KURZBIOGRAPHIE
Hermann Freudenberger
29.12.1875 in Heidingsfeld bei Würzburg – 23.6.1941 Suizid in Frankfurt
Lehrer am Philanthropin 1910-1941, Schulleiter 1940/41
Verheiratet mit
Mirjam, geb. Wechsler
13.8.1886 – 20.6.1941 Suizid in Frankfurt
Wohnadressen:
Günthersburgallee 38, Blumenstraße 4, Bockenheimer Anlage 5
Kinder:
Suzie: 1909 in Hamburg – 1931 in Speyer
Fritz: 1904 in Hamburg – 1941 in Hadamar
Jurist, 1935 verhaftet
Kurt Jacob: 1916 in Frankfurt – 1943 in Auschwitz
Schüler der Musterschule, Emigration nach Frankreich 1934
Hellmuth: 1919 in Würzburg – 2003 in Israel
Schüler des Lessinggymnasiums, Emigration 1936 nach Palästina, später Argentinien und Uruguay, zuletzt Israel
Quellen:
1 Dr. H. Freudenberger: Im Kampf um die Menschenrechte, in: Jüdische Jugendbücherei, 3. Band, 1927, Freimann-Sammlung der Universitätsbibliothek Frankfurt
2 Geschichte und Gedenken. Orte der „Euthanasie“-Verbrechen in Hessen, Hrsg. Landeswohlfahrtsverband Hessen 2019
3 Joachim Carlos Martini: Musik als Form des geistigen Widerstands. Jüdische Musikerinnen und Musiker 1933-1945, 2010
4 Das Philantropin zu Frankfurt am Main. Dokumente und Erinnerungen, 1964
5 Das Philanthropin 1804-1942. Die Schule der Frankfurter Israelitischen Gemeinde, Dauerausstellung
6 Inge Schlotzhauer: Das Philanthropin 1804-1942: Die Schule der Israelitischen Gemeinde in Frankfurt, 1990
7 Adressbuch der Stadt Frankfurt
8 Arolsen archives
9 Bundesarchiv Onlinegedenkbuch
10 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
11 Anklage- und Urteilsschrift des Oberlandesgerichts Kassel, Internationalen Forschungs– und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse (ICWC) an der Philipps-Universität Marburg
12 https://www.stolpersteine-hamburg.de/?MAIN_ID=7&BIO_ID=1809&fbclid=IwZXh0bgNhZW0CMTAAAR3iBQOVAO-9DHK826ltjUQ103w2l6XJcR_SiC9frbMfoBhVs8eE70UWx-Q_aem_R41ZVYcBZGQQlE7pIxjXiA
Abgerufen am 15.7.2024
13 https://www.alemannia-judaica.de/heidingsfeld_synagoge.htm
Abgerufen am 15.7.2024
14 https://wikipedia.org/wiki/Felix_Freudenberger
Abgerufen am 21.8.2024
15 https://spd-unterfranken.de/partei/felix-freudenberger-preis
16 www.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Mennecke
Abgerufen am 21.7.2024
Fotos:
Familie Freudenberger
Recherche und Text:
Angelika Rieber
Erschienen:
August 2024
Dr. Herrmann Freudenberger
Letzter Schulleiter des Philanthropin 1940-1941
von Angelika Rieber
Dr. Hermann Freudenberger war der letzte Schulleiter des Philanthropin 1940/41. Er hatte seit 1910 an der Schule unterrichtet. Die Schließung der Realschule 1941 und der Tod seines aus politischen Gründen inhaftierten Sohnes Fritz in Hadamar erschütterten ihn zutiefst. Im Juni 1941 beging er zusammen mit seiner Frau Mirjam Suizid. Auch der Sohn Kurt, der 1934 nach Frankreich geflohen war, wurde Opfer des Holocaust. Einzig der jüngste Sohn Hellmuth Freudenberger überlebte. Er emigrierte 1936 nach Palästina.
Hermann Freudenberger wurde am 29.12.1875 in Heidingsfeld bei Würzburg geboren. Der Weinort am Main hatte bereits im Mittelalter eine jüdische Bevölkerung und gehörte zu den bedeutendsten und größten jüdischen Gemeinden Frankens. Hermanns Vater Jacob Freudenberger (1827-1911) war Lehrer der „Israelitischen Lehr- und Erziehungsanstalt“ und des „Lehr- und Handelsinstituts“. Seine Ehe mit Sara, geborene Bacharach (1836-1902), war mit zahlreichen Kindern gesegnet.
Zum 80. Geburtstag von Jacob Freudenberger berichtete „Der Israelit“ vom 3.12.1908: „Der Herr Lehrer Freudenberger dahier feierte am 14. Kislew seinen 80. Geburtstag. Wir wollen nicht unterlassen, auch an dieser Stelle dem allseitig geachteten und geliebten Lehrer die Wünsche seiner dankbaren Gemeinde, die lange in ihm einen treuen Führer hatte, zum Ausdruck zu bringen.“
Hermanns Bruder Felix Freudenberger ist der bekannteste unter den Geschwistern. Felix wurde Buch- und Schreibwarenhändler in Würzburg und war dort als Politiker bekannt u.a. als Stadtrat für die SPD in Würzburg, als Kreis- und als Landtagsabgeordneter. 1918 stand er an der Spitze des Arbeiter- und Soldatenrats. Seine Frau Rosa wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet. Heute ist die Erinnerung an den 1927 verstorbenen Politiker in Unterfranken wieder lebendig. Die Stadt Würzburg benannte eine Platz nach Felix Freudenberger, und seit 1916 vergibt die SPD Unterfranken den Felix-Freudenberger-Preis für Kultur, Bildung und Zivilcourage.
Mehrere der zehn Geschwister von Felix Freudenberger folgten dem Beruf ihres Vaters und wurden so wie Hermann Freudenberger Lehrerinnen und Lehrer.
Hermann besuchte das humanistische Alte Gymnasium in Würzburg und studierte nach seinem Abitur Germanistik, Geschichte und Erdkunde in Würzburg und München. 1898 schloss er mit dem Staatsexamen ab und unterrichtete zwei Jahre lang an der Real- und Handelslehranstalt in Neustadt an der Aisch. Ab 1900 war er zehn Jahre lang Oberlehrer an der Talmud Tora-Schule in Hamburg. 1902 promovierte er an der Universität Rostock zum Dr. phil. mit dem Thema „Hamburgs Streit mit Christian IV. von Dänemark über den Glückstädter Zoll 1630-1645“. Hermann Freudenberger muss ein begnadeter Lehrer gewesen sein, denn ein ehemaliger Schüler würdigte ihn als „ungewöhnlich begabten und anregenden Lehrer“.
Auch für seine Zeit als Lehrer am Philanthropin ist eine Episode bekannt, die Freudenbergers positiven Einfluss auf die Lernfreude der Jugendlichen verdeutlicht. Seine Kollegin Betty Rand-Schleifer erinnerte sich, dass ihre Schwester dem Deutschlehrer Dr. Hermann Freudenberger zuliebe übers Wochenende das Gedicht „Salas y Gomez“ von Chamisso auswendig gelernt und am Montag früh der Klasse und ihrem gerührten Lehrer fehlerlos rezitiert habe.
„Im Kampf um die Menschenrechte“
1910 zog Freudenberger nach Frankfurt, wo er eine Anstellung am Philanthropin erhalten hatte. Dort unterrichtete er bis zu seinem Tod 1941.
Das Philanthropin wurde 1804 durch Privatinitiative gegründet. Diese neue Schule sollte dazu beitragen, die Emanzipation und die Eingliederung der Juden in die Gesellschaft, in der sie lebten, voranzutreiben. Damit nahm das Philanthropin eine herausragende Stellung im Gemeindeleben der Frankfurter Juden ein und hatte gleichzeitig Vorreiterfunktion für Deutschland. 1929 besuchten etwa 900 Jugendliche die Schule. Während des Nationalsozialismus erlebte das Philanthropin vorübergehend eine Scheinblüte, denn die zunehmenden Beschränkungen des Besuchs jüdischer Kinder an öffentlichen Schulen ließen die Zahl der Schülerinnen und Schüler vorübergehend ansteigen.
Freudenberger war neben seiner Tätigkeit in der Schule auch schriftstellerisch aktiv. 1927 kam seine Schrift „Im Kampf um die Menschenrechte“ heraus, die unter Mitwirkung der Jugendschriften-Kommission der Großloge für Deutschland, der jüdischen Loge B´nai B´rith, herausgegeben wurde.
Darin setzte sich Freudenberger mit der Geschichte der Juden in Europa auseinander. „Das Büchlein will von den Kämpfen erzählen, die unsere Vorfahren für die Erringung ihrer Menschenrechte führen mussten. Das waren Kämpfe, die sich in der Welt des Geistes abspielten, die also mit dem Wort und der Feder geführt wurden. Um zu verstehen, um was es sich in diesen Kämpfen handelt und vor allem, welche Bedeutung diese Kämpfe auch heute noch für uns haben, ist es erforderlich, einen Blick in die Geschichte zu werfen, in die Vergangenheit, welche, richtig verstanden, hier wie immer die Bedeutung der Gegenwart aufschließt und die Umrisse der Zukunft vorauszeigt.“
Freudenberger würdigt in diesem Text Personen, die entscheidende Beiträge für die Emanzipation der Juden geleistet haben. Besonders hebt er die Rolle von Moses Mendelssohn für die Aufklärung und die Rolle von Gabriel Riesser bei der Durchsetzung gleicher Rechte für die Juden in Deutschland hervor. Seinen geschichtlichen Abriss schließt der Historiker mit der Bemerkung, dass die Rechte der Juden eng verbunden sind mit den Freiheitsrechten aller Menschen. „… so wissen wir doch, dass der Kampf um unser Recht unauflöslich verknüpft ist mit dem Befreiungskampf der Menschheit überhaupt. In diesem Kampf kann man geschlagen, aber nie besiegt werden.“
Mit seiner Schrift wollte Freudenberger junge Menschen ermutigen, sich für Gleichheit und Menschenrechte einzusetzen, denn „noch immer strahlt Licht und Wärme von den unvergänglichen Zeugnissen aus, die jene Zeit des Kampfes hervorgebracht hat“.
Bitter muss es für ihn gewesen sein, als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen und all die Hoffnungen, die er in seinem Büchlein zum Ausdruck gebracht hatte, zunichtemachten.
Familie Freudenberger
Hermann Freudenberger war in erster Ehe mit Ida Heilbronn verheiratet, die bereits 1914 starb. Aus dieser Ehe gingen die Kinder Fritz und Suzie hervor, die beide im Hamburg geboren wurden.
Ein Jahr später, am 10. Dezember 1915, heiratete Hermann Freudenberger wieder. Mit seiner zweiten Frau, Mirjam (Miriam), geb. Wechsler, hatte das Ehepaar zwei Söhne, Kurt Jacob (1916 in Frankfurt geboren) und Hellmuth (Helmut) (1919 in Würzburg geboren). Die Familie wohnte in der Günthersburgallee 38 in Frankfurt am Main.
Der Beginn des Nationalsozialismus wirkte sich unmittelbar vor allem auf die Lebensperspektiven der Kinder aus. Der älteste Sohn Fritz wurde 1934 verhaftet. Kurt Freudenberger, der zuvor die Musterschule besucht hatte, verließ im selben Jahr Deutschland, um seine Ausbildung in Frankreich fortzusetzen. Sein jüngerer Bruder Hellmuth, Schüler des Lessinggymnasiums, begann nach der Obersekunda mangels beruflicher Perspektiven in Deutschland eine landwirtschaftliche Ausbildung, um sich auf die Auswanderung vorzubereiten. Zunächst war er auf einem Lehrgut in Neuendorf bei Fürstenwalde tätig.
Seine eigentlich geplante landwirtschaftliche Ausbildung im Taunus konnte Hellmuth nicht beginnen, da dem Landwirt die erforderliche Genehmigung zur Ausbildung eines jüdischen Lehrlings durch die Parteibehörden versagt wurde. Daher entschloss sich Hellmuth 1936 nach Palästina auszuwandern, wo er ein Jahr lang in einem Kibbuz lebte. Später wanderte er nach Argentinien weiter. Ab 1941 lebte er in Uruguay.
Es wurde einsam für das Ehepaar Freudenberger. Die Tochter war bereits 1931 im Alter von 22 Jahren verstorben, der Sohn Kurt lebte seit 1934 in Frankreich, Hellmuth seit 1936 in Palästina, der älteste Sohn Fritz war in Haft. 1938 lebten Mirjam und Hermann Freudenberger in der Blumenstraße 4, vermutlich in einer kleineren Wohnung.
… Zuwiderhandlungen sind mit hoher Freiheits- und Geldstrafe bedroht
Angst und Schrecken verursachten die Ereignisse rund um das Novemberpogrom 1938. Verängstigt flohen Mirjam und Hermann Freudenberger zur Familie ihres früheren Kindermädchens, das in Mühlheim wohnte. Juliane Seelmann war von 1927 bis zur ihrer Heirat 1934 bei der Familie als Hausangestellte beschäftigt gewesen. Auch nach ihrer Heirat blieben die Familien im Kontakt und besuchten sich gegenseitig. Die Freudenbergers verbrachten voller Angst die Nacht des 9. Novembers bei den Seelmanns. Am folgenden Tag, dem 10. November 1938, begleitete Kaspar Seelmann das Ehepaar zurück nach Frankfurt. Dort stellten sie erschüttert fest, dass die Wohnungstür aufgebrochen war, Scheiben zerschlagen und die Wohnung verwüstet, Schmuck und Wertgegenstände geplündert waren.
Auch die Schule war durch die politischen Ereignisse ständigen Belastungen unterworfen. Zahlreiche Lehrer und Schüler waren während des Novemberpogroms verhaftet und nach Buchenwald verschleppt worden, ein geregelter Unterricht kaum möglich.
Lehrkräfte verließen nach und nach die Schule. Zwei Wochen vor dem Novemberpogrom, Ende Oktober 1938, war Betty Rand-Schleifer bereits nach Polen ausgewiesen wurden. Sie wurde durch ihre Heirat polnische Staatsbürgerin. Von Polen gelang es ihr noch in letzter Minute nach Palästina zu fliehen.
1937 war Dr. Otto Driesen als Schulleiter verabschiedet worden. Er wanderte nach Frankreich aus. Von dort wurde er 1943 deportiert und ermordet. Driesens Amtsnachfolger war zunächst Dr. Albert Hirsch, nach dessen Auswanderung Dr. Hugo Schaumberger, gefolgt von Dr. Hermann Freudenberger, der 1940 die Leitung des Philanthropin übernahm und dessen letzter Schulleiter war.
