KURZBIOGRAPHIE

Susan Merzbach

Teilnahme am Besuchsprogramm Juni 2022

Vater:
Peter Merzbach (1907-1997)
- Besuchte Schule/Ausbildung: Goethegymnasium, Universität, Arzt
- Emigration in die Niederlande (1934) und in die USA (1938)

Großeltern:
Albert Merzbach (1875-1918)
Rechtsanwalt
Sophie Jenny Merzbach, geb. Spier
(1880-1943)
- geboren in in Wickrath
- 1937 Emigration in die Niederlande
- ermordet in Auschwitz

Wohnadressen:
Zeppelinallee 35, Bockenheimer Anlage, Eschenheimer Anlage


Quellen:

Hessisches Landesarchiv

Arolsen Archives

Gedenkbuch Bundesarchiv

Informationen, Dokumente und Fotos von Susan Merzbach

Korrespondenz von Angelika Rieber mit Susan Merzbach

Sammlung Krüner, Wickrath

https://de.wikipedia.org/wiki/Beiersdorf_AG

https://gedenkstaette-bernburg.sachsen-anhalt.de/

Recherchen und Text:

Angelika Rieber

Jenny Merzbach, geb. Spier

Jenny Merzbach – nach Auschwitz verschleppt

von Angelika Rieber

Jenny Spier aus Wickrath

Sophie Spier, genannt Jenny, wuchs in Wickrath auf, wo ihr Vater Zacharias Lederfabrikant war.

Die Lederfabrik Spier war der größte Arbeitgeber in der Wickrath, heute ein Stadtteil von Mönchengladbach. Heute ist nur noch ein Teil des früheren Fabrikgeländes erhalten.

1905 heiratete die 1880 geborene Jenny Spier in Wickrath den Rechtsanwalt Dr. Albert Friedrich Merzbach. Ihr Mann stammte aus einer bekannten Offenbacher Familie. Er war Sohn von Heinrich Merzbach und Enkel des Gründers der Merzbach-Bank in Offenbach, Siegmund Merzbach, nach dem heute ein Platz in Offenbach benannt ist. Albert starb 1918 als „Held des 1. Weltkriegs“. Er ist auf dem jüdischen Friedhof in der Rat-Beil-Straße in Frankfurt am Main beerdigt.

Das Ehepaar hatte drei Kinder, Anneliese (1906), Peter (1907) und Susanne (1911). Die Familie lebte in der Zeppelinallee 35. Ab den 30er Jahren wohnte Jenny Merzbach zunächst in der Bockenheimer Anlage, später in der Eschenheimer Anlage.

„… dass Sie vorläufig keine Aussicht haben, die deutsche Approbation als Arzt zu erhalten“ – Peter Merzbach*

Ihr 1907 geborener Sohn Peter Merzbach studierte nach dem Besuch des Goethe-Gymnasiums Medizin in Freiburg, Köln und Frankfurt. Nach seinem Studien-Abschluss 1933 sah er keine Aussicht auf eine Approbation, denn der Preußische Minister des Inneren hatte ihm am 5. März 1934 mitgeteilt: „Ich weise Sie schon jetzt darauf hin, dass Sie vorläufig keine Aussicht haben, die deutsche Approbation als Arzt zu erhalten.“ –

Zusammen mit seiner Verlobten Amelie Grünhut beantragte er eine Einreiseerlaubnis für die USA. Bis zum Erhalt der Visa gingen sie zunächst nach Holland, „um wenigstens nicht in Deutschland sich weiteren Schikanen aussetzen zu müssen“. Dort heirateten die beiden im Mai 1934. Allerdings war es Peter Merzbach auch hier nicht möglich, seine Ausbildung fortzusetzen bzw. zu beenden. So arbeitete er dort bei einer deutschen Firma, bei Beiersdorf, bis zu seiner Entlassung 1938.

Auch der Vorstand der Firma Beiersdorf war seit 1933 durch die Nationalsozialisten so unter Druck gesetzt worden, dass alle jüdischen Mitglieder, wie der seit 1922 amtierende Vorsitzende Willy Jacobsohn, zurücktraten. Wegen der jüdischen Herkunft der Gründerfamilie gab es Hetzkampagnen in Parteizeitungen, unter anderem im „Stürmer“, und Kampagnen: „Kauft keine Judencreme“. Jacobsohn selbst führte die ausländischen Tochtergesellschaften von Amsterdam aus und emigrierte 1938 in die USA.

