschland weiß. Sehr schnell wird den Jugendlichen deutlich, dass sich Gisele, ebenso wie ihr Vater, in Deutschland verwurzelt fühlt. Es ist ihr wichtig, dass sie den Besuch in Frankfurt dafür nutzen kann, die Geburtsurkunde ihres Vaters zu finden, damit seine deutsche Staatsbürgerschaft wieder anerkannt werden kann. Einer Schülerin des 12. Jahrgangs gelingt es auf beeindruckende Weise, den Besuch der Zeitzeugen und das gemeinsame Gespräch in der Klasse in ihrem Beitrag zu würdigen und zu reflektieren.

Es war ein seltsames Gefühl für die Brasilianerin Gisele Croitoru-Federman nach Deutschland zu kommen, dem Land, aus dem ihre Vorfahren einst vor dem Nazi-Regime fliehen mussten. Die erste Begegnung mit ihr fand in den festlich geschmückten Räumen der Alten Oper in Frankfurt statt. Das Besuchsprogramm der Stadt sah dort ein erstes Kennenlernen der Gäste untereinander bei einem Stück koscherem Erdbeerkuchen und einer Tasse Kaffee vor. Bei strahlendem Sonnenschein wurden auf diese Weise Kontakte geknüpft, Familiengeschichten verglichen und Wünsche der Besucher notiert. Gisele Croitoru-Federman und ihr kolumbianischer Ehemann interessierten sich für die Sehenswürdigkeiten der Stadt Frankfurt und für die Frankfurter Bevölkerung. So stellten sie viele Fragen rund um die Geschichte der Stadt sowie zu unserer Gruppe „Jüdisches Leben in Frankfurt“ und deren Mitglieder. Um die Menschen in Deutschland bzw. in Frankfurt näher kennen zu lernen, war Gisele bereit, als Zeit­­zeugin der zweiten Generation in der Ernst-Reuter-Schule vor Schülerinnen und Schülern zu sprechen.

Bei dem Begrüßungsabend der Projektgruppe „Jüdisches Leben in Frankfurt“ im Jüdischen Museum lernte sie bereits einige der Schülerinnen und Schüler der Klasse kennen. Ein wenig aufgeregt war die Brasilianerin.

Am Freitag war es dann soweit: Gisele und ihr Ehemann kamen gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Besuchsgruppe in die Ernst-Reuter-Schule, ein Oberstufengymnasium mit einem hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund.

Die weitgereisten Gäste wurden herzlich empfangen. Zur Begrüßung stellten sich die Jugendlichen vor und nannten die zahlreichen Herkunftsländer, aus denen sie selbst bzw. die Eltern stammen. Staunend und lachend sprach Frau Croitoru-Federman über ihren Hintergrund. Sie sei in Brasilien geboren, ihr Mann stamme aus Kolumbien, wo sie eine Weile gemeinsam gelebt hätten. Jetzt lebe sie mit ihrer Familie in Florida, ihr Vater sei aus Deutschland, aus Frankfurt. Nach dieser kurzen Vorstellungsrunde erzählte Gisele viele Geschichten aus Deutschland, die sie vom Leben ihrer Eltern und Großeltern kannte. Durch ihre sympathische und offene Art konnte sie die Schüler schnell interessieren und gab ihnen damit einen kleinen Einblick, wie sie aufgewachsen ist und wie viel deutsche Kultur in ihr steckt. Sie sprach auch von ihrem Gefühl nach Deutschland zu kommen – zu ihren deutschen Wurzeln.

Die Familie von Giseles Vater hatte Deutschland noch vor dem Novemberpogrom verlassen, am 3. Februar 1937. Siegbert Federmann war damals noch ein kleines Kind, gerade 2 ½ Jahre alt. Die heute 47-jährige Gisele wuchs mit der Erzählung ihrer Großmutter auf, die Gestapo sei zu dem elterlichen Haus in der Friesengasse gekommen. Daraufhin habe die Familie schnellstens die nötigsten Sachen gepackt und Vieles zurückgelassen. Das Haus, in dem die Großeltern und ihr Vater im Stadtteil Bockenheim gelebt hatten, hatte sie schon gesucht und gefunden. Es stehe noch, betonte sie.

