Elisabeth Rothstein, (1914 in Frankfurt -1994 in Bogota Kolumbien)

Teilnahme am Besuchsprogramm:
Elisabeth Rothstein 1990
Kinder:
Hilda Cabenel-Evans 2011
Michael Rothstein 2015
Andreas Rothstein 2016

Vater:
Nathan Mannheimer, (1865 in Birkenau/Odenwald -1951 in Brasilien)
Beruf: Lehrer, u.a. in der Schillerschule Frankfurt
Autor von Mathematiklehrbüchern

Mutter:
Bertha Mannheimer, geb. Katzenstein, (1880 in Eschwege -1963 in Brasilien)
Beruf: Musikerin, Musiklehrerin

Geschwister:
Erich (1903), Besuch der Goetheschule, 1922 Emigration nach Brasilien
Gertrud (1907), Besuch der Schillerschule, 1933 nach Brasilien

Wohnadressen:
Friedberger Landstraße 21, Blumenstraße 7 und Hammanstraße 6

Ausbildung:
Grundschule am Philantropin
Schillerschule
Musikerin mit Ausbildung am Hoch´schen Konservatorium

Emigration nach Kolumbien 1939
verheiratet mit Gerhard Rothstein (1910 in Berlin – 1978 in Bogota/Kolumbien)


Quellen:

  • Archiv der Schillerschule
  • Gespräche und mit Korrespondenz mit Michael und Andreas Rothstein
  • HHStAW
  • Martiny, Jochen: Musik als Form geistigen Widerstands, Frankfurt 2010
  • Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt (PJLF): Interview mit Elisabeth Rothstein 1990 (Gürsching/Kössler)

Abbildungen:
HHStAW, private Fotos der Familie Rothstein, Kaiserin-Friedrich-Gymnasium Bad Homburg

Text und Recherchen:
Angelika Rieber


Links
zu Berichten über den Besuch von Michael Rothstein und Andreas Rothstein in Deutschland:

Elisabeth Rothstein

„Wir waren Deutsche jüdischen Glaubens“

von Angelika Rieber

1914 wurde Elisabeth Charlotte Mannheimer in Frankfurt geboren. Der Vater war Lehrer an der Schillerschule, Schulbuchautor und bekannter Schachspieler. Nach dem „Einjährigen“, der Mittleren Reife, studierte Elisabeth Musik am Hoch´schen Konservatorium. Als sie 1934 ihre Musiklehrerprüfung ablegte, war sie damit aber nur noch berechtigt, jüdische Schülerinnen und Schüler zu unterrichten. 1939 flüchtete die Frankfurterin nach Kolumbien. Dort heiratete sie den Musiker Gerhard Rothstein. 1990 besuchte Elisabeth Rothstein im Rahmen des Besuchsprogramms der Stadt Frankfurt ihre frühere Heimat.

A Christmas Carol – Die Nacht vor Weihnachten

Am 17. Dezember 1914 erblickte Elisabeth Charlotte Mannheimer, genannt Lieselotte, das Licht der Welt. Der Erste Weltkrieg hatte gerade begonnen. Mit ihren beiden älteren Geschwistern Erich (1903) und Gertrud (1907) wuchs sie in Frankfurt auf. Zunächst lebte die Familie in der Friedberger Landstraße, später in der Blumenstraße im Nordend.

Der Vater, Nathan Mannheimer, unterrichtete als Lehrer an der Schillerschule, damals ein Mädchengymnasium, die Mutter Bertha war Cellistin und Musikpädagogin.

Lieselotte besuchte die Schillerschule, wo ihr Vater viele Jahre Lehrer gewesen war, bevor er seinen Beruf aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste. Im Schularchiv ist ein Aufsatz von Lieselotte überliefert. Darin beschreibt sie die Lebensweisen in Deutschland und in England folgendermaßen:

“In Germany as in most other countries on the continent people generally live in flats… ´My home is my castle`, says the Englishman and as a householder he has certain ancient rights and privileges that he defends with great persistence…“. Erhalten ist auch eine Eintragung der Jugendbücherei der Schule, wonach sich Lieselotte das Buch A Christmas Carol – Die Nacht vor Weihnachten von Charles Dickens ausgeliehen hatte.

