Yoram Igaels Wunsch war auch, das Elternhaus seiner Mutter in der Falkensteiner Straße 1 zu besuchen. Auch hier war die Kontaktaufnahme mit den heutigen Bewohnern im Vorfeld wichtig und hilfreich. So konnten Yoram und Malka Igael am 2. Juni das Haus besuchen, in dem Yoram schon als Kind einige Male mit seinen Eltern gewesen war. Seine Großmutter kehrte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges dorthin zurück. Nach ihrem Tod wurde das Haus an eine zionistische Organisation verkauft. Zurzeit wird es von einer zionistischen Jugendgruppe bewohnt. Yoram und Malka Igael hatten bei diesem Besuch auch Gelegenheit, mit den jungen Leuten zu sprechen, wurden sogar zu einem kleinen Fest eingeladen. Auch diese Begegnung war für das Ehepaar etwas Besonderes!
Erst als Erwachsener erfuhr Yoram Igael vom Schicksal seiner Familie
Zusammen mit Micha Ramati, Sohn von Gretel Baum, einer ehemaligen Schülerin der Viktoriaschule, wie die Bettinaschule früher hieß, besuchte Yoram Igael die Bettinaschule und sprach dort mit Schülerinnen und Schülern.
In der Schule wurden wir von Herrn Antácido empfangen, der uns zunächst zu der Gedenkstätte im Schulhof führte. Dort werden die jüdischen Schülerinnen der ehemaligen Viktoriaschule mit einem großen Denkmal geehrt. Wir wurden auch Ursula Wirwas, verantwortlich für die Gedenkstätte und die Kontakte zu den ehemaligen Schülerinnen, und der Schulleiterin der Bettinaschule, Judith Ullrich-Bormann, vorgestellt.
Nach einer gemeinsamen Kaffeepause begaben wir uns zu einem Klassenzimmer, in dem uns ca. 20 Schüler und Schülerinnen der 11. Klasse schon neugierig erwarteten. Nachdem Herr Antácido die Besucher vorgestellt hatte, begann Yoram Igael mit einer Präsentation über seine Familie, die er ausführlich anhand von Bildern erklärte.
Danach hatten die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit, Fragen zu stellen.
Yoram Igael berichtete darüber, wie es war, in Israel als Sohn einer aus Europa stammenden Frau aufzuwachsen, die sich schwer tat, ihren Platz in der israelischen Gesellschaft zu finden. Jahrelang nahm er als Jugendlicher an den Gedenkfeierlichkeiten am Yom HaShoa teil, ohne dass ihm eine persönliche Verbindung mit dem Holocaust bewusst war. Yoram wuchs ohne seinen Großvater mütterlicherseits auf, seine Großmutter in Frankfurt besuchte er häufig mit seinen Eltern. Der Vater dagegen, der in Palästina geboren und aufgewachsen war, hatte eine große Familie.
Aviva Igael sprach nicht über ihre Vergangenheit, wollte ihren Sohn so normal wie möglich aufwachsen lassen. Aber da war irgendetwas im Hintergrund, merkte Yoram Igael an. Viel später erst erfuhr er, welches Schicksal seine Mutter, der Großvater und weitere Verwandte aus Deutschland erlitten hatten. Auch seine Frau Malka betonte, es sei nicht leicht gewesen, in Israel aufzuwachsen. Die Eltern wollten die Kinder beschützen und erzählten ihnen deshalb nichts von den eigenen traumatischen Erfahrungen. So komme es zu einem „lack of openness“, einer Leere, einer Distanz, die man spüre, aber nicht greifen könne. Malka Igael berichtete den Schülerinnen und Schülern, wie schwierig das Verhältnis zwischen Überlebenden und deren Kindern sein kann. So habe sie sich verantwortlich gefühlt, ihrem Vater zu helfen, in der israelischen Gesellschaft anzukommen.
Einige Fragen der Schülerinnen und Schüler und ihres Lehrers beschäftigen sich mit dem Verhältnis von Yoram Igael und seiner Mutter Aviva gegenüber Deutschland. Ob sich Aviva Igael eher als Deutsche, als Israelin oder als Französin fühle, wollte eine Schülerin wissen. Die Antwort von Yoram Igael ist eindeutig. Seine Mutter fühle sich als Israelin, weil sie dies wolle, sich dazu entschieden habe, aber ihre Wurzeln seien in Europa. Zwar habe sie kein Wort Deutsch mit ihm gesprochen, aber dennoch spreche sie immer noch fließend Deutsch, mit Frankfurter Akzent. Später, als Erwachsener, hatte Yoram Igael Deutsch-Kurse an der Universität besucht.
Im abschließenden Fazit betonte Procolino Antacido, wie wichtig es sei, mit Menschen zu sprechen, die in Israel leben. Auf diese Weise könnte man nicht nur mit ihnen über die Erfahrungen mit den Eltern und deren Traumata sprechen, sondern auch etwas über den Umgang mit dem Holocaust in Israel erfahren.
Der Vormittag in der Bettinaschule klang mit einem gemeinsamen Mittagessen aus, an dem auch Frau Wirwas und eine weitere Kollegin der Schule teilnahmen. Später kam noch die Schulleiterin dazu.