KURZBIOGRAPHIE
Yona Dreifuss
geb. am 21. März 1947 in Haifa, damals Palästina, heute Israel
Ingenieur (PhD)
Teilnahme am Besuchsprogramm 2017
mit seiner Ehefrau
Tova Dreifuss, geb. Minster
geb. am 7. August 1948 in Haifa
Lehrerin
Yona und Tova leben in Haifa/Israel
Kinder:
Ariel, geb. am 7. Mai 1974
Merav, geb. am 4. September 1976
Elhanan, geb. am 7. August 1985
Eltern von Yona Dreifuss:
Johanna/Hanni Dreifuss, geb. Mayer
geb. am 15. August 1924 in Frankfurt am Main
gest. am 20. Februar 1996 in Haifa
Kindertransport im Dezember 1938 via Hamburg nach England/UK,
zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Max/Meir
Samson-Raphael-Hirsch-Schule, 1930-1938
Emil Dreifuss
geb. am 30. Juli 1913 in Königsbach
gest. am 27. November 2005 in Haifa
Emigration im Jahre 1938
Die Eltern lernten sich in Israel kennen;
Mutter lebte in Tel Aviv, Vater in Haifa.
Geschwister von Hanni Dreifuss, geb. Mayer:
Siegfried/Shmuel,
Jahrgang 1920
Netty, Jahrgang 1922
Max/Meir, Jahrgang 1926
Großeltern:
Eltern von Hanni Dreifuss, geb. Mayer:
Joseph Mayer
geb. 1893 in Frankfurt am Main
gest. am 26.April 1974 in Tel Aviv
Edith Mayer, geb. Loeb (Löb)
geb. 1896 in Frankfurt am Main
gest. am 17. Mai 1969 in Tel Aviv
Joseph Mayer war Börsenmakler
ab 1934 Leiter eines „Knabenheims“ im Wohnhaus der Familie in der Hölderlinstr. 10
Familie gehörte der orthodoxen Religionsgemeinschaft an (S.R.H. Synagoge)
Ur-Großeltern:
Eltern von Edith Mayer, geb. Loeb:
Nachum Loeb
geb. am 30. September 1861 in Frankfurt am Main
gest. am 29. November 1942 in Theresienstadt
Deborah Loeb, geb. Stern
geb. am 11. Juli 1872 in Hamburg
gest. am 21. November 1942 in Theresienstadt
Letzte Adresse von Nachum und Deborah Loeb in Frankfurt: Uhlandstr. 46 (Ostend)
Eltern von Joseph Mayer:
Max Mayer
geb. 1854 in Frankfurt
gest. 1924 in Frankfurt
Berta Mayer, geb. Goldschmid
geb. 1862
gest. 1926 in Frankfurt
Eltern von Emil Dreifuss:
Ludwig/Louis Dreifuss
geb. am 17. Dezember 1879 in Königsbach
gest. am 20. Mai 1968 in Haifa
Helena Dreifuss, geb. Daube
geb. am 2. September 1884 in Königsbach
gest. am 2. Juli 1969 in Haifa
Quellen:
- Bundesarchiv Gedenkbuch
- Yona Dreifuss, Hanni Mayer, Kristallnacht, Skript 2017
- Erinnerung braucht Zukunft, Der Ort der zerstörten Synagoge an der Friedberger Anlage in Frankfurt am Main, hrsg. von der Initiative 9. November, hier insbes.: Dies waren gute deutsche Bürger, Interview von Petra Bonavita mit Max Mayer, 2002
- Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW)
- Jüdisches Museum Frankfurt, Datenbank „Deportierte Juden aus Frankfurt am Main“, Gedenkstätte Neuer Börneplatz
- Ostend, Blick in ein jüdisches Viertel, Ausstellungskatalog des Jüdischen Museums Frankfurt, 2000, hier insbes. Yaakov Zur, Jüdische Jugend im Dritten Reich
- Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt (PJLF): Yona Dreifuss, PJLF-Fragebogen, 2017
- PJLF: Tonaufzeichnung: Yona und Tova Dreifuss in der Anne-Frank-Schule am 15. Mai 2017 (Moderation Till Lieberz-Groß)
Photos:
Familienbesitz Yona Dreifuss
Michael Maynard aus: Katalog des Jüdischen Museums Frankfurt, 2000
Till Lieberz-Groß
Recherche und Text:
Till Lieberz-Groß
Erschienen:
2018
Yona und Tova Dreifuss
“… neither to Jews nor to any other people in the world”
Die Flucht der Familie Mayer nach Palästina
Von Till Lieberz-Groß
Die Familie von Yona Dreifuss kann auf eine Jahrhunderte lange Tradition in Deutschland zurückblicken. Der Großvater Joseph Mayer war ein dezidiert deutscher Patriot und Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg; seine Frau Edith, geb. Loeb, kam aus einer alteingesessenen orthodoxen Frankfurter Familie.