Peters Merzbachs Frau Amelie war Sekretärin bei Willy Jacobsohn und hatte mit ihm zusammen Deutschland verlassen und war ihm nach Holland gefolgt. Peter Merzbach blieb noch bis zum Abschluss seines Studiums in Deutschland. In der Familie wird erzählt, Peter Merzbach habe das Studium als Sohn eines im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten noch beenden können und weiterhin ein Dokument unterschrieben, wonach er nie in Deutschland praktizieren würde.

Nachdem seine zukünftige Frau ihm eine Stelle in einem Forschungslabor der Firma Beiersdorf beschaffen konnte, folgte er ihr nach Holland, wo sie bis zu ihrer erzwungenen Entlassung tätig waren. Im selben Jahr erhielt das Ehepaar eine Einreisegenehmigung für die USA, wo sie im September 1938 eintrafen.

In den USA musste Merzbach erneut studieren, während seine Frau mit Gelegenheitsarbeiten notdürftig den Lebensunterhalt bestreiten konnte. 1941 erhielt Peter Merzbach schließlich die Zulassung als Arzt und ließ sich in Amherst in Massachusetts nieder.

Seiner Tochter Susan gegenüber hat Peter Merzbach nie über die Vergangenheit und das Schicksal seiner Mutter gesprochen. Es war zu schmerzhaft für ihn, obwohl seine Tochter davon ausgeht, dass er glückliche Jahre in Frankfurt verbracht hatte.

„Unbedenklichkeitsbescheinigung“ – Flucht von Jenny Merzbach nach Holland

Jenny Merzbach folgte ihrem Sohn Peter 1937 in die Niederlande, obwohl noch viele Fragen rund um ihre Auswanderung nicht geregelt waren. So hatte sie noch nicht die erforderliche „Unbedenklichkeitsbescheinigung“, da sich die erforderlichen Akten im Amtsgericht in Düsseldorf befanden. Auch das in der Ausstellung „Stolperseiten“ in der Frankfurter Universitätsbibliothek gezeigte Dokument belegt, mit welchen Hindernissen die Emigranten bei ihrer Auswanderung zu kämpfen hatten.

Daher hatte Jenny Merzbach zunächst gezögert, ihren Wohnsitz ins Ausland zu verlegen. Erschwerend kam hinzu, dass später ihre Versorgungsbezüge eingestellt wurden, da sie sich im Ausland befand.

Das Versorgungsamt hatte ihr über ihren Anwalt im Februar 1937 dazu mitgeteilt: „Nach der Verordnung des Reichspräsidenten ruhen die Versorgungsbezüge nach dem RVG, solange der Bezugsberechtigte ohne Zustimmung der obersten Reichsbehörden seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt außerhalb des Deutschen Reiches hat.“ Eine Genehmigung werde seit dem 1.10.1934 grundsätzlich nicht mehr erteilt, es sei denn, dass die „Bezüge für die Dauer des Auslandaufenthaltes auf ein Sonderkonto bei der Devisenbank eingezahlt werden, das die Verwendung des Geldes nur für eigene Rechnung im Inland zulässt.“

Dennoch entschloss sich Jenny Merzbach, nach Holland zu gehen. Zunächst lebte sie in Naarden, ab 1939 in Amsterdam, zunächst in der Beethovenstraat, zuletzt in der Scheldenstraat.

Während es ihrem Sohn gelang, 1938 in die USA zu kommen, blieb Jenny Merzbach wegen der ungeregelten Finanzfragen in Holland und versuchte mithilfe eines Rechtsanwaltes ihre Interessen zu vertreten.

In Holland musste sie nach der Eroberung Westeuropas 1940 ab Mai 1942 die Kennzeichnungspflicht erleben und war zum Tragen des gelben Sterns verpflichtet. Am 21. November 1942 wurde Jenny Merzbach verhaftet und ins Polizeigefängnis in Scheveningen, am 6. Dezember 1942 nach Westerbork verbracht und von dort knapp ein Jahr später, am 14. September 1943, nach Auschwitz verschleppt. Das Todesdatum ist laut Gedenkbuch des Bundesarchivs der 17. September 1943.

Als „asozial“ deklariert – Anneliese Merzbach

Auch die Tochter Anneliese, Anne-Lies, wie sie sich nannte, wurde Opfer des Holocaust. Sie war von Beruf Diätassistentin und mit Max Schmidt, einem Nichtjuden, verheiratet, von dem sie später getrennt lebte. Mit Auslandsaufenthalten und vorübergehenden Tätigkeiten in Italien, Jugoslawien und Rumänien versuchte sie ihr Leben zu meistern.