Über die Lebensbedingungen des Ehepaars Freudenberger nach dem Novemberpogrom gibt die „Devisenakte“ Auskunft. Im November 1939 musste Freudenberger den Antrag zur „Sicherungsanordnung“ abgeben. Freudenberger machte das Postscheckamt und den Schulrat des Philanthropin aus diesem Grund darauf aufmerksam, dass er Zahlungen nur noch über das beschränkt verfügbare „Sicherungskonto“ bei der Deutschen Bank entgegennehmen dürfe. Barzahlungen an ihn und an Dritte seien nicht zulässig. „Die Devisenstelle hat mich hingewiesen, dass Zuwiderhandlungen mit hoher Freiheits- und Geldstrafe bedroht sind.“ Zugebilligt wurden dem Ehepaar monatlich 500.- Mark aus ihrem eigenen Vermögen. Zu dieser Zeit, 1940, lebten die Freudenbergers nicht mehr in der Blumenstraße, sondern in der Bockenheimer Anlage 5 im 1. Stock.
Das Philanthropin war ständigen Veränderungen ausgesetzt. Das Kollegium und die Kinder mussten sich mit neuen Bedingungen und Schikanen auseinandersetzen. Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler verließen Deutschland, neue kamen durch Zuzug vom Umland hinzu. Für Freudenberger und die übrigen Lehrkräfte der Schule müssen die Belastungen enorm gewesen sein.
Anfang Oktober 1938 hatte das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung dem Philanthropin bereits den Charakter einer öffentlichen Schule entzogen. Ein Jahr später hatte die Stadt alle Immobilien der Jüdischen Gemeinde aufgekauft, darunter auch das Gebäude des Philanthropin in der Hebelstraße. Für drei Jahre wurde es der Schule zur Miete überlassen.
Am 6. April 1940 fragte der Oberfinanzpräsident an, ob es ein Reform-Realgymnasium am Philanthropin überhaupt gegeben habe oder gäbe (sic!). Der Schulrat des Philanthropin teilte der „Devisenstelle“ daraufhin mit, die Schule sei 1939 in eine private höhere Lehranstalt umgewandelt worden. Im nächsten folgenschweren Schritt verfügte die Reichsbehörde im April 1941 die Schließung der höheren jüdischen Schulen. Juden wurde fortan lediglich Volksschulbildung gestattet. Dies hat Freudenberger, der Leiter der damit aufgelösten Realschule war, tief getroffen. Er verlor jede Hoffnung. Ob er noch an der letzten Weihestunde im Philanthropin am 8. Juni 1941 teilgenommen hat? Am 23.6.1941 beging Hermann Freudenberger gemeinsam mit seiner Frau Mirjam Suizid.
Mit dem Beginn der Deportationen im Oktober 1941 wurden fast alle Schülerinnen und Schüler und die Lehrkäfte des Philanthropin in die Konzentration- und Vernichtungslager verschleppt. Ende Juni 1942 musste schließlich der gesamte Unterricht eingestellt werden.
„Unser lieber guter Freund ist im rechten Augenblick von dieser Erde verschwunden“
Die Lehrerin Fanny Baer berichtete in ihren Briefen an ihre frühere Kollegin Tilly Epstein über die Situation an der Schule während der Kriegsjahre. In einem Brief vom 11. Juni 1941 schreibt sie, Freudenberger sei im Krankenhaus und dort operiert worden. Die Nacht solle verhältnismäßig gut gewesen sein, mehr wisse sie nicht.
Am 19. Juli folgte die die traurige Nachricht, dass Dr. Freudenberger und seine Frau gestorben seien. „Ist es nicht eigenartig, dass dieser Mann in dem Augenblick abgerufen wurde, als die höhere Schule für immer die Pforten schloss? Er hing doch sehr an der Schule, und es kam in den letzten Monaten nach dem Tod seines Sohnes immer mehr zum Ausdruck. Beide sind an einem Tag beerdigt worden. Wir hatten eine wirklich versöhnliche und würdige Trauerfeier in der Schule, schon der äußere Rahmen war so schön. Aber viele Menschen haben gefehlt in der Trauerversammlung… alle anderen sind tot oder fern.“
Dora Oppenheimer, die letzte Sekretärin des Philanthropin, informierte den ehemaligen Schüler und Lehrer Kurt Goldschmidt, dem noch 1941 die Flucht aus Deutschland gelungen war, mit einem Brief über den Tod des Schulleiters: „Unser lieber, guter Freund ist im rechten Augenblick von dieser Erde verschwunden.“
Kurt Goldschmidt hatte offensichtlich ein besonders gutes Verhältnis zu Hermann Freudenberger, der für ihn Freund und Mentor war. „Er war mir nicht nur ein Freund und Ratgeber, der mich sozusagen von der Sexta der Jahre 1923 bis 1941 begleitete, sondern auch einer der hervorragenden Pädagogen und Persönlichkeiten, die zu meiner Zeit dem Philanthropin angehörten.“
Dora Oppenheimer und Fanny Baer konnten nicht mehr rechtzeitig fliehen und wurden Opfer des Holocaust.