Von den Nazis werden sie als Juden drangsaliert, verfolgt und aus der Heimat verjagt. Mit viel Glück kann sich die Familie Mayer nach Palästina retten: Die Großeltern Joseph und Edith Mayer und ihre vier Kinder: Siegfried, Netty, Yonas spätere Mutter Hanni und Max. Die Eltern Ediths, Yonas Ur-Großeltern, Nachum und Deborah Loeb, geb. Stern, kommen 1942 in Theresienstadt um. Die Eltern Josephs, Max Mayer und Berta, geb. Goldschmid sterben bereits 1924 bzw. 1926.
Yona wird 1947 in Haifa, damals noch Palästina, als Sohn von Hanni Dreifuss, geb. Mayer und Emil Dreifuss geboren. Yona und seine Frau Tova nahmen am Besuchsprogramm der Stadt Frankfurt im Jahr 2017 teil.
Familiengründung in Palästina 1946
Yona Dreifuss wird am 21. März 1947 in Haifa geboren (damals noch Palästina, ab 1948 Israel). Seine Eltern, Hanni Dreifuss, geb. Mayer und sein Vater Emil Dreifuss lernen sich in Israel kennen. Hannis Eltern kamen aus Frankfurt am Main und Emils Eltern aus Königsbach in der Nähe von Pforzheim (Süddeutschland).
Hanni lebt mit ihren Eltern nach der Emigration in Tel Aviv, Emil mit seinen Eltern Ludwig/Louis Dreifuss und Helena geb. Daube, in Haifa. Hanni und Emil heiraten 1946 und ziehen nach Haifa.
Heimatstadt Frankfurt am Main
Yonas Großeltern, Joseph und Edith Mayer, wohnen seit ihrer Hochzeit wie die Eltern von Edith, Nachum und Deborah Loeb, in der Hölderlinstraße 10 im Ostend, in der Nähe des Frankfurter Zoos; das stattliche Haus hatte Edith als einziges Kind der Loebs als Mitgift in die Ehe gebracht. Die jungen Eheleute hatten sich als Nachbarkinder kennengelernt, in der Uhlandstraße 34 und 36.
Ediths Vater, Nachum Loeb, arbeitet als vereidigter Börsenmakler an der Frankfurter Börse; sein Schwiegersohn Joseph Mayer arbeitet als Devisenmakler. Joseph und Hanni bekommen vier Kinder: der erstgeborene Sohn Siegfried/Shmuel, die Töchter Netty und Johanna/Hanni, später Chana und Max, später Meir.
Hanni, geboren am 15. August 1924 in Frankfurt, besucht von 1930 bis 1938 die Samson-Raphael-Hirsch-Schule – bis ihre Schulausbildung mit der erzwungenen Emigration beendet wird. Hanni war Mitglied im Israelitischen Turnerbund (ITB).
Die Familie fühlt sich der orthodoxen Gemeinde in Frankfurt zugehörig, die 1853 vom Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808-1888) gegründet und deren prächtige Neue Synagoge in der Friedberger Anlage im Ostend im Jahr 1907 eingeweiht worden war.
Joseph Mayer ist aktives Gemeindemitglied und sogar als Kantor tätig. (Nach der Zerstörung durch die Nazis wird die Synagoge durch einen Hochbunker verdrängt und ist heute eine museale Gedenkstätte).