„Mir wurde eigentlich erst unter Hitler bewusst, dass ich Jüdin war“

In ihrer Klasse sei sie die einzige jüdische Schülerin gewesen, berichtet Elisabeth Rothstein bei ihrem Besuch in Frankfurt. Es gab jedoch, so erinnerte sie sich, zahlreiche Schülerinnen jüdischer Herkunft, die getauft waren. In der Schule nahm Elisabeth am jüdischen Religionsunterricht teil, auch wenn die Familie Mannheimer nicht sonderlich religiös war. Ihre Mutter sei der Religion gegenüber sogar sehr distanziert gewesen, da dort „die Männer alle Rechte haben und die Frau überhaupt keine“. Ihre Mutter Bertha Mannheimer sei „bewusst emanzipiert“ gewesen. Im Gedächtnis geblieben ist Elisabeth Rothstein auch das politische Klima in der Schule, das sie als sehr deutsch-national ausgerichtet beschreibt. Antisemitismus spürte sie kaum. „Wir waren Deutsche jüdischen Glaubens. Ich wurde mir eigentlich erst unter Hitler bewusst, dass ich Jüdin war.“ Die Familie fühlte sich integriert. Eigentlich sah man bis 1933 keinen Unterschied. Trennungslinien spürte man eher gegenüber den aus Osteuropa eingewanderten Juden.

„Ihre Leistungen waren immer mustergültig“

Nach dem „Einjährigen“, der Mittleren Reife, verließ Elisabeth Mannheimer die Schule, um am Hoch‘schen Konservatorium zu studieren. Ein Jahr lang hielt sie sich auch in Prag auf.
In einem Zeugnis des Hoch`schen Konservatoriums von 1932 wird ihr größter Fleiß und Gewissenhaftigkeit attestiert. „Ihre Leistungen waren immer mustergültig gewesen und bei ihrem Talent und ihrer Musikalität wird sie es sicherlich weit bringen.“

1934, ein Jahr nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten, legte Elisabeth Rothstein ihre Musiklehrerprüfung ab, vor einer zu dieser Zeit bereits gleichgeschalteten Prüfungskommission. Ihr Zeugnis enthielt neben der Tatsache, dass die Beurteilung weit weniger positiv war, eine gravierende Einschränkung. Es gestattete ihr lediglich, jüdischen Studierenden Musikunterricht zu erteilen. „Da Fräulein Mannheimer die arische Abstammung nicht nachgewiesen hat, kann sie von der für die Erteilung des Unterrichtserlaubnisscheins zuständigen Regierung nur die Unterrichtserlaubnis für nichtarische Schülerinnen und Schüler erhalten.“
Im selben Jahr heiratete Elisabeth den Kaufmann Kurt Max Adler. Ein Jahr später kam die Tochter Hilde zur Welt.

Mehrere Faktoren behinderten damit eine erfolgreiche Karriere als Musikerin. Belegt ist lediglich, dass Elisabeth Adler in einem Konzert des Jüdischen Kulturbundes spielte. Zusammen mit ihrer Mutter trat sie in einer „Channukah-Feier der Hausfrauen“ am 6.12.1934 auf. Musikunterricht scheint sie kaum gegeben zu haben, denn: „Welche jüdische Familie hatte damals Interesse, seinem Kind Cello-Unterricht geben zu lassen?“ So arbeitete sie zeitweise als Kindermädchen

„Die Kristallnacht war dann wirklich das Signal“

Deutschland zu verlassen, war für die Adlers zunächst keine Option. Sie dachten, „a) so schlimm wird es nicht werden, b) sehr lange kann es sowieso nicht gehen.“ Dennoch gab es kurz vor dem Novemberpogrom Bemühungen, nach Kolumbien auszuwandern, denn der Vater einer früheren Schülerin von Bertha Mannheimer war Konsul von Kolumbien. Elisabeth Adlers Mutter setzte sich energisch dafür ein, dass ihre Tochter dieses Angebot auch wahrnahm. „Meiner Mutter ist es zu verdanken, dass ich nach Kolumbien gekommen bin. Wenn sie nicht gewesen wäre, dann wäre ich im Konzentrationslager umgekommen.“, kommentierte Elisabeth Rothstein die Bemühungen ihrer Mutter. Da es jedoch Probleme mit den Pässen gab, verzögerte sich die Ausreise.
Das Novemberpogrom veränderte die Sichtweise der Familie grundlegend. „Die Kristallnacht, das war dann wirklich das Signal.“ In der elterlichen Wohnung blieb „kein Stein auf dem anderen“, erinnerte sich Elisabeth Rothstein. Man erzählte ihr, die Täter hätten mit ihrem wertvollen Cello auf die anderen Möbelstücke eingeschlagen. „Und es ist nichts geblieben von dem, was sich Menschen so im Leben aufbauen.“
Trotz dieser ernüchternden Erfahrungen machte Elisabeth Adler auch positive Erfahrungen und berichtete über frühere Angestellte und andere Bekannte, die ihnen weiterhin freundschaftlich verbunden waren und ihnen halfen.
Da der kolumbianische Präsident nach dem Novemberpogrom die zwischenzeitlich gesperrten Pässe wieder für gültig erklärt hatte, gelang der Familie am 29.11.1938 über Hamburg die Flucht nach Kolumbien. Auf dem Schiff, so erinnert sich Elisabeth Rothstein, gab es auch einige Männer, die in Lagern gewesen waren. So wurde die junge Frau direkt mit deren Traumatisierungen konfrontiert. „Manche konnten nicht darüber sprechen.“ Erleichterung verspürte Elisabeth Adler darüber, dass sie auf dem Schiff, der „Caribian“, gut behandelt wurden. Der Kapitän des Schiffes sei Gegner der Nationalsozialisten gewesen.