Irritationen entstanden bei den Behörden, als der zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen Mirjam Freudenberger eine „Sicherungsanordnung“ zugeschickt wurde, wonach ihr 150 Mark monatlich zugebilligt wurden.
„Sicherungsverwahrung“ in der Landesheilanstalt Eichberg
Hermann Freudenbergers Sohn Fritz überlebte die NS-Zeit nicht. Er stammte aus der ersten Ehe von Freudenberger und wurde 1904 in Hamburg geboren. Nach dem Abitur studierte Fritz Jura und war anschließend in Frankfurt als Gerichtsassessor tätig. Zu Beginn der Naziherrschaft wurde er 1933 wegen seiner Herkunft auf der Grundlage des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aus dem Staatsdienst entlassen.
Zunächst ging er für ein Jahr nach Frankreich, kehrte jedoch Ende 1934 mangels beruflicher Perspektiven in Frankreich wieder nach Deutschland zurück. In Frankreich hatte er Kontakt mit Emigrantenkreisen und betätigte sich offensichtlich nach seiner Rückkehr im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Laut Anklageschrift und dem Urteil des Oberlandesgerichts Kassel vom 24. Januar 1936 war Fritz Freudenberger bereits in der Weimarer Republik politisch tätig gewesen und gehörte der SPD sowie später der SAP an. Nach seiner Rückkehr aus dem Exil 1934 engagierte er sich laut Anklage für die Rote Hilfe und beteiligte sich an der Herstellung illegaler Druckschriften. Im März 1935 wurde er verhaftet.
Die Urteilsschrift stellt zu den Gründen seiner Verhaftung fest:
„Da die kommunistische Partei sich den gewaltsamen Sturz der Regierung und Verfassung zum Ziel gesetzt hat, stellt die Betätigung für die illegale KPD – und dazu gehört die Mitarbeit des Angeklagten bei der Herstellung der kommunistischen Druckschriften – die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens dar… Hier liegen die erschwerten Tatumstände vor, da die Tat des Angeklagten darauf gerichtet war, einen organisatorischen Zusammenhalt herzustellen und aufrechtzuerhalten und die Massen durch Herstellung und Verbreitung von Schriften zu beeinflussen.“ Zusätzlich versuchte das Gericht, Fritz Freudenberger noch als geistig unzurechnungsfähig zu erklären. „Ihm fehlt bei seiner psychopathischen Unfestigkeit der Halt, um dem Drange nach Betätigung seiner staatsfeindlichen Gesinnung widerstehen zu können. Er würde auch nach Entlassung aus der Strafhaft alsbald seine hochverräterische Tätigkeit wieder aufnehmen…, sodass mit Rückfällen in Straftaten vorliegender Art sicher zu rechnen ist.“ Auch die Familie biete „keine Gewähr dafür, dass es ihr gelingen könnte, den Angeklagten von staatsfeindlicher Tätigkeit zurückzuhalten.“ Daher erfordere es die öffentliche Sicherheit, den Angeklagten nach Verbüßen der Strafe in einer Heil- oder Pflegeanstalt unterzubringen.“ (Anklage- und Urteilsschrift des Oberlandesgerichts Kassel)
Nach Verbüßen seiner eineinhalbjährigen Haftstrafe wurde Fritz Freudenberger daher nicht freigelassen, sondern am 28.7.1937 in die Landesheilanstalt Eichberg zur „Sicherungsverwahrung“ überwiesen. Weitere Aufschlüsse über sein Schicksal gibt die Sammelakte „Vollzug d. sonst. Freiheitsentziehung u. d. Entmannung“ des Oberlandesgerichts Frankfurt, das für die Überführung in die Landesheilanstalt zuständig war.
In der Landesheilanstalt wurde Fritz Freudenberger vom Leiter der Anstalt Hinsen zu Schreibarbeiten in der Heilanstalt eingeteilt. Mit dem Wechsel der Anstaltsleitung zu Dr. Mennecke im Februar 1938 änderte sich die Situation schlagartig. Zu einer erneuten Verschärfung kam es im Zusammenhang mit dem Novemberpogrom 1938. Laut einer Verfügung des Untersuchungsgefängnisses Frankfurt vom 9.11.1938 seien für jüdische Häftlinge besondere Maßnahmen geboten.