Das Wohnhaus wird zum Schülerheim
Mit der Machtübernahme der Nazis verliert Hannis Vater, Joseph Mayer, die Möglichkeit, seinen Beruf an der Börse auszuüben; er wird arbeitslos.
Auf Wunsch und auf Kosten der Gemeinde richtet er im Wohnhaus der Familie in der Hölderlinstraße 10 ein Schülerheim (Beith Neorim/Beth Nearim) mit 25 Doppelbetten ein, in dem ab 1934 bis zur Schließung nach dem Novemberpogrom 1938 im Laufe der Zeit 70 bis 100 Jungen – nicht nur aus der näheren Umgebung Frankfurts – wohnen und die Samson-Raphael-Hirsch-Schule besuchen.
Alfred Zuckermann, später Yaakov Zur, geboren in Rostock, berichtet über seine Zeit im Internat: „Mein Vater wollte es uns ersparen, als einzige jüdische Schüler in der Klasse zu sitzen. Und er fand eine Lösung. Ende 1935 kam ich mit meinem Bruder Max (Louis ein Jahr später) in ein neu gegründetes Schülerheim „Beith Neorim“ in der Hölderlinstr. 10. Ich wurde Schüler der Samson- Raphael-Hirsch-Realschule. Für mich als ältester Bruder noch nicht zwölf Jahre alt….war das alles erregend und neu – das Internat, die Großstadt, die jüdische Großgemeinde, die große und schöne Synagoge und besonders die jüdische Schule und die jüdischen Klassenkameraden und die jüdischen Lehrer. Für die Eltern, die mit meiner vierjährigen Schwester allein blieben, war es sicherlich sehr schwer und ein großes Opfer (auch materiell). Unter normalen Umständen wäre es undenkbar gewesen. Zwölf Stunden D-Zug-Reise trennten uns….“
Joseph Mayer leitet das Internat. Schon im Oktober 1938 werden lt. Arthur Zuckermann ostjüdische Kinder mitten in der Nacht aus dem Internat herausgeholt und ohne ihre Eltern an die polnische Grenze abgeschoben.
Während des Novemberpogroms 1938 werden sowohl Joseph Mayer als auch sein ältester Sohn Siegfried/Shmuel verhaftet: Der Vater wird in Buchenwald interniert, sein Sohn in Dachau. Das Schülerheim wird aufgelöst; die noch verbliebenen Schüler werden auf andere Einrichtungen verteilt und können – mit etwas Glück wie Arthur – Deutschland z.B. mit einer Kinder-Alijah-Gruppe verlassen.
Ausreise-Planungen zur Emigration nach Palästina
Bereits seit 1936 ist der Familie Mayer klar, dass sie in Deutschland nicht mehr sicher leben können. Laut Max/Meir Mayer entscheidet sich die gesamte Familie nach Erkundigungen im Familienkreis und einer Erkundungsreise der Eltern, möglichst bald nach Palästina auszuwandern. Allerdings lässt die Genehmigung bis Mitte 1938 auf sich warten, gerade noch rechtzeitig, um der Familie eine Zukunft zu eröffnen.
Die vierzehnjährige Hanni und ihr jüngerer Bruder Max (12) werden noch im Dezember 1938 mit Unterstützung der in Hamburg lebenden Schwester und der Nichte der Großmutter Deborah mit einem der ersten Kindertransporte über Hamburg nach England geschickt – im kleinen Gepäck ein Gebetbuch (Sidur) als Geschenk von Großmutter Deborah. Hanni und Max kommen zunächst bei einer deutsch-jüdischen Familie in Leeds unter, wechseln aber nach kurzer Zeit auf eigenen Wunsch zur orthodox lebenden Familie Horovitz, ebenfalls in Leeds.
Als Vater Joseph als Frontsoldat und Sohn Shmuel als Jugendlicher nach intensiven Bemühungen der Familie von den Nazi-Behörden zwei Wochen nach ihrer Internierung aus Buchenwald und Dachau frei gelassen werden, packt die Familie umgehend ihre Koffer, sollen sie doch innerhalb von 48 Stunden Deutschland verlassen. Mit dem Zertifikat für die Einreise nach Palästina können Joseph und Edith mit ihren Kindern Shmuel und Netty in die Schweiz ausreisen – ohne die Großeltern Loeb, die keine Ausreisepapiere haben.