Sichtlich berührt erzählte die Brasilianerin den Schülerinnen und Schülern, sie habe am Vortag im Standesamt der Stadt die Geburtsurkunde ihres Vaters bekommen. Es sei für sie ein sehr bewegender Moment gewesen, diese Bestätigung über die Wurzeln ihres Vaters in den Händen zu halten. Nun könne ihr Vater wieder seine deutsche Staatsbürgerschaft zurückerhalten. Er hatte wohl vorher erfolglos versucht, das Dokument von Brasilien aus zu bekommen.

Die Tochter des ehemaligen Frankfurters Siegbert Federmann berichtete außerdem von dem bewegten Leben ihres deutschstämmigen Vaters, der eine Brasilianerin heiratete und mit seiner Frau zusammen in deren Heimat lebt. Aber auch in der Fremde blieb ihr Vater einigen deutschen Traditionen treu. So besuchte er unter anderem jedes Jahr das Oktoberfest der deutschen Gemeinde in Brasilien. Vage erinnert sie sich neben einigen deutschen Traditionen, die in der Familie gepflegt wurden, vor allem an das Wort „Wurst“.

Wir fühlen uns inspiriert und ermutigt

Die Schülerinnen und Schüler gewannen durch die Geschichten der Familie Federmann einen Einblick in die oft schwierigen Verhältnisse von Giseles Vater in seiner neuen Heimat Brasilien und nahmen Anteil an den Hürden, die es in der Fremde zu überwinden galt.

Viele der Fragen der Jugendlichen drehten sich um das Thema Emigration. Was bedeutet es, die Heimat zu verlassen? Wie ist es dem Vater gelungen, in Brasilien Fuß zu fassen?
Auch für die Lehrerin, Amalia dos Santos, war das Gespräch etwas Besonderes. Sie stammt ursprünglich aus Portugal und konnte sich mit Gisele Croitoru-Federman auf Portugiesisch unterhalten.

Die Geschichtslehrerin beendete das interessante Gespräch mit einer Abschlussrunde, in der die Schülerinnen und Schüler sich bedankten und zum Ausdruck brachten, wie wichtig solche Gespräche für sie sind. Auch Gisele Croitoru kehrt bereichert in ihre jetzige Heimat zurück. Sie habe viel gelernt, habe junge Menschen mit so vielen unterschiedlichen Hintergründen kennengelernt. Beeindruckt war sie vor allem davon, wie die Jugendlichen miteinander umgehen, wie sie voneinander lernen. „Very inspiring“, so ihr Fazit.

Die ganze Klasse wünschte sich bei der Verabschiedung ihrer weitgereisten Gäste, es möge künftig noch weitere Treffen dieser Art geben, die einen lebendigen und persönlichen Geschichtsunterricht in der Schule ermöglichten.

Die Tochter von Siegbert Federmann ist für die Einladung der Stadt Frankfurt ebenfalls sehr dankbar, da ihr das Besuchsprogramm die Gelegenheit gab, die Spuren des Vaters zu suchen. Jetzt habe sie allerdings noch eine wichtige Mission zu erfüllen. Sie müsse ihrem Sohn ein Borussia-Dortmund-T-Shirt kaufen. Sicher lässt sich sagen, dass die deutschen Wurzeln wohl auch weiterhin in der Familie präsent und allgegenwärtig bleiben.
Zurück zu den Wurzeln – Nun kommen die Kinder ehemaliger Frankfurterinnen und Frankfurter

Von Sandra Vucic (12 a)
Nach so vielen Jahren wieder in das Heimatland zurückzukehren oder das Vaterland zu besuchen, aus dem die Vorfahren vor so langer Zeit geflohen sind, war ein seltsames Gefühl für Gisele Croitoru-Federman, einer Brasilianerin mit deutschen Vorfahren. Und bei Feva Kroch, einer älteren Frau, wurden Erinnerungen aus der Kindheit und an die Flucht nach Uruguay geweckt. Diese Eindrücke und Gefühle haben die Besucher am letzten Freitag mit den Schülern der Ernst-Reuter-Schule 1 geteilt. Mit sehr viel Interesse und Spannung, wie die nächsten zwei Stunden aussehen werden, warteten die Schüler auf die Gäste. Der Empfang verlief sehr freundlich und die Gäste waren sehr entspannt, sie stiegen sofort in Gespräche mit den Schülern ein und bezogen sich auf deren Fragen.