Gerhard Rothstein galt als reicher Mann, da er ein festes Gehalt hatte“

Der Anfang in Kolumbien war schwer. Neben Sprachproblemen und der ihnen fremden Kultur plagten die Adlers materielle Sorgen, denn man durfte zu dieser Zeit Deutschland nur mit 10 Reichsmark pro Person verlassen. Wenigstens hatten die Adlers Wäsche und Bücher mitnehmen können sowie eine Nähmaschine, die allerdings beschädigt ankam. Unterstützung erhielt die Familie von Elisabeths Bruder Erich aus Brasilien und von der HICEM, einer jüdischen Hilfsorganisation. Elisabeth Adler gab Privatunterricht und wurde Mitglied im Staatlichen Symphonieorchester. Dort lernte sie auch ihren späteren Mann Gerhard Rothstein kennen. Um sich scheiden zu lassen, was damals in Kolumbien nicht möglich war, musste Elisabeth Adler zum mexikanischen Konsulat.
Nach der Heirat mit Gerhard Rothstein bekam das Paar zwei Söhne, Michael (1945) und Andreas (1950).

Gerhard Rothstein stammte aus Berlin und war schon 1936 nach Kolumbien gekommen. Man hatte damals für den Neuaufbau des Symphonieorchesters in Bogota einen Wettbewerb in Berlin ausgerichtet und vier Musiker ausgesucht, die in Kolumbien als Lehrer und Musiker tätig werden sollten, darunter den Geiger Gerhard Rothstein. Da dieser mit einem Vertrag nach Kolumbien gekommen war, „galt er als ein reicher Mann, denn er hatte ein festes Gehalt“. Später wurde Gerhard Rothstein Dirigent des Orchesters. Gerhards Vater, ein bekannter Altphilologe, starb 1940 in Berlin, ein Bruder schloss sich der Resistance in Frankreich an.

Über die Vergangenheit wurde nicht viel gesprochen

Trotz der schwierigen Lebensbedingungen in Kolumbien blieb die Familie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dort und verwarf Überlegungen, nach Deutschland zurückzukehren. Über die Familiengeschichte und die Vergangenheit wurde in der Familie nicht viel gesprochen. Dennoch hatte Michael Rothstein, der in Kolumbien aufwuchs, immer das Gefühl, dass er wegen seiner Herkunft irgendwie nicht dazu gehörte. „Ich wurde in der Schule gemobbt, weil ich jüdisch, deutsch und dadurch anders war“, erzählte er Schülerinnen und Schülern in Bad Homburg. Die Heimat seiner Eltern war trotz ihres Schweigens immer präsent.

Auf Einladung der Stadt Frankfurt besuchte Elisabeth Rothstein 1990 ihre alte Heimat und wenige Monate später kam sie erneut zur Eröffnung einer Ausstellung über jüdische Musiker nach Frankfurt.

Auch die Kinder von Elisabeth Rothstein waren daran interessiert, in Deutschland auf Spurensuche zu gehen. Die Tochter Hilde nahm 2011 am Besuchsprogramm der Stadt teil. Der Sohn Michael folgte 2015 der Einladung der Stadt, die seit 2012 auch den Kindern ehemaliger Frankfurterinnen und Frankfurter anbietet, die frühere Heimatstadt ihrer Eltern kennenzulernen.

Er suchte nach den Spuren seiner Vorfahren in Birkenau/Odenwald, wo sein Großvater herstammte, suchte nach den Unterrichtsbüchern, die sein Großvater geschrieben hatte und nutzte die Reise nach Deutschland, um in Berlin den Spuren seines Vaters nachzugehen.

Im Kaiserin-Friedrich-Gymnasium in Bad Homburg sprach er mit Schülerinnen und Schülern und legte ihnen dort ans Herz: „Unterschiede sind gut. Niemand ist deswegen besser oder schlechter. Alle Menschen sind gleich.“