Mit 42 Koffern im Gepäckwagen und 10 Reichsmark geht die Familie in Basel über die Schweizer Grenze und wartet in einer Flüchtlingspension auf die beiden jüngsten Kinder, Hanni und Max. Ein in London lebender Verwandter der Hamburger Familienlinie, Elkan Adler, damals bereits über 80 Jahre alt, bringt die beiden mit dem Zug über Frankreich in die Schweiz zu Eltern und Geschwistern. Die Familie kann nun vereint die Reise nach Palästina antreten: mit der Bahn über den Gotthard bis Triest und von dort mit dem Schiff „Galileo“ nach Haifa. Im Gepäck ist auch eine Thorarolle, die heute noch im Familienbesitz in Israel ist.
Neuanfang in Tel Aviv 1938
Der Anfang in der neuen Heimat ist schwer. Hat der Familie bei der Ausstellung des Einreisezertifikates noch geholfen, dass die Familie nicht unvermögend war und Vater Joseph als früherer Devisenhändler im Besitz von Devisen war, muss der Vater nun als Ausfahrer für ein Lebensmittelgeschäft seine Familie ernähren. Die Eingewöhnung wird insbesondere für die erwachsenen Familienmitglieder durch die Sprachschwierigkeiten erschwert. Den Kindern gelingt es schneller, Fuß zu fassen. Eingeschult in eine von deutschen Juden gegründete Schule lernen sie auch Ivrit; auch sie müssen allerdings möglichst schnell mit zum Familienunterhalt beitragen. Edith Mayer, Jg. 1896, stirbt bereits 1969; Joseph Mayer, Jg.1893, stirbt 1974 in Tel Aviv.
Deportation nach Theresienstadt 1942
Yonas Ur-Großeltern Loeb müssen unterdessen in Frankfurt ihre Wohnung in der Hölderlinstr. 10 räumen und werden gezwungen, zunächst in ein Haus in der Pfingstweidstraße und dann in die Uhlandstraße 46 umzuziehen. Von dort werden sie am 15. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Deborah Loeb stirbt 70jährig bereits am 21. November 1942 in Theresienstadt. Ihr 81jähriger Mann sitzt Schiwa für sie – und stirbt nach der siebentägigen Trauerwoche am 29. November 1942.
Beim Besuch in der Anne-Frank-Schule berichten Yona und Tova Dreifuss über ihre Familiengeschichten. Während Yonas Wurzeln in Frankfurt liegen, beginnt Tovas Familien-Geschichte in Rumänien. Sie hat im Gegensatz zu Yona durch die Shoa fast die gesamte Familie verloren. Ihre Mutter musste sich alleine durch den bitterkalten Kriegswinter und die permanenten Gefährdungen durchschlagen. Aber sie hat – anders als Yonas Mutter – über ihre schrecklichen Erlebnisse sprechen können.
Tova wird Lehrerin und gründet mit dem Ingenieur (PhD) Yona eine neue Familie in Israel. Viele Nachfahren der Familie sind nach den umgekommenen und ermordeten Familienmitgliedern benannt – so gibt es zB. etliche Nachums und Deborahs…
Sie sagt unter großem Beifall der Schüler und Schülerinnen: „I have got a message for you. We are all human beings. We have to love each other, care for each other – and not to let this thing happen again, never ever – neither to the Jews nor to any other people in the world”.
Und sie verrät den Anne-Frank-Schüler/innen noch etwas: Das Tagebuch der Anne Frank war das erste Buch, das sie im Zusammenhang mit der Shoa gelesen hat und das sie nachhaltig beeindruckt hat. Eine Schülerin bedankt sich ausdrücklich bei den Zeitzeugen Yona und Tova aus Israel und Lilian und Andrew Levy aus England/UK dafür, dass sie „so offen“ berichtet haben. Und im Gegenzug berichten einige Schülerinnen über ihre Familiengeschichten, die sie nach Frankfurt gebracht haben und aus ihnen Frankfurter und Frankfurterinnen gemacht haben.