Nathan Mannheimer

Teilnahme am Besuchsprogramm:
Tochter:
Elisabeth Rothstein 1990
Enkel:
Hilda Cabenel-Evans 2011
Michael Rothstein 2015
Andreas Rothstein 2016

Nathan Mannheimer, geb. 1865 in Birkenau/Odenwald, gest. 1951 in Brasilien
Beruf: Lehrer, u.a. Schillerschule Frankfurt
Autor von Mathematiklehrbüchern

Bertha Mannheimer, geb. Katzenstein, geb. 1880 in Eschwege, gest. 1963
Beruf: Musikerin, Musiklehrerin

Wohnadressen: Friedberger Landstraße 21, Blumenstraße 7

Kinder: Elisabeth (1914), Gertrud (1907), Erich (1903)

Emigration nach Brasilien am 23. Dezember 1938


Quellen:

  • Archiv der Schillerschule
  • Gespräche und Korrespondenz mit Michael und Andreas Rothstein
  • HHStAW
  • Informationen von Karl Krollmann und Hans-Peter-Klein
  • Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt (PJLF): Interview mit Elisabeth Rothstein 1990 (Gürsching/Kössler)
  • Schachverein Koblenz

Abbildungen/Fotos:
HHStAW, Archiv der Schillerschule, private Dokumente, Schachclub Koblenz, Angelika Rieber

Text und Recherchen:
Angelika Rieber


Links
zu Berichten über den Besuch von Michael Rothstein und Andreas Rothstein in Deutschland:

Oberlehrer Nathan Mannheimer

Zuflucht in Südamerika

von Angelika Rieber

Nathan Mannheimer stammte aus Birkenau im Odenwald. Nach seiner Ausbildung als Religionslehrer studierte Mannheimer Naturwissenschaften. Ab 1909 unterrichtete er an der Schillerschule in Frankfurt und machte sich als Schulbuchautor einen Namen. Darüber hinaus war Mannheimer als Schachspieler weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Seine aus Eschwege stammende Frau Bertha war Musikerin und Musikpädagogin.

Nach dem Novemberpogrom 1938 emigrierte das Ehepaar nach Brasilien, wo bereits zwei ihrer Kinder lebten. Dort starb Nathan Mannheimer 1951.

Bewegt steht Michael Rothstein vor dem Grabstein seines Urgroßvaters Elias Mannheimer.

Michael Rothstein nutzte die Einladung der Stadt Frankfurt zur Spurensuche in Birkenau im Odenwald. Von dort stammte sein mütterlicher Großvater.

Nathan Mannheimer: Lehrer – Schulbuchautor – Schachspieler

Nathan Mannheimer wurde 1865 als neuntes Kind von Elias Mannheimer und seiner Ehefrau Jettchen in Birkenau im Odenwald geboren.

Zunächst besuchte Nathan Mannheimer die Volksschule, dann die Höhere Bürgerschule in Weinheim sowie die Höhere Lehranstalt in Pfungstadt, wo er zum Religionslehrer ausgebildet wurde. Im Frühjahr 1884 kam Mannheimer als Lehrer nach Düdelsheim in Oberhessen. Zehn Jahre später holte er sein Abitur nach und studierte Mathematik und Naturwissenschaften an der Universität Heidelberg. Seine Ausbildung schloss er mit einer Dissertation ab zum Thema: Untersuchungen über die Möglichkeit algebraischer Differentialgleichungen für additiv und multiplicatorisch-periodische Functionen zweiter Gattung.

Mannheimer arbeitete anschließend als Mathematiklehrer in Dürkheim und Frankenthal, ab 1900 war er an verschiedenen Schulen in Frankfurt tätig. 1909 erhielt er dann eine feste Anstellung als Oberlehrer an der Schillerschule, einem Mädchengymnasium. Früh musste Mannheimer jedoch aufgrund eines Hörschadens seinen Beruf aufgeben.

Eine frühere Schülerin, die 1926 ihr Abitur ablegte, beschreibt ihn als hervorragenden Mathematiklehrer. Zunächst sei er ihnen unheimlich gewesen, ein Schulbuchautor und dann gar noch Schachmeister von Frankfurt. Aber „wenn die Stunde begann, ging ein Zauber von der schmalen Gestalt aus. Die schwierigsten Konstruktionen, unverständlichen Gleichungen und Regeln wurden plötzlich klar und einfach. Seine Begeisterung teilte sich uns mit.“ Zu ihrem großen Bedauern konnte Mannheimer die Klasse aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr bis zum Abitur begleiten.

Mannheimer machte sich einen Namen als Autor verschiedener Schulbücher für den Mathematikunterricht, die jahrzehntelang als Standardwerke in Schulen verwendet wurden, in Deutschland ebenso wie in Südamerika. In der NS-Zeit verschwand sein Name als Autor dieser Lehrbücher.

Bekannt ist der Lehrer und Buchautor heute noch als zweimaliger Schachmeister der Stadt Frankfurt und als fünfmaliger Sieger des Meisterturniers des Mittelrheinischen Schachbundes.

Von Eschwege nach Frankfurt – Bertha Katzenstein

Mannheimers 1880 geborene Ehefrau Bertha (Brendel) stammte aus Eschwege. Sie war die Tochter des Fabrikanten Joseph Katzenstein und seiner Ehefrau Dorothea, geborene Fränkel.

Ein Jahr nach Berthas Geburt starb Joseph Katzenstein, im Alter von nur 38 Jahren. Zusammen mit ihren beiden Brüdern Ludwig Elisier (1875) und Gustav Isaac (1879) verbrachte das Mädchen die ersten 14 Jahre ihres Lebens in Eschwege. 1894 entschloss sich Dorothea Katzenstein mit ihren beiden jüngeren Kindern nach Frankfurt zu ziehen. Dort lebte der ältere Sohn Ludwig seit 1889.

Nach dem Schulabschluss studierte Bertha Katzenstein Musik am Hoch´schen Konservatorium in Frankfurt und war als Pianistin und Musikpädagogin tätig. Sie heiratete den aus Birkenau/Odenwald stammenden Nathan Mannheimer. Das Ehepaar Mannheimer lebte mit den beiden Töchtern Gertrud (1907) und Elisabeth (1914) und dem Sohn Erich (1903) zunächst in der Friedberger Landstraße 21, später in der Blumenstraße 7 in Frankfurt am Main. Die Mitglieder der Familie waren nicht sonderlich religiös, hatten aber gute Kontakte zur den Rabbinern Salzberger und Lämmle, die sie sehr schätzten. Mit ihnen hielten sie auch nach der Flucht aus Deutschland weiterhin Kontakt.

Die Familie fühlte sich in die Gesellschaft integriert. Bertha Mannheimer sang im Cäcilienchor, man hatte christliche wie jüdische Freunde, „es gab eigentlich vor 1933 keinen Unterschied“, so Elisabeth Rothstein, die Tochter.

Um das in der Wohnung befindliche Bargeld entbrannte ein Streit unter den Plünderern: Novemberpogrom 1938

Die Ereignisse während der NS-Zeit bedeuteten einen tiefen Einschnitt im Leben der Familienmitglieder. Die Tochter Gertrud besuchte 1932/33 ihren 1922 nach Brasilien ausgewanderten Bruder Erich. Dort erfuhr sie vom Machtantritt der Nationalsozialisten. Ihr Bruder ließ nicht zu, dass sie unter diesen Umständen nach Deutschland zurückkehrte. So blieb Gertrud Mannheimer in Brasilien. Die Tochter Elisabeth schloss noch 1934 ihre Ausbildung zur Musiklehrerin ab, durfte jedoch, wie ihre Mutter, keine „Arier“ unterrichten. Archiv unterlagen zeigen, dass Bertha Mannheimer an verschiedenen Konzerten des Jüdischen Kulturbundes beteiligt war. Zusammen mit ihrer Tochter Elisabeth spielte sie am 6.12.34 bei einer „Channuka-Feier der Hausfrauen“. Erwähnt wird Bertha Mannheimer auch in einer Auflistung des Kulturbundes: „Die jüdischen Tonkünstler empfehlen sich“. An Konzertabenden der Reihe „Jugend musiziert“ trat Bertha Mannheimer 1935 im Vereinshaus in der Eschersheimer Landstraße auf.

Trotz der zunehmenden Einschränkungen wollten Nathan und Bertha Mannheimer Deutschland zunächst nicht verlassen. Das Novemberpogrom 1938 führte ihnen jedoch deutlich vor Augen, dass es keine Zukunft mehr in Deutschland gab. Ihre Wohnungen wurden verwüstet, das ganze Mobiliar zerstört, darunter ein wertvolles Cello. Um das in der Wohnung befindliche Bargeld, eine Rückzahlung des Finanzamtes, entbrannte ein Streit unter den Plünderern, erinnerte sich Bertha Mannheimer. Da in der Zwischenzeit die Fortsetzung der „Aktion“ abgeblasen wurde, blieben die beiden Klaviere von der Zerstörungswut verschont. Auch wenn der durch die „Kristallnacht“ angerichtete materielle Schaden die Familie zutiefst getroffen hatte, empfand Bertha Mannheimer insbesondere den ideellen Schaden als „schmerzlich und unersetzlich“.

Flucht nach Brasilien

Am 23. Dezember 1938 verließ Nathan Mannheimer mit seiner Frau Deutschland, das einst seine Heimat gewesen war, und ließ sich in Brasilien nieder, wo bereits der Sohn Erich und die Tochter Gertrud lebten. Der Tochter Liselotte/Elisabeth gelang es, nach Kolumbien zu fliehen.

Nervenzerrende Verhandlungen über eine Zusatzabgabe verzögerten die Mitnahme ihres Umzugsgutes, das zunächst in Frankfurt gelagert und nicht zugestellt wurde. Schließlich wurde der Versand des „Liftes“, so nannte man die Umzugscontainer, genehmigt.

Neben der Belastung durch die hohe Besteuerung des Umzugsgutes wurde das Leben der Familie in Brasilien zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass Nathan Mannheimer von der Stadt Frankfurt entlassen und damit seit dem 1.6.1941 auch die Pensionszahlungen eingestellt wurden. Nathan Mannheimer starb 1951 im Exil in Brasilien.

65 Jahre später suchte der Enkel Michael die Spuren seiner Vorfahren bei einem Besuch in Frankfurt am Main und in Birkenau im Odenwald. Bewegt stand er vor dem Grabstein seines Urgroßvaters in Birkenau. „Gibt es die Bücher des Großvaters noch?“, fragte Michael Rothstein.

In der Universitätsbibliothek in Frankfurt fand er sie. Staunend und andächtig vertiefte er sich in die Lektüre der Werke seines Großvaters, den er kaum kennengelernt hatte. So konnte er sich wenigstens durch seine Spurensuche in Frankfurt und im Odenwald ein wenig ihm vertraut machen.