1938 kehrte sie nach Deutschland zurück und wurde von der Mutter mit monatlich 200 Mark unterstützt. Im November 1940 wurde Anneliese Schmidt verhaftet, mit der Begründung, sie habe ihre Einkünfte nicht korrekt angegeben und habe die Einrichtung eines „Devisenkontos“, zu dem sie verpflichtet gewesen sei, unterlassen. Daher wurde ein Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet.

In einem Brief an die „Devisenstelle“ des Finanzamtes widersprach sie den Anschuldigungen. Da sie zudem, so die Begründung der Behörde, keinen festen Wohnsitz in Deutschland vorweisen konnte, wurde sie ins Lager Ravensbrück verschleppt. Dort wird sie in einer Liste vom 1. November 1941 als „asozial“ gekennzeichnet. Vorübergehend war Anneliese Schmidt in einem Frauengefängnis in Berlin und ab Juli 1942 erneut im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. In einem Schreiben an die „Devisenstelle“ gibt Anneliese Schmidt als Häftlingsnummer 5372 an, Block 11 a.

Von Ravensbrück aus wurde sie in die Tötungsanstalt Bernburg an der Saale verschleppt. Dort wurden von 1940-43 rund 14.000 Patientinnen und Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten im Rahmen der NS-Euthanasie sowie Häftlinge aus den Konzentrationslagern Buchenwald, Flossenbürg, Groß-Rosen, Neuengamme, Ravensbrück und Sachsenhausen ermordet. Im Spätsommer 1943 wurde die „Euthanasie“-Anstalt Bernburg geschlossen.

Das Todesdatum von Anneliese Schmidt ist laut Gedenkbuch des Bundesarchivs am 1. Mai 1942. In einem anderen Dokument aus dem Jahr 1956 wird der 2. April 1942 als Todesdatum genannt.

Rettung mit falschem Pass – Susan Merzbach

Ihre Schwester Susanne Sabine, genannt Susan, floh nach Paris. Dort entging sie knapp einer Verhaftung durch die Gestapo. Sie färbte ihr Haar blond, änderte ihren Namen in Susanne Martine und beschaffte sich gefälschte Papiere. Sie heiratet Oskar Wappner, einem nichtjüdischen Österreicher. Er war Buchhalter bei der Firma Lederer, wo sie als Näherin und Modell arbeite. Mit ihm zog sie nach dem Zweiten Weltkrieg in dessen Heimatstadt Wien.

Auf Spurensuche in Frankfurt, Offenbach und Wickrath – Susan Merzbach

2022 nahm Peter Merzbachs Tochter, die auch Susan heißt, am jährlichen Besuchsprogramm der Stadt Frankfurt teil. Da ihr Vater nur wenig über seine Geburtsstadt und die Schicksale seiner Angehörigen gesprochen hatte, lag es Susan Merzbach am Herzen, die Spuren ihrer Vorfahren zu suchen. Schon im Vorfeld drückte sie den Wunsch aus, das Haus in der Zeppelinallee zu sehen, in dem ihr Vater und seine Geschwister aufgewachsen waren, und das Grab ihres Großvaters Albert Merzbach auf dem Jüdischen Friedhof in der Rat-Beil-Straße in Frankfurt. Wichtig war es ihr, mehr über ihre Großmutter Jenny und ihr Schicksal zu erfahren, ebenso wie über ihre Tante Anneliese, von der sie bislang nur wenig wusste. Das traurige Ende ihrer Tante hat sie sehr berührt.

Spontan entschloss sich Susan Merzbach, nach Wickrath zu fahren, wo ihr Urgroßvater einst eine Lederfabrik besaß. Auch der Besuch auf dem Jüdischen Friedhof in Offenbach war ihr ein dringendes Anliegen, denn dort konnte sie zahlreiche Gräber ihrer Merzbach-Vorfahren finden.

Ihr Vater hatte ihr nur wenig erzählt. Und die Geschichte, mit denen sie aufwuchs, war eine „sichere“ Version. Sie wusste zwar, dass ihre Großmutter und die Tante umgebracht wurden, kannte aber bislang nicht die genauen Umstände des Leidenswegs der beiden. Einerseits sind diese neuen Erkenntnisse für Susan erschreckend und schmerzlich, andererseits erlebt sie diese Konfrontation mit den Tatsachen auch als hilfreich und heilsam. „Am Ende verstehe ich, warum mein Vater nur „sichere“ Geschichten erzählen konnte, denn die Wahrheit ist fast unerträglich. Und doch ist es die Wahrheit, die uns alle letztendlich heilen wird.“

Nun ist es ihr ein Herzenswunsch, mit Stolpersteinen an die Schicksale von Jenny und Anneliese zu erinnern.