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde der Schüler stellten sich die Gäste nacheinander vor, erzählten einiges über ihr Leben, ihre Vorfahren und ihre Wurzeln. Sie waren sehr offen, was das Gespräch mit ihnen interessant machte und wirklich eine Vorstellung von der damaligen Zeit hervorrief. Vor allem Feva Koch, die als Kind mit ihren Eltern nach Uruguay geflüchtet war, bewegte die Schüler mit ihrer Geschichte. Sie konnte sich genau an ihre Flucht aus Deutschland erinnern, wie ihre Mutter damals nur ein paar Sachen gepackt hatte und mit ihr geflohen war. Für sie als kleinem Mädchen war es nicht verständlich, wieso die anderen Kinder sie plötzlich mieden, sie nicht mehr in den Kindergarten durfte und wieso ihre Familie so weit umzog. Man bekam eine Vorstellung, wie das Leben der Menschen von heute auf morgen komplett umgekrempelt wurde.

Die Brasilianerin Gisele mit deutschen Vorfahren, die mit ihrem kolumbianischen Ehemann heute in den USA lebt und zu diesem Anlass aus Miami angereist ist, konnte zwar nicht sehr viel aus der Zeit des Nationalsozialismus und der Flucht der Großeltern und Eltern berichten, weil sie zur zweiten Generation der Opfer des Nationalsozialismus gehört, aber sie gab einen Einblick in ihre Welt, wie sie aufgewachsen ist und erzogen wurde und inwieweit sie mit der deutschen Kultur in Verbindung steht. So erzählte Gisele Croitoru-Federman, wie es für sie war, nach Deutschland zu kommen und was für ein seltsames Gefühl es für sie persönlich war, als sie die Geburtsurkunden ihres Vaters und Onkels, die ursprünglich aus Frankfurt stammen, empfing und mitnahm. Sie erzählte außerdem von dem Leben ihres deutschstämmigen Vaters, der eine Brasilianerin geheiratet hat und dort lebt, aber die deutsche Tradition kennt und auch danach lebt.

Aus den Gesprächen, den Geschichten und Erfahrungen der Flüchtlinge und auch deren Kinder konnten die Schüler erfahren, wie sich das Leben der Menschen in der neuen Heimat entwickelt hat, was eine sehr spannende und interessante Kenntnis ist, denn es ist alles andere als einfach, die gewohnte Umgebung, das Heimatland und alles Hab und Gut stehen und liegen zu lassen, um in ein unbekanntes, fernes Land, das Flüchtlinge ohne Visum aufnimmt, zu fliehen und sich ein ganz neues Leben aufzubauen, fernab der Heimat und dem gewohnten Lebensstil.

Dieses Projekt, das von der Stadt Frankfurt und der Projektgruppe „Jüdisches Leben in Frankfurt“ organisiert wird und Zeitzeugen der NS-Zeit, und nun auch die zweite Generation nach Frankfurt und für alle in die Ernst-Reuter-Schule 1 brachte, war eine sehr positive Erfahrung. Es wäre schön, wenn dies auch in den kommenden Jahren stattfinden könnte, denn eine Möglichkeit, jemanden zu treffen, der selbst oder dessen Vorfahren, vor langer Zeit aus Deutschland geflüchtet sind, und sich in einem neuen, fernen Land ein neues Leben aufgebaut haben, ist sehr selten und eine wichtige Erfahrung, die den Schülern nicht vorenthalten werden sollte.