„Die feige Ermordung des Gesandtschaftsrats der Deutschen Botschaft in Paris vom Rath hat bewiesen, dass das Judentum von verbrecherischen Elementen so stark durchsetzt ist, dass besondere Schutzmaßnahmen erforderlich sind, um Vorkommnisse ähnlicher Art zu verhüten. Ein besonderes Augenmerk muss dabei auf die kriminell gewordenen Juden gerichtet werden, die sich bereits in den Gefangenenanstalten befinden. Bei der hervorgetretenen starken verbrecherischen Energie der jüdischen Elemente müssen alle Sicherheitsmaßregeln getroffen werden, die erforderlich sind, die Störung der Ordnung und Gefährdung der Sicherheit in den Gefangenenanstalten zu verhüten. Insbesondere erscheint es notwendig, zur Vermeidung von Durchstechereien, zu dem der jüdische Charakter besonders neigt, den Verkehr mit der Außenwelt weitmöglichst einzuschränken.“
Diese und ähnliche Formulierung werfen die Frage auf, ob solche Maßnahmen eher paranoiden Fantasien entspringen oder/und ob sie als Legitimationsgrundlage für ein schärferes Vorgehen gegenüber jüdischen Häftlingen zu sehen sind.
Auf Grundlage der als erhöht angesehen Gefährdungslage wurden daraufhin folgende Maßnahmen für jüdische Häftlinge angeordnet:
- Das Tragen eigener Kleidung sei nicht mehr zulässig
- Häftlinge dürften keine Nahrungsmittel oder weitere Gegenstände von außen mehr entgegennehmen
- Eigene Bücher seien nicht zulässig
- Rabbinern werde die Erlaubnis, Häftlinge ohne Aufsicht zu sprechen, entzogen
Offensichtlich handelte die Landesheilanstalt nach diesen Richtlinien, denn Fritz Freudenberger wurde von dieser Zeit an zusammen mit Schwerverbrechern untergebracht und fühlte sich seines Lebens bedroht.
Mirjam und Hermann Freudenberger bemühten sich seit Februar 1939 verzweifelt darum, die Haftbedingungen für ihren Sohn zu verbessern, wie mehrere Schreiben ihrer Konsulenten belegen. Er sei zusammen mit etwa zwölf Insassen der Anstalt in einem Raum mit vermindertem Tageslicht untergebracht, ohne jegliche Möglichkeit einer Beschäftigung. Freigang in der frischen Luft gäbe es nur einmal alle 4 Wochen. Besuche von Angehörigen seien nicht mehr wöchentlich, sondern nur noch ein Mal im Vierteljahr möglich. Man fürchte, dass „auf Dauer schwerste Gefahr für seine geistige und körperliche Gesundheit bestehe“. Schließlich bemühten sich Hermann und Mirjam Freudenberger darum, dem Sohn wenigstens eine Verlegung nach Weilmünster zu ermöglichen, da es dort weitere jüdische Patienten gäbe.
Laut Antwort des Oberpräsidenten an den Generalstaatsanwalt in Frankfurt vom 23. März 1939 wurde diesem Wunsch nicht stattgegeben. Der Anstaltsleiter erklärte den Eltern, die „Sicherungsverwahrung“ sei notwendig, da ihr Sohn Jude sei und einen angeborenen Hang zu verbrecherischen Dingen habe, Fritz Freudenberger fluchtverdächtig und in Weilmünster keine sichere Unterbringung unter Vorbeugung einer Flucht möglich sei.
Nun bemühten sich Mirjam und Hermann Freudenberger darum, ihren Sohn durch eine Auswanderungsmöglichkeit nach Palästina freizubekommen. Stellvertretend für ihren Sohn reichte Mirjam Freudenberger im April 1940 einen Antrag auf Mitnahme von Umzugsgut ein. Vergebens. Die geplante Auswanderung konnte nicht realisiert werden.
Am 22. Januar 1941 starb Fritz Freudenberger in Hadamar.
Ab dem 13. Januar 1941 waren die ersten Patientinnen und Patienten des Eichbergs nach Hadamar verlegt worden. Rund 800 Patienten wurden von dort in die Gaskammern geschickt. Unter den Opfern der Krankenmorde waren auch 18 jüdische Patientinnen und Patienten. Man geht davon aus, dass sie, wie auch Fritz Freudenberger, in Hadamar umgebracht wurden. Der ärztliche Direktor der Klinik Landesheilanstalt Eichbern , Friedrich Mennecke (1938-1942), gehörte zu den „T4“-Ärzten, die diese Todesurteile fällten. Nach Abschluss seines Studiums hatte Mennecke zunächst als Assistenzarzt am Kreiskrankenhaus in Bad Homburg gearbeitet. 1936 wechselte er zur Landesheilanstalt Eichberg. Zwei Jahre später wurde er Oberarzt und leitete kommissarisch die Einrichtung, ab 1939 war er Chefarzt der Landesheilanstalt.
Der Tod ihres Sohnes traf das Ehepaar Freudenberger um so härter, als sie vermutlich eigene Auswanderungspläne zurückgestellt hatten, um seine Freilassung zu erwirken. In ihrer Verzweiflung setzten Hermann und Mirjam Freudenberger im Juni 1941 ihrem Leben ein Ende.
Von Frankreich nach Auschwitz
Auch Kurt Jacob Freudenberger, am 15.9.1916 in Frankfurt geboren, wurde Opfer des Holocaust. Er wurde am 18.7.1943 aus dem französischen Exil von Drancy aus verschleppt und in Auschwitz ermordet.
1916 geboren, hatte Kurt Freudenberger die Musterschule in Frankfurt besucht, die er 1934 verließ, um seine Ausbildung in Frankreich zu beenden. Er machte dort sein Abitur und studierte anschließend auf der Technischen Hochschule in Paris. Sein Studium schloss er als Radio-Ingenieur ab und begann anschließend in Angers in seinem Beruf zu arbeiten. Dort heiratete er 1938. Im selben Jahr wurde die Tochter Michèle Suzanne geboren. Nach der Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen floh Kurt Freudenberger in den Süden des Landes nach St. Girondes (Arièges). Dort wurde er im Juni 1943 verhaftet, in Toulouse in ein Gefängnis eingeliefert und später in das KZ Drancy überführt. Am 18.7.1943 wurde Kurt Freudenberger nach Auschwitz deportiert. Seine Tochter Michèle lebt heute in Frankreich.
Über Umwege nach Uruguay – Helmut Freudenberger
Als einziges Mitglied der Familie überlebte Hellmuth Freudenberger, der über Israel und Argentinien nach Uruguay fliehen konnte. Dort lernte er seine spätere Frau Hanna Bing kennen, die ebenfalls in Frankfurt aufgewachsen war.
Hannas Vater, Alfred Bing, stammte aus Butzbach, die Mutter Erna, geborene Rothschild, aus Frankfurt. Bing hatte in Butzbach das Realgymnasium besucht und schloss die Schulausbildung mit dem Einjährigen, der Mittleren Reife, ab. Nach zweijähriger Lehrzeit bei der Lederwarenhandlung Binswanger in Frankfurt ging er nach London, um dort seine Fremdsprachenkenntnisse zu erweitern. Zurück in Frankfurt wurde er bei der Lederfirma Adler-Cassel in Frankfurt tätig. Wie die meisten jungen Männer nahm auch er als Soldat am Ersten Weltkrieg teil. 1919 heiratete er Erna und lebte mit ihr in den 30er Jahren in der Böhmerstraße, später im Haus von Ernas Eltern in der Wolfsgangstraße 51. Die beiden Kinder Franz Markus und Hanna wurden 1921 und 1923 geboren.
Während Franz nach der Grundschule ins Lessinggymnasium wechselte, besuchte Hanna Bing zunächst die Holzhausenschule und später bis zur Auswanderung 1938 die Fürstenbergerschule. Dabei spielte die liberale Haltung der Schulleiterin Oechler wohl eine zentrale Rolle. Hanna und ihr Bruder Franz gehörten zu den wenigen jüdischen Kindern in Frankfurt, die nach den Nürnberger Gesetzen 1935 noch eine öffentliche Schule besuchten. Nach dem Novemberpogrom 1938 war dies nicht mehr möglich. Die Haltung der Schulleiterin drückte sich auch in dem Abgangszeugnis und einem Führungszeugnis aus, wonach Hanna die Schule, „auf Wunsch der Eltern“ verließ.
Hanna hatte gute Erinnerungen an ihre Kindheit vor 1933, hatte viele christliche Freundinnen. Sie spielten zusammen und luden sich gegenseitig ein. Doch nach dem Beginn der NS-Herrschaft fühlte sie sich sehr einsam. Eine Szene hat sie nicht vergessen: „Ich ging, wie zu dieser Zeit immer, allein im Schulhof, als eine Mitschülerin mich auf ihrem Fahrrad verfolgte und lachend rief: ‚Jetzt fahre ich das Judenmädel tot.‘ Ich lief weg, meine Mitschülerin fuhr mir unter dem Lachen der anderen immer nach. Es war die Tochter eines Pfarrers.“ Hanna wagte nicht, solche und ähnliche Ereignisse zu Hause zu erzählen.
Musik spielte bei der Familie Bing eine große Rolle. In der für die Emigration nach Uruguay zusammengestellten Umzugsgutliste ist ein Flügel genannt sowie zahlreiche Noten von Beethoven, Schumann, Schubert u.a. Operngläser lassen auf einen regelmäßigen Besuch der Oper schließen.
Erna Bing war für die Frankfurter Oper tätig; ihr Engagement wurde mit dem Beginn der NS-Zeit beendet, wie ein Dokument der Städtischen Bühnen vom 1. April 1933 belegt. Ihr wurde vom Intendanten der Oper mitgeteilt: „Nach Beschluss der Städtischen Verwaltung dürfen im Städtischen Opernhaus keine Juden mehr mitwirken noch beschäftigt werden. Wir bedauern daher, dass Sie in den betreffenden Opern, in denen Sie eingeteilt sind, nicht mehr mitwirken können.“ Ob Erna Bing im 1933 gegründeten Jüdischen Kulturbund eine Rolle spielte, ist bislang nicht bekannt.
In dem Buch von Jochen Martini über den jüdischen Kulturbund wird allerdings Ernas Bings Tochter Hanna mit einer Tanzdarbietung bei einer Chanukkafeier am 12.12.1937 erwähnt.
Auf weitere Hobbies und Freizeitbeschäftigungen lassen drei Fotoapparate und Sportgeräte wie Tennisschläger sowie Tischtennisschläger mit Bällen und Netz schließen.
Musik, Sport und Tanz haben vielleicht ein wenig abgelenkt von den ernüchternden Erfahrungen, die die Mitglieder der Familie machen mussten, denn zu Hause war die Stimmung gedrückt, erinnerte sich Hanna Bing: „Aber auch zu Hause war es nicht mehr so wie früher. Meine Eltern waren immer traurig, meine Mutter war nervös und ängstlich, wenn mein Vater verreist war, und begrüßte ihn erlöst, wenn er wieder nach Hause kam. Ich erinnere mich, dass ich dies alles beobachtete, aber zu niemandem davon sprechen konnte.“
Hannas Vater, der Kaufmann Alfred Bing, leitete die Vertretung der Firma „Spinnerei und Weberei Zell-Schönau“ in Zell-Wiesenthal/Baden für den süddeutschen Raum. Ernas Vater Max Rothschild war bereits für diese Firma tätig gewesen, wodurch eine jahrzehntelange Verbindung der Familie mit der Firma bestand. Seit dem Beginn der NS-Zeit gab es zunehmend Probleme mit der Deutschen Arbeitsfront, der DAF, die die „Spinnerei und Weberei Zell-Schönau“ aufforderte, Bing zu entlassen. Zunächst blieben diese Versuche erfolglos, da die Geschäftsleitung hinter Bing stand. 1936 wurde jedoch mit der Neuorganisation der Vertreterbezirke der Einfluss von Alfred Bing auf Frankfurt beschränkt und damit auch seine Verdienstmöglichkeiten. Zwei Jahre später gab der Frankfurter Kaufmann auf und entschloss sich, mit seiner Familie auszuwandern. Neben seiner Tätigkeit als Vertreter besaß Alfred Bing noch ein Geschäft für Babyausstattung in der Wolfsgangstraße 51, das er von seinem Schwiegervater übernommen hatte. In diesem Geschäft beschäftigte er, so die Tochter, mehrere Angestellte, Näherinnen und einen Geschäftsführer. Auch diese Firma musste Bing zum 1. Oktober 1938 aufgeben.
Am 28. Oktober 1938 verließ die Familie Deutschland mit dem Schiff „Jamaique“ in Richtung Südamerika.
Zur Finanzierung des Lebensunterhalts und der Auswanderungskosten hatte Alfred Bing seine Lebensversicherung bei einer Schweizer Versicherung, die unter normalen Umständen 1947 fällig gewesen wäre, vorzeitig aufgelöst. Aufschlussreich ist der Schriftwechsel mit der Versicherung in der Nachkriegszeit, die betonte, es habe sich dabei um eine rein versicherungsrechtliche Abwicklung gehandelt. Eine Schädigung des Kunden sei nicht damit verbunden gewesen. Ob die Vertragsauflösung „durch rassische Gründe bedingt“ war, hatte man, so die Versicherung, nicht zu prüfen.
Das noch verbliebene Vermögen der Bings wurde durch die „Reichsfluchtsteuer“ sowie die „Dego-Abgabe“ noch weiter geschmälert. Die „Dego-Abgabe“ war eine teilweise mit hohen Gebühren verbundene Abgabe, die zur Zeit des Nationalsozialismus bei Auswanderung an die Deutsche Golddiskontbank zu entrichten war.
Alfred Bing hatten die Ereignisse in Deutschland gesundheitlich schwer zugesetzt. Hanna berichtete, er habe kurz nach der Ankunft noch im Hafen in Montevideo einen schweren Herzanfall erlitten. Ihr Vater konnte daher, so Hanna Bing, in Uruguay keiner Arbeit mehr nachgehen. 1947 starb er dort im Alter von 63 Jahren. Seine Witwe Erna heiratete 1953 wieder und lebte später in den USA.
Hanna konnte ihre Ausbildung in Uruguay nicht fortsetzen. Sie musste zum Familienunterhalt beitragen und arbeitete als Kindermädchen, später als Gymnastiklehrerin.
Am 24.8.1946 heiratete sie Hellmuth Freudenberger. Das Ehepaar hatte zwei Kinder. Doch die Ehe war nicht glücklich und wurde 1959 wieder geschieden. Hellmuth lebte später wieder in Israel, wo er 2003 starb. Hanna Freudenberger kehrte 1973 wieder nach Deutschland zurück. Ihre beiden Kinder leben heute in Deutschland.