KURZBIOGRAPHIE

Max Mader geb. 1932 in Frankfurt a.M.
Teilnahme am Besuchsprogramm 2005
Emigration: Kindertransport nach Holland im November 1938 und weiter nach England im April 1939
Ende der 50 Jahre Weiterwanderung nach Israel

Eltern
Gerszon Mader geb. 1900 in Belz, Galizien, später Polen
Rosa Mader geb. Schönberg geb. 1907 in Berlin
Emigration im Juni und Anfang September 1939 nach England

Schwester
Edith Mader geb. 1931 in Frankfurt a.M.

Wohnadressen: Seilerstraße, zuletzt Hanauer Landstraße 16 a

Großmutter: Beila Slotwiner-Mader, geb. 1870 in Belz – 30.09.1942 in Theresienstadt

Großtante: Regina Wertheimer, geb. 1874 in Krakow/Krakau/Galizien, später Polen – 06.02.1944 in Theresienstadt


Quellen:

Hessisches Landesarchiv
Online Gedenkbuch Bundesarchiv und Deportiertendatenbank Frankfurt
Abschiedsrede von Max Mader im Frankfurter Römer am 20. Juli 2005
FR vom 28.7.2005: „An einem Tag ist eine ganze Welt zusammengebrochen“ von Andreas Kraft
Private Berichte, Briefe, Fotos, Texte und Dokumente der Familie Mader

Fotos:

Angelika Rieber (privat), Max Mader (privat)

Text und Recherche:

Angelika Rieber

Max Mader

von Angelika Rieber

„Thank you to the music“

Zusammen mit seiner Frau und den beiden Söhnen besucht Max Mader 2005 auf Einladung der Stadt Frankfurt seine Geburtsstadt, mit ambivalenten Gefühlen und Zweifeln. Im Alter von sechs Jahren kann er mit seiner Schwester Edith Frankfurt mit einem Kindertransport verlassen. Zunächst sind die beiden Kinder in den Niederlanden, später wandern sie nach Großbritannien weiter. Getrennt voneinander fliehen die Eltern nach England, wo sie ihre Kinder ein Jahr später wiedersehen können. Der Vater von Max, Gerszon Mader, wird englischer Soldat, stirbt jedoch 1941 im Alter von nur 41 Jahren. Max Mader lebt 20 Jahre lang in England, bevor er nach Israel auswandert.

Von Galizien nach Frankfurt

Max Maders Familie stammt ursprünglich aus Belz in Galizien, einem Teil von Österreich-Ungarn, der nach dem Ersten Weltkrieg polnisch wird. Dort wird Gerzon Mader 1900 geboren. 1904 zieht die Familie nach Frankfurt am Main. Gerszon wird Kaufmann und betreibt einen Wäsche-Versandhandel. Seine spätere Frau Rosa Schönberg, in Berlin geboren, wächst seit ihrem 13. Lebensjahr bei ihrer verwitweten und kinderlosen Tante Regina Wertheimer in Frankfurt auf. Rosas Eltern sind beide taubstumm. Vielleicht erhoffen sie sich bei der Tante bessere Entwicklungschancen für ihre Tochter.

1930 heiraten Rosa Schönberg und Gerszon Mader. Rosa gibt ihre Stelle als Sekretärin auf, um sich der Erziehung der beiden Kinder, der 1931 geborenen Tochter Edith und dem 1932 geborenen Sohn Max, zu widmen. Die Familie lebt zunächst in der Seilerstraße, später in der Hanauer Landstraße. Da sich der Machtantritt der Nationalsozialisten negativ auf die Geschäfte von Gerszon Mader auswirkten, muss er sein Wäschegeschäft aufgeben und verkauft nun Obst. Seit 1935 arbeitet Rosa Mader wieder und wird Sekretärin im Israelitischen Waisenhaus im Röderbergweg. Dort hat Gerszon einige Zeit „als Zögling“ gelebt.

Max Mader hat nur wenige Erinnerungen an Frankfurt. Aber er hat noch die Marschlieder im Ohr, denn er wurde öfters Augen- und Ohrenzeuge von Aufmärschen der NSDAP. Wenn er sie hörte, rannte der Junge neugierig zum Fenster und wurde von seiner Mutter sofort wieder zurückgeholt.

