Kurzbiographie
Name:
Zerline Rohrbach, geborene Löwenstein, geboren 1868 in Lollar bei Gießen
Ehemann:
Ludwig Rorbach, nichtjüdisch
Letzte Wohnorte:
Frankfurt-Rödelheim, ab 1936 Oberursel
- 19.05.1943 Vorladung von Zerline Rohrbach zur Gestapo
- 22.05.1943 Suizid von Zerline Rohrbach
Söhne:
- Fritz (1906) und Ernst Rohrbach, „Mischlinge 1. Grades“
- Ernst Rohrbach wurde bei der Organisation Todt zwangsverpflichtet, Fritz Rohrbach erhielt im Februar 1945 die Vorladung zum „geschlossenen Arbeitseinsatz in Theresienstadt“
Quellen:
- Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
- Rieber, A. (2004): Wir bleiben hier. Lebenswege Oberurseler Familien jüdischer Herkunft, Kramer-Verlag: Frankfurt
Dokumente:
- Vorladung von Zerline Rohrbach zur Gestapo im Mai 1943, Quelle: HHStAW
- Entlassung von Fritz Rohrbach als Betriebsleiter der Firma Carbone 1942, Quelle: HHStAW
Text und Recherchen:
Angelika Rieber
Zerline Rohrbach
„Ohne Zweifel liegt Selbstmord vor“
von Angelika Rieber
Familie Rohrbach zog 1936 nach Oberursel. Hier lebten viele Christen jüdischer Herkunft und Ehepaare in sogenannter „Mischehe“. Die Mehrzahl der jüdischen Partner war konvertiert und gehörte der Oberurseler Christuskirchengemeinde an, so auch Zerline Rohrbach. Von den Deportationen in die Vernichtungslager 1941/42 blieben die jüdischen „Mischehepartner“ zunächst ausgenommen. Der Gau Frankfurt fiel jedoch durch besondere Härte auf und bereitete Anfang 1943 eine gezielte Verhaftungswelle vor.
„Ohne Zweifel liegt Selbstmord vor“
Zerline Rohrbach, geborene Löwenstein, stammte aus einer jüdischen Familie und wurde 1868 in Lollar bei Gießen geboren. Sie heiratete einen Christen, der ebenfalls in Lollar geboren war. Vor dem Umzug nach Oberursel 1936 lebte die Familie in Frankfurt-Rödelheim. Bis 1943 gab es keine einschneidenden Veränderungen im Leben der Familie. Der erste Schicksalsschlag erfolgte mit dem Tod von Zerlines Rohrbachs Mann im Februar 1943. Seit dieser Zeit war Zerline Rohrbach sehr niedergeschlagen. In dieser Verfassung erhielt sie am 19.05.1943 ein Schreiben der Gestapo.
Danach wurde sie zum 24.05.1943 zwischen 08 und 09 Uhr „zur Erörterung“ vorgeladen. Ängstlich und aufgeregt sei sie nach Erhalt des Schreibens geworden, berichteten die Söhne. Wiederholt habe sie geweint. „Nach Erhalt der Nachricht war sie der Meinung, dass sie abgeschoben und nicht mehr nach Oberursel zurückkehren würde“. So wird ihr Sohn in dem Vernehmungsprotokoll der Polizei zitiert.
Zerline Rohrbach setzte am 22. Mai 1943 ihrem Leben ein Ende. Am Morgen nach ihrer Verzweiflungstat fanden die Söhne ihre Mutter tot im Sessel ihrer Küche sitzend, die vier Gashähne standen offen, die Türen und Fenster waren geschlossen. „Ob die Gründe des Selbstmordes in dieser Aufregung zu suchen sind, ist nicht erwiesen, es dürfte jedoch anzunehmen sein. … Ohne Zweifel liegt Selbstmord vor.“ Zu diesem Ergebnis kommt das Untersuchungsprotokoll der Polizeibehörde.
Aus dem Untersuchungsprotokoll der Polizei:
“Der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde
Schutzpolizei-Dienstabteilung, Oberursel, den 23.5.43
An das Amtsgericht in Bad Homburg v.d.H.
Am Sonntag, den 23.5.43 gegen 8 Uhr wurde die Jüdin Sara, genannt Zerline Rohrbach, geb. Löwenstein, geb. 10.5.68 zu Lollar, Kreis Gießen, wohnhaft hier, Scharnhorststraße 5, in ihrer Küche, im Sessel sitzend, tot aufgefunden. Die 4 Gashähne von dem vorhandenen Gasherd standen offen, Türen und Fenster waren geschlossen, so dass mit Bestimmtheit anzunehmen ist, dass sich die Rohrbach mit Gas vergiftet hat.
Nach den Aussagen der Söhne … ist Frau Rohrbach, nachdem sie am 19.5.43 eine Vorladung der Geheimen Staatspolizei erhalten hat, sehr aufgeregt und ängstlich geworden. Ob die Gründe des Selbstmordes in dieser Aufregung zu suchen sind, ist nicht erwiesen, dürfte jedoch anzunehmen sein. Die Aussagen der beiden Söhne, die in Bezug auf Auffindung der Leiche von Herrn Dr. H. bestätigt wurden, sind glaubhaft. Ohne Zweifel liegt Selbstmord vor. Ich bitte um Ausstellung des Beerdigungsscheines.
i.A. Oberstleutnant der Schutzpolizei”
„Zum Arbeitseinsatz nach Theresienstadt“
Auch die beiden Söhne von Zerline Rohrbach, „Mischlinge 1. Grades“, waren während der Kriegsjahre Diskriminierungen und Zwangsarbeit ausgesetzt.
Fritz Rohrbach war bis 1942 Betriebsleiter bei der Firma Carbone in Frankfurt-Bonames. Seit 1939 ersuchten NSDAP und DAF seine Entlassung. Auf Anweisung der NSDAP wurde Fritz Rohrbach schließlich 1942 als Betriebsleiter abgesetzt und in der Verwaltung eingesetzt, wo er „nichts mit Menschführung zu tun hatte“.
Nachdem die Mutter, Zerline Rohrbach, Suizid begangen hatte, erhielten die beiden Söhne von der Flamme-Versicherung die Mitteilung, der Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg habe die Versicherungsleistungen für Lebensversicherungen jüdischer Mitglieder, die infolge von Selbstmord aus dem Leben schieden, beschlagnahmt.
Die Flamma-Versicherung schrieb hierzu am 20.07.1943: „Unsere Verwaltungsstelle Frankfurt hat uns Ihr Schreiben vom 12.7.1943 zur weiteren Erledigung hergereicht. Aus den beigefügten Unterlagen entnehmen wir, dass Ihre Frau Mutter gemäss den Nürnberger Rassegesetzen als Jüdin anzusehen ist. Der Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg hat die Versicherungsleistungen für Lebensversicherungen jüdischer Mitglieder, die infolge von Selbstmord aus dem Leben scheiden, beschlagnahmt. … Heil Hitler.“
Wie andere „halbjüdische“ Oberurseler erhielt Fritz Rohrbach am 07.02.1945 die Aufforderung der Gestapo, sich am kommenden Morgen um 06 Uhr „zur Abholung bereitzuhalten“. