KURZBIOGRAPHIE

Name:
Patrick Nussbaum, 1968 in Montevideo in Uruguay geboren

Teilnahme am Besuchsprogramm: 2012
Teilnahme der Eltern: 2008
Teilnahme der Großeltern: 1980

Vater:
Rolf Nussbaum, 1932 in Frankfurt geboren. Die Familie wohnte in der Bleichstraße 4. Während Rolfs Vater nach der Entlassung aus Buchenwald
nach Holland floh, wurde der siebenjährige Rolf mit Freunden der Familie nach Paris geschickt, während seine Mutter den Frankfurter Haushalt auflöste und die Auswanderung betrieb.

Großeltern:
Leo Nussbaum, 1901 in Frankfurt geboren und Hedwig Nussbaum, geb. Wetzlar, 1906 in Frankfurt geboren

Schule:
Leo besuchte das Kaiser-Friedrich-Gymnasium, das heutige Gagern-Gymnasium im Ostend.

Emigration:
1938/39 auf mehreren, verschiedenen Fluchtwegen und Stationen über Holland, Paris und Marseille nach Montevideo/Uruguay

Ur-Großeltern:
Josef Nussbaum, 1869 in Mittelsinn geboren; seit 1896 in Frankfurt

Caroline Nussbaum, geb. Strauss, 1868 in Hobbach geboren. Sie wohnten seit 1903 in dem Wohn- und Geschäftshaus auf der Zeil 43 und hatten dort eine Schuhgroßhandlung.

Heinrich, 1864 in Fulda geboren, und Rosa Wetzlar, geb. Rosenstock, 1871 in Gersfeld geboren. Sie wohnten von 1920 bis 1942 in der Gr. Friedberger Str. 29.

Stolpersteine:
Inzwischen gibt es sowohl auf der Zeil 43 als auch in der Großen Friedberger Straße 29 Stolpersteine für die deportierten und ermordeten Vorfahren Nussbaum und Wetzlar.


Quellen:

  • Deportiertendatenbank Frankfurt, Jüdisches Museum
  • Gespräche und Korrespondenz mit Rolf und Patrick Nussbaum 2008, 2010, 2012, 2013
  • Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
  • Private Dokumente und Fotos der Familie Nussbaum
  • Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt (PJLF): Mitschnitt des Gespräches in der Ernst-Reuter-Schule
  • Sonja Wegner, Zuflucht in einem fremden Land. Exil in Uruguay 1933-1945, Hamburg 2013

Fotos:
Renate Rauch und Angelika Rieber

Text:
Renate Rauch

Patrick Nussbaum

Der Sohn erfüllt einen Wunsch seines verstorbenen Vaters

von Renate Rauch

Von Montevideo nach Frankfurt – in die Heimat der Vorfahren

Patricks Großeltern, Leo und Hedwig Nussbaum, waren unter den ersten Gästen, die Anfang der 80er Jahre der Einladung der Stadt Frankfurt folgten. Getrieben von Heimweh überwanden sie die Angst und die Verzweiflung über die Deportation und Ermordung ihrer Eltern. Auch Patricks Vater, Rolf Nussbaum, meldete sich für das Besuchsprogramm der Stadt Frankfurt an und kam 2008 mit seiner Frau Martha in die Stadt, die er im Alter von sieben Jahren hatte verlassen müssen. Patrick, der Enkel, kam 2012 nach Frankfurt. Er trug den gesamten Familienstammbaum samt Fotos aller Vorfahren im Gepäck.

Auf dem 44-Jährigen lasteten die Schatten der Vergangenheit, die seine damals fast 80-jährigen Eltern und Großeltern bei ihren Besuchen bedrückt hatten, nicht mehr in demselben Maße wie auf seinen Vorfahren.

Im Jahr 2012 kam Patrick Nussbaum (Jahrgang 1968), Sohn von Rolf Nussbaum, 1932 in Frankfurt geboren, und Martha Nussbaum, geboren 1935 als Martha Aued in Montevideo/Uruguay, nach Frankfurt. Damit setzte er die Tradition der Familie Nussbaum fort, der Einladung der Stadt Frankfurt zu folgen, was für andere ehemalige Frankfurterinnen und Frankfurter keineswegs selbstverständlich ist.

Patricks Großeltern Leo und Hedwig Nussbaum waren unter den ersten, die sich ab 1980 für eine Einladung nach Frankfurt anmeldeten. Sein Vater Rolf Nussbaum nahm 2008 an dem Besuchsprogramm der Stadt teil.

Flucht nach Montevideo

Welchen Mut die ehemaligen Frankfurter aufbringen, welche Ängste und Zweifel sie überwinden müssen, um in ihre Heimatstadt zurückzukommen, kann man annähernd ermessen, wenn man sich mit ihrer persönlichen Vergangenheit beschäftigt, etwa anhand von Gesprächen mit Zeitzeugen und deren Nachfahren sowie von Archivdokumenten wie der sogenannten Devisenakte, Entschädigungsvorgängen und weiteren Quellen.

Die Nussbaums gehörten vor 1933 zu den wohlhabend­sten Familien Frankfurts. Josef Nussbaum gründete 1892 gemeinsam mit seinem Bruder Siegmund Nussbaum die Schuhgroßhandlung „J. & S. Nussbaum OHG“, Zeil 43. Der Bruder starb 1897; seitdem war Josef Nussbaum Alleininhaber. 1903 kaufte er das Haus auf der Zeil 43. Der Geschäftsumsatz überstieg bereits 1914 die Millionengrenze. Ab 1919 war er zur Hälfte beteiligter Mitinhaber des Unternehmens.

Wie Patricks Vater Rolf 2008 bei seinem Besuch mit Frau Martha als Gast der Stadt Frankfurt nicht ohne Stolz in einem Interview erzählte, besaß sein Vater Leo, Sohn von Josef Nussbaum, den ersten Horch in Frankfurt.

Gleich von Beginn der Naziherrschaft an musste die Firma aufgrund der Boykottmaßnahmen seit 1933 einen erheblichen Umsatzrückgang hinnehmen. Den Entschädigungsakten kann man entnehmen, dass laut eines Vermerks der Industrie- und Handelskammer vom 22. Januar 1938 die Firma „arisierungswürdig“ war „…sie beschäftigte damals 16 Mitarbeiter“. Schließlich kam es im Dezember 1938 zum erzwungenen Geschäftsverkauf „an Hermann Leitz, der bei der NSDAP-Gauleitung beschäftigt war; seitdem firmierte das Geschäft als „Leitz & Co. KG“. …

Auf Druck des Amtes „Schönheit der Arbeit“ mussten die beiden Geschäftsinhaber nach ihrem Ausscheiden aus der Firma noch für die Herrichtung der „Gefolgschafts“- und Arbeitsräume 20.000 RM aufbringen und auf Druck der ‚Deutschen Arbeitsfront‘ (DAF) an 16 Angestellte „Treueprämien“ in Gesamthöhe von etwa 12.000 Reichsmark auszahlen.

Im Zusammenhang mit dem November-Pogrom 1938 wurde Josef Nussbaum laut Zeugenaussagen beim Brand der Synagoge am Börnepatz von Passanten so schwer misshandelt, dass er eine Gehirnerschütterung davontrug. Der 69-Jährige konnte sich vor den Misshandlungen nur durch den Sprung auf eine vorbeifahrende Straßenbahn retten. Der Teilhaber Leo Rothschild wurde in das KZ Buchenwald verschleppt, während Josef Nussbaum wegen der Verletzungen in Frankfurt bleiben durfte.“ (HStA Wiesbaden/Deportiertendatenbank)

Über die Verhaftung von Leo Nussbaum, seine Flucht nach Holland und später nach Uruguay berichtet Sonja Wegner auf der Grundlage von Gesprächen mit Patrick Nussbaum und Dokumenten aus dem Hauptstaatsarchiv.

„Anscheinend vollkommen von den Ereignissen überrollt wurde auch Leo Nussbaum aus Frankfurt am Main. Verhaftet am 9. November, wurde er am 12. November ins Konzentrationslager Buchenwald überstellt. Dort wurde er bis zum 12. Dezember 1938 festgehalten. Die Auswanderungspläne der Familie waren anscheinend noch nicht weit genug gediehen, um nach der Entlassung aus dem Konzentrationslager das Deutsche Reich in absehbarer Zeit verlassen zu können.

So flüchtete Leo Nussbaum nach seiner Entlassung aus Sorge vor einer neuen Verhaftung in die Niederlande und wurde wegen illegaler Einreise in Holland im Flüchtlingslager Reuver bei Roermond interniert. Dort erlitt er einen „Nervenzusammenbruch“ und kam zur Behandlung ins Krankenhaus. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus konnte er nach Frankreich ausreisen, war aber noch zu geschwächt, um die Reise allein zu bewältigen.

Seine Schwägerin Else, die ebenfalls nach Frankreich emigriert war, holte ihn Ende Juni 1939 an der Grenze ab und nahm ihn mit nach Paris. In Paris traf sich die Familie wieder. Seine Frau Hedwig hatte ihren knapp siebenjährigen Sohn Rolf bereits im Januar 1939 mit Freunden nach Paris vorausgeschickt, während sie den Haushalt auflöste, einen Lift packte und die Auswanderung betrieb. Der aufgegebene Lift wurde von der Gestapo beschlagnahmt und erreichte die Familie nie. Im April 1939 kam Hedwig Nussbaum nach Paris. Auch in Frankreich wurde Leo Nussbaum interniert und litt sehr unter der schlechten Versorgung in den verschiedenen Lagern.

Im August 1941 ist die Familie in Marseille, wie man aus den Passage-Buchungen beim Vertreter der Ybarra Linie in Marseille ersehen kann. Hedwig Nussbaum beschaffte für ihre Familie sowohl uruguayische Visa als auch die Schiffspassage mit der Ybarra Linie. Man kann vermuten, dass sie finanzielle Unterstützung von Verwandten erhielten, die bereits in die USA ausgewandert waren. Am 15. September 1941 konnten sie mit der Cabo de Hornos ihre Überfahrt nach Uruguay antreten. Auch ihr Bruder Julius Wetzlar mit seiner Frau Else und der Tochter Lore gelang noch die Auswanderung aus Frankreich. Sie erreichten Montevideo mit der Cabo de Buena Esperanza am 30. September 1941.“ (Wegner 2013)

Deportation von Angehörigen

Erschwert wurden Auswanderung und Neuanfang durch die zwangsweise Entrichtung der sogenannten „Judenvermögensabgabe“, der „Reichsfluchtsteuer“ und der „Dego-Abgabe“. Hinzu kamen ständige Schikanen der NS-Behörden, denen die jüdischen Frankfurter ausgesetzt waren. Beispielsweise mussten sie alle Gegenstände auflisten, die sie ins Ausland mitnehmen wollten. Diese Liste wurde von den Behörden kontrolliert, allzu oft Gegenstände ohne erkennbaren Grund beanstandet und gestrichen. Dieses „Umzugsgutverzeichnis“, „in doppelter Ausfertigung einzureichen“, bot damit Anlass für willkürliche Schikanen. (vgl. HStA Wiesbaden)

„Die beabsichtigte Emigration von Josef Nussbaum nach Kuba scheiterte schließlich wegen des Ausreiseverbots für Juden ab Oktober 1941.

Josef Nussbaum wurde am 18. August 1941 verhaftet, weil er … „eine Vorschrift, die das Verhalten von Juden vor Behörden betrifft, nicht eingehalten“ hatte. Laut Bericht des Schwiegersohnes in den Entschädigungsakten hatte eine ehemalige Kundin den Eheleuten frische Fische besorgt, was als Anlass für die Verhaftung ausreichte. Josef Nussbaum wurde im Strafgefängnis Preungesheim 1941/1942 registriert und am 24. April 1942 von Frankfurt in das KZ Buchenwald verschleppt (Häftlingsnummer 2043), wo er am 17. Juni 1942 im Alter von 73 Jahren vermutlich durch Freitod aus dem Leben schied. Laut Internationalem Suchdienst wurde er unter der Kategorie „Schutzhäftling, politisch, Jude“ geführt und starb um 07.00 Uhr, angeblich an Herzschlag. …

Die Ehefrau wurde am 18. August 1942 im Alter von 74 Jahren bei der siebten großen Deportation aus Frankfurt in das Durchgangs- und Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo sie vier Wochen später starb.“ (Deportiertendatenbank Frankfurt, Jüdisches Museum)

Die Nachkommen sorgten dafür, dass für Josef Nussbaum und seinen Sohn Max ein Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof in der Eckenheimer Landstraße errichtet wurde.

Auch den mütterlichen Großeltern blieb die Deportation nicht erspart. Heinrich Wetzlar, 1864 in Fulda geboren, war Inhaber der Schuhwarenfirma K. Drissler. Während es den beiden Kindern, der Tochter Hedwig und dem Sohn Julius zusammen mit seiner Frau und der Tochter Lore gelang, nach Uruguay auszuwandern, wurden Heinrich und Rosa Wetzlar am 1. September 1942 bei der achten großen Deportation in das Durchgangs- und Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt. Vor ihrer Deportation hatten sie einen „Heimkaufvertrag“ in Höhe von 925 Reichsmark abgeschlossen. Mit solchen Verträgen glaubten sie, ihren Lebensabend in einem Altersheim zu finanzieren. Der 78-jährige starb dort am 4. Februar 1943, seine Frau Rosa kam im Alter von 72 Jahren am 16. September 1943 zu Tode.

Heimweh

Nach dem Besuch seiner Heimatstadt Frankfurt auf Einladung der Stadt im Jahr 2008 kamen Rolf Nussbaum und seine Frau Martha 2010 noch einmal nach Frankfurt. Es war sein letzter Besuch in seiner früheren Heimat. Bei unserer Korrespondenz zwischen diesen beiden Besuchen schrieb er über sein Faible für die Frankfurter Mundart und Friedrich Stoltze, eine Liebe, die er mit vielen ehemaligen Frankfurtern der ersten Generation teilt. Es ist zu vermuten, dass seine Eltern, Leo und Hedwig Nussbaum, diese Liebe an ihn weitergaben, gleichsam Ausdruck des Heimwehs der Frankfurter Emigranten.

Obwohl Rolf schon mit sieben Jahren Frankfurt verlassen musste, konnte man doch bei seinem ersten Besuch, nach anfänglichen Schwierigkeiten, einen Anflug Frankfurter Dialekts in seinem von einem spanischen Akzent geprägten Deutsch ausmachen.

Jetzt, beim zweiten Besuch des Ehepaars Nussbaum, musste ich sie natürlich in das Stoltze-Museum führen. Rolf war völlig aus dem Häuschen, lief wie das Kind von einst die enge Wendeltreppe in dem Stoltze-Turm hinauf, wanderte bewundernd von Zimmerchen zu Zimmerchen, während Frau Martha etwas ungeduldig am Fuß des engen Treppenhauses auf seine Rückkehr wartete.

Bei diesem Besuch sprachen sie auch über ihren Sohn Patrick, der sehr an der Vergangenheit und an einer Einladung der Stadt interessiert sei. Jahre zuvor hatte Patrick Nussbaum seine Eltern bei einer Deutschlandreise begleitet. Im Gegensatz zu anderen Kindern ehemaliger Frankfurterinnen und Frankfurter nahm Patrick Nussbaum am Deutschunterricht in der Deutschen Schule in Montevideo teil.

Patrick Nussbaum auf den Spuren seiner Vorfahren in Frankfurt

Eigentlich hatte Patrick keine Zeit nach Frankfurt zu kommen, doch der Tod seines Vaters Anfang 2012 veränderte die Situation. Er hatte seinem Vater versprochen, der Einladung der Stadt Frankfurt zu folgen und die Heimat seiner Vorfahren zu erkunden. Unsicher war er auch, ob seine Deutschkenntnisse für ein Gespräch mit Schülerinnen und Schülern ausreichen würden.

„Ich habe viel gelernt“

Nach dem Begrüßungsabend der Projektgruppe im Jüdischen Museum, wo Patrick einige Schülerinnen und Schüler der Ernst-Reuter-Schule 1 in Frankfurt kennenlernte, entschloss er sich, der Einladung zu einem Gespräch in der Schule zu folgen. Patrick Nussbaum wurde von zwei „Dolmetscherinnen“ begleitet, Feva Weil-Kroch aus Montevideo und Sonja Wegner. In der Schule wurden die Besucher zunächst von der Schulleiterin der Ernst-Reuter-Schule 1 begrüßt. Zwei Klassen erwarteten Patrick Nussbaum, Gisele Federman und Feva Kroch. Zunächst organisierte die Geschichtslehrerin, Amalia dos Santos, für das Gespräch in den beiden Klassen eine gemeinsame Vorstellungsrunde.

Patrick Nussbaum erzählte von der Lagerhaft seines Großvaters in Buchenwald, von der Flucht der Großeltern und seines Vaters nach Uruguay, von der liberalen Einwanderungspolitik Uruguays zur damaligen Zeit und von den Besuchen seiner Großeltern in Frankfurt. Nach der Plenumsrunde wurden die Schülerinnen und Schüler und ihre Gesprächspartner in kleine Gruppen aufgeteilt. Patrick, begleitet von Sonja Wegner, unterhielt sich mit zwei Schülern und drei Schülerinnen. Wie auch bereits im Plenum, fiel Patrick in dieser Kleingruppe auf, dass die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler einen Immigrationshintergrund hatte. Für diese Jugendlichen sind solche Gespräche mit Emigranten aus Deutschland und deren Nachkommen auch von besonderem Interesse.

Sie können sich möglicherweise leichter in die Situation von Emigranten hineinversetzen. Auf die Frage, was es für ihn bedeute, nach Deutschland, in das Land seiner väterlichen Vorfahren zu kommen, betonte Patrick Nussbaum, dass er sich als Uruguayer fühle. Daraufhin erklärte eine Schülerin, ihr gehe es genauso. Sie fühle sich jetzt als Deutsche und wolle gar nicht mehr zurück in die Heimat ihrer Vorfahren. Hier in Deutschland gehe es ihr viel besser, gerade auch als Mädchen, als Frau.

Nach den Gesprächen in den Kleingruppen gab es noch ein Abschlussplenum, in dem die Beteiligten ihre Eindrücke miteinander austauschten. Die Schülerinnen und Schüler betonten, wie wichtig sie es fanden, dass sie einen Einblick in die Auswanderungsbedingungen erhalten haben. Auch hoben sie hervor, dass es für sie interessant war, die Sichtweisen der Nachkommen zu hören. Sie hätten viel Neues gelernt und fühlten sich inspiriert und ermutigt. Solche Gespräche sollten auch in Zukunft stattfinden. Patrick Nussbaum hob hervor, dass es für ihn wichtig war, zu erzählen und auf die Fragen der Schülerinnen und Schüler zu antworten, aber ebenso spannend und interessant fand er es, die Geschichten der Schülerinnen und Schüler zu hören. Er habe viel gelernt.

Dienstag, 5. Juni 2012, ein denkwürdiger Tag mit Patrick Nussbaum

Da Patrick nicht, wie die meisten anderen Frankfurter Gäste der zweiten Generation, am Ende des offiziellen Programms in seine Heimat zurückkehrte, wollte er noch alles erledigen, was in der einen Woche nicht zu schaffen war. Vor allem konnte er endlich mit meinem zweiten Fahrrad Frankfurt erkunden.

Zuerst ging es zum alten Jüdischen Friedhof in der Rat-Beil-Strasse, nachdem wir die Informationen über die Lage der Gräber der Vorfahren Nussbaum und Wetzlar in der Eckenheimer Landstrasse eingeholt hatten.
Von den Urgroßeltern Heinrich und Rosa Wetzlar, die im September 1943 in Theresienstadt ermordet wurden, gibt es keine Gräber, aber Gedenksteine an der Mauer am Alten Jüdischen Friedhof in der Battonstraße.
Nach dem Friedhof ging es in die Innenstadt zu all den Sehenswürdigkeiten, die Patrick auf seinem Plan noch nicht abgehakt hatte.

Für den Mittagssnack bot sich natürlich der Schlemmermeyer auf der Fressgass an, mit dem man auch noch gleichzeitig pädagogisch den deutschen Sprachschatz erweitern kann: fressen, Gasse und schlemmen. Dann ging es weiter in die Leica-Galerie Am Salzhaus 2 / Roßmarkt. Patrick ist nicht nur leidenschaftlicher Fotograf, sondern hat auch von seinem Sammler-Vater Rolf eine alte Leica geerbt.

Als nächstes stand der Eiserne Steg auf dem Programm. Patrick hatte eine vergrößerte Kopie eines Schwarzweißfotos dabei, auf dem sein Vater als kleiner Junge durch die Pfeiler der Brücke auf den Main hinunter schaut und seine Mutter mit dem Großvater zu sehen sind. Das Foto wurde wahrscheinlich von Leo Nussbaum, Rolfs Vater und Patricks Großvater ca. 1937/38 aufgenommen. Ich hatte nun die schwierige Aufgabe, ein Foto von Patrick in dem exakten Winkel wie auf dem alten Foto, mit Blick auf den Dom, durch die gleichen Pfeiler hindurch zu machen. Das erforderte mindestens fünf Versuche, bevor Patrick einigermaßen zufrieden war.

Für weitere Museen und Ausstellungen war leider keine Zeit mehr. So ging es weiter auf Patricks Wunschroute auf seinem Stadtplan: am Main entlang zum Osthafen, über die Flößerbrücke, dann auf der anderen, der Sachsenhäuser Seite, zurück durch einen Teil des Anlagenrings.

Seine Begeisterung für die Schönheiten der Stadt war richtig ansteckend! Ständig mussten wir anhalten, damit er Fotos machen konnte: „Halt! Ein Foto!“

So musste hibbdebach selbstverständlich die immer noch im Bau befindliche Europäische Zentralbank von allen Seiten abgelichtet werden, inklusive der riesigen, aufwändigen, schillernden Info-Plakate zu Baugeschichte, ökologischer Bauweise etc. etc…

Bei einer weiteren Pause in einem zum Lokal ausgebauten Mainschiff dribbdebach bewunderte er die vielen Schwäne und Enten.

Wie seinem Vater Rolf schon 2008 die vielen Kaninchen in den Parks und Anlagen als etwas ganz Erstaunliches aufgefallen waren, meinte Patrick jetzt zu den Schwänen und Enten: So etwas wäre in Montevideo nicht möglich. Die würden alle aufgegessen! Offensichtlich fühlte sich Patrick auch zunehmend sicherer mit der deutschen Sprache, und ich konnte ihn viel besser verstehen als am Anfang.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Nachkommen der ehemaligen Frankfurter kann er sich in Deutsch verständigen und hat offensichtlich keine emotionalen Barrieren gegen die deutsche Sprache überwinden müssen. Wie er auf meine Nachfrage schreibt, hat er „Deutsch bei der Deutschen Schule in Montevideo gelernt“ und „etwas mit seinen Großeltern gesprochen“.

Auch wenn Patrick nach seiner Aussage kein Liebhaber des Äbbelwoi zu sein scheint, wollte ich natürlich nicht versäumen, ihm eine typische Sachsenhäuser Kneipe mit den charakteristischen Innenhöfen zu zeigen. So weit kam es dann allerdings nicht, denn allmählich drängte die Zeit, und Patrick musste eine Nachricht an die Freunde in Wiesbaden simsen, um seine Verspätung zu entschuldigen.

Am Eingang des Grüngürtels Höhe Friedberger Anlage neben dem Krankenhaus zum Heiligen Geist war bei den hoch aufspritzenden Wasserfontänen ein großer Regenbogen zu sehen, der natürlich auch fotografiert werden musste.

Das Uhrtürmchen mit Blick auf das Zoogebäude in der Ferne war das letzte Fotomotiv, bevor unsere Radtour, in aller Eile am Sandweg vorbei, durch die Anlagen zur Berger Straße und auf Schleichwegen durch die Burgstraße, durch den Burghof an meinem Haus endete.

Ausblick auf das Jahr 2013

Die persönlichen Begegnungen mit zwei Generationen der Familie Nussbaum-Wetzlar und die Beschäftigung mit ihren Lebensgeschichten haben mich veranlasst, Stolpersteine für die deportierten Vorfahren anzuregen. Im Juni 2013 werden nun Stolpersteine auf dem Bürgersteig vor dem Haus in der Großen Friedberger Str. 29 gelegt, wo Heinrich und Rosa Wetzlar, geb. Rosenstock, vor ihrer Deportation im 2. Stock von 1922 bis 1942 wohnten. Außerdem werden Stolpersteine auf der Zeil 43 vor dem Wohn- und Geschäftshaus von Josef und Karoline Nussbaum gelegt.

Dank Patricks reichhaltigem digitalisierten Archiv seiner Vorfahren Nussbaum und Wetzlar entdeckte ich inzwischen zwei weitere Nachkommen in den Stammbaum-Aufzeichnungen, die noch nicht in ihre Heimatstadt Frankfurt zurückkehrten. Eine davon lebt wie die Nussbaums in Montevideo, Lore Rosenblatt, 1932 in Erlangen als Eleonore Wetzlar, Tochter von Julius Wetzlar und seiner Frau Else, geb. Wachenheimer, geboren. Gegen alle bisherigen Zweifel und Bedenken war sie anscheinend inzwischen, von Patrick und mir ermutigt, entschlossen, sich mit ihrem Mann Lothar für das nächste Besuchsprogramm der Stadt Frankfurt anzumelden. Die Korrespondenz mit ihnen hatte gerade so vielversprechend begonnen, als ich die traurige Nachricht von Lothar Rosenblatt bekam, dass seine Frau Lore unerwartet gestorben sei.

Es scheint, dass inzwischen auch die Nachkommen von Lore und Lothar Rosenblatt ihre Vorbehalte gegen eine Reise nach Frankfurt überwunden haben, die Patrick so beschrieb:
„… die Kinder von Lore wollten nicht viel von Deutschland wissen und sprechen nicht viel Deutsch.“

Die Trauer um Lore veranlasste inzwischen Lothar Rosenblatt (Jg. 1928) zusammen mit seinen drei Söhnen eine Einladung der Stadt Frankfurt anzunehmen und zur Stolpersteinlegung nach Frankfurt zu kommen.