Eine Welt stürzt zusammen

Den 10. November 1938 wird Max jedoch nie vergessen, denn er verändert sein Leben grundlegend. Max ist kurz vorher in die Schule gekommen. Am 10. November ist Gerszon Maders 38. Geburtstag. Tante Regina ist da, denn sie kümmert sich, wenn die Eltern arbeiten, um die Kinder. Gerszon Mader bleibt an diesem Tag zu Hause, nicht wegen seines Geburtstags, sondern, weil es ihm zu gefährlich erscheint, aus dem Haus zu gehen. Rosa Mader ist bereits in ihrer Arbeitsstelle im Waisenhaus. Zu viert sitzen sie zusammen, als es klingelt. Vier Männer stehen vor der Tür, verlangen nach Gerszon Mader – und nehmen ihn mit. Mit der Verhaftung des Vaters stürzt für Max eine Welt zusammen. Tante Regina und die Kinder eilen kurz später zum Waisenhaus, um Rosa Mader von der Verhaftung ihres Mannes zu berichten. Dort erleben sie, wie die SA versucht, Isidor Marx, den Leiter des Waisenhauses, zu verhaften, der jedoch von Jugendlichen aus dem Heim, die ihn versteckt haben, geschützt wird.

Mit dem Kindertransport gerettet

Das Waisenhaus ist nach dem Novemberpogrom komplett überfüllt. Kinder aus anderen Waisenhäusern und Internaten wie der Jüdischen Bezirksschule in Bad Nauheim und dem Kinderheim in Dietz fliehen nach Frankfurt. So bemüht sich die Heimleitung darum, so viele Kinder wie möglich auf schnellstem Weg ins Ausland und in Sicherheit zu bringen.

Noch am selben Abend, erinnert sich Max, kann eine erste Gruppe in die Niederlande gebracht werden, darunter Max und seine Schwester Edith. Max kann sich nicht mehr richtig an den Abschied von der Mutter erinnern, die sich neben der Sorge für die eigenen Kinder und der Verantwortung für die Kinder des Waisenhauses noch um die Freilassung ihres Mannes bemühen muss. Gerszon Mader wird zusammen mit anderen Verhafteten nach Buchenwald gebracht und ist dort wochenlang inhaftiert.

Wiedersehen in Devon

In den Niederlanden erwartet die Geschwister ein warmherziger Empfang. Sie kommen in ein jüdisches Kinderheim in Den Dolder, einem großen Haus mitten im Wald, so erinnert sich Max und daran, dass am Tag nach der Ankunft ein Artikel in einer holländischen Zeitung erschien mit einem Foto von ihm.
Bis zum 18. April 1939 bleibt der Junge in den Niederlanden, bis er die Möglichkeit erhält, nach England weiterzuwandern. Dort lebt Max in sechs verschiedenen Orten, Heimen, Pflegefamilien und Schulen. Seine Schwester Edith kommt im Juli 1939 nach. Auch sie findet zunächst, wie ihr Bruder, für Jahre kein wirkliches Zuhause. Bis 1941 ist das Leben der beiden Geschwister sehr instabil.

Nach wochenlanger Haft in Buchenwald kann Gerszon Mader im Juli 1939 nach England fliehen, mit Visa für Kolumbien in der Tasche. Bei seiner Freilassung setzt man ihm eine Frist von sechs Monaten, um Deutschland zu verlassen, verbunden mit der Androhung einer erneuten Verhaftung. Die Umzugsgutlisten offenbaren, dass er wohl Raucher ist, denn dort werden Tabak und Zigarren aufgeführt. Ebenfalls enthält die Liste einen Fahrradumhang und lässt ahnen, dass er wohl passionierter Fahrradfahrer war. In England kommt Gerszon Mader in ein Flüchtlingscamp, dem Kitchener Camp in Sandwich in Kent. Nach Kriegsbeginn meldet er sich umgehend bei der britischen Armee.

Seine Frau Rosa ist noch in Deutschland geblieben und setzt sich zusammen mit dem Ehepaar Marx nach Kräften dafür ein, Kinder ins Ausland zu retten. Sie kümmert sich um die Passangelegenheiten, Auswanderungs- und Einwanderungsgenehmigungen für die Kinder, arbeitet dabei eng mit dem Palästinaamt zusammen und begleitet Kindergruppen ins Ausland. „Rosa Mader war keine Bürogehilfin, sondern Beraterin, Mitarbeiterin, ´rechte und linke Hand` des Leiters und der Leiterin“, so beurteilt Isidor Marx ihre Arbeit im Rückblick. Rosa Mader gelingt es in letzter Minute, am 3. September 1939, dem Tag des Kriegseintritts von Großbritannien, mit einem Visum als domestic servant, als Hausangestellte, in England anzukommen.

Ihre Tante Regina Wertheimer muss sich nun mit der „Zollfahndungsstelle“ auseinandersetzen. Wer ausreist, muss jeden Gegenstand, den er mitnehmen möchte, in einer Liste aufführen, inklusive Anschaffungszeitpunkt und dem damaligen Wert. Die Listen und das Gepäck werden streng geprüft und, wenn man Glück hat, freigegeben. Die Erstellung dieser Listen und die ständigen Nachfragen und Streichungen werden von den Emigranten verständlicherweise als Schikane empfunden. Die „Zollfahndungsstelle“ wirft Rosa Mader vor, sie habe nicht alle Mitnahmegegenstände in der „Umzugsgutliste“ aufgeführt und falsche Angaben über den Anschaffungspreis und -zeitpunkt gemacht. Solche Beschuldigungen führten häufig zu Nachfragen und Androhungen, allzu oft zur Beschlagnahmung des gesamten Umzugsguts. Schließlich werden einige der Gegenstände beschlagnahmt, unter anderem 4 Sporthemden, 6 Betttücher, 9 Kinderschlüpfer, 2 Damenschlüpfer, 1 Schlafanzug und 6 silberne Kaffeelöffel.

Nach ihrer Flucht nach England ist Rosa Mader zunächst in einem Flüchtlingsheim untergebracht, später arbeitet sie als Hausgehilfin. Nach den Bombenangriffen auf London wird sie nach North Devon evakuiert.

Weitere zwei Jahre lang leben die Familienmitglieder getrennt voneinander in allen Teilen des Landes verstreut, bis sie endlich im Mai 1941 in Devon, Ilfracombe, wiedervereint sind – doch nicht lange, denn Gerszon Mader stirbt ein halbes Jahr später, im November 1941, im Alter von nur 41 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts.

Rosa, Max und Edith Mader haben den Holocaust überlebt, viele ihrer Angehörigen jedoch nicht. Tante Regina und die Großmutter Beila Slotwinder-Mader werden am 15. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Dort stirbt Regina Wertheimer nach wenigen Wochen, die Großmutter im Februar 1944. Auch zwei Brüder von Rosa Mader werden deportiert und ermordet.

Ein Leben für die Musik

Seit die Kinder wieder mit der Mutter zusammen sind, verläuft ihr Leben in ruhigeren Bahnen. Max geht in Devon in die Schule und erinnert sich, dass er dort zum ersten Mal Musikunterricht hat. Seitdem lässt ihn die Musik nicht mehr los. Lebhaft erinnert er sich an das Lied „The Seas of Devon“, das er heute noch singen kann. 1946 zieht Rosa Mader mit den beiden Kindern nach London. In der Schule erhält Max ein Cello und spielt im Schulorchester.

Mit dem Haus, in dem sie lebten, verbindet sich die Erinnerung an Beethovens „Egmont“ und Mozarts „Kleiner Nachtmusik“. In der obersten Etage wohnt ein Ehepaar in einer kleinen Wohnung, die keinen Platz für ihr voluminöses Grammophon bietet. Also stellt das Ehepaar das Gerät in den Flur. Regelmäßig erbebte das Haus mit dieser Musik, denn das Ehepaar besitzt nur zwei Schallplatten.

Nach der Schule geht Max für zwei Jahre zur Armee und wird Cellist in der Air Force Band. Er möchte anschließend auf die Musikakademie, aber gleichzeitig auch nach Palästina. So entschließt er sich erst einmal, in ein Hachschara-Lager, einem landwirtschaftliches Lehrgut, zu gehen. In der Eder-Farm wird er für die Auswanderung nach Israel ausbildet. Dort lernt er seine spätere Frau Joy kennen.

Rosa Mader zieht 1953 nach New York, wo bereits ihre Tochter Edith lebt. Dort wird sie für die United Restitution Organisation tätig. 20 Jahre nach seiner Ankunft in England kann Max Mader seinen Traum realisieren. Zusammen mit seiner Frau und einem Musikstudium in der Tasche wandert er nach Israel aus, in den Kibbuz Kfar Hannasi. Eigentlich ist er darauf vorbereitet und hat sich darauf gefreut, für die Kühe zuständig zu sein. Stattdessen soll er Musiklehrer im Kibbuz werden.

Er bildet sich weiter in der Lehrerbildungsstätte Oranim, entwickelt Programme für die Musikerziehung, insbesondere für ältere Schüler, und erhält eine Gesangsausbildung – mit weitreichenden Folgen. „My life changed!“ Er beginnt eine neue Karriere als Opernsänger.

Mit 70 Jahren hat Max Mader eigentlich vor, sich zur Ruhe zu setzen und der Musik für ein erfülltes und abwechslungsreiches Leben zu danken. „Thank you to the music!“ Aber die Musik lässt ihn nicht los. Der neue Lebensabschnitt stellt ihn vor neue Aufgaben. Nun bietet er Musikworkshops für Pensionäre in seinem Kibbuz an, quasi als Universität des 3. Lebensalters (U3L).

Zurück in Frankfurt

Frankfurt, seine Geburtsstadt, die er im Alter von sechs Jahren verlassen musste, hat Max Mader fast vergessen, vielleicht verdrängt. Doch die Gedanken an den Holocaust begleiten ihn ständig. Er stellt einen Antrag, um von der Stadt Frankfurt im Rahmen des jährlichen Besuchsprogramms eingeladen zu werden. Als die Einladung kommt, packen ihn Zweifel. Sein erster Impuls ist, sofort abzusagen. 67 Jahre ist es her, seit Max Mader Deutschland verlassen hat. Keinen Fuß will er wieder in das Land setzen, das seine Familie auseinandergerissen hat. Doch dann spricht er mit anderen ehemaligen Frankfurtern, denen es ähnlich ergangen war wie ihm und die ihre Entscheidung, die Einladung anzunehmen, nicht bereut haben. In seinem Umfeld wird die Annahme einer solchen Einladung sehr unterschiedlich gesehen. Während die Einen skeptisch oder ablehnend sind, berichten Andere, es sei eine gute Erfahrung, mit Jugendlichen und Lehrkräften zu sprechen. Max Mader fragt seinen Rabbiner um Rat, der ihm dringend ans Herz legt und es als Verpflichtung ansieht, der Jugend in Deutschland von den eigenen Erfahrungen zu berichten. Seine beiden Söhne Adam und Gershon, nach seinem Großvater benannt, und seine Frau, die ihn nach Frankfurt begleiten werden, leisten ebenfalls Überzeugungsarbeit. Deine Wurzeln sind in Frankfurt. Frankfurt ist ein Teil von dir, tief in dir verborgen, argumentieren sie.

Das Anschreiben des Projektes Jüdisches Leben in Frankfurt bestätigt Max Mader in seiner Entscheidung, in seine Geburtsstadt zurückzukehren. In Frankfurt wird er von der Musterschule eingeladen. Dort spricht er über seine Lebensgeschichte. Für ihn ist die Gelegenheit, mit Jugendlichen in Deutschland zu sprechen, einer der bedeutungsvollsten Teile seines Besuches in Frankfurt. Und die Musik darf nicht fehlen. Zwei Mal gehen sie in die Oper und sind erstaunt, wie informell es dort zugeht.

Besonders wichtig ist der Familie die Erinnerung an Regina Wertheimer. Gemeinsam gehen sie an das Haus in der Hanauer Landstraße 16 a und bringen dort ein Poster an, das über die Verhaftung des Vaters/Großvaters am 10. November 1938 und über das Schicksal der Tante informiert. Sie zünden eine Kerze an und sprechen Gebete. Eine Frau kommt aus dem Haus und erzählt, die Kastanie vor dem Haus sei 100 Jahre alt, also eine Zeitzeugin der Ereignisse. Gershon Mader hält den „Baum, der alles gesehen hat“ mit einem Foto fest.

Beeindruckt ist Max von den Erinnerungsorten in Frankfurt und von den vielen jungen Menschen, die er im Jüdischen Museum oder an der Gedenkstätte am Börneplatz sieht.

Am Ende seines Aufenthaltes spricht Max Mader im Kaisersaal des Römers über seine Erfahrungen. Er sei ohne Erwartungen gekommen, auch ohne Groll. Kaum angekommen, stellt er jedoch fest, dass Frankfurt in ihm arbeitet. Und er spürt, dass es nun einen Platz für Frankfurt in ihm gibt und er sagen kann: „Ich bin ein Frankfurter!“

Auch für die beiden Söhne von Max Mader ist der Besuch nicht frei von beklemmenden Gefühlen. Aber sie bemerken, dass die Begegnungen und Gespräche ihre negativen Gefühle abbauen und den Blick in die Zukunft richten. „How do we learn from the past for a better future?“, diese Frage bewegt Gershon Mader und er sieht es als Aufgabe an, „to support Jews (and Germans) from the first and second generation to bring some closure to the horrible events they encountered or witnessed in the Holocaust. … The trip with my father to Frankfurt touched and moved me.“

Mit einem berührenden Film „They´re playing one of my songs“, würdigt Adam Mader nicht nur die Lebensleistung seines Vaters, sondern stellt die Musik in den Mittelpunkt, die Max Mader in seinen wechselvollen Lebensphasen begleitet hat. Thank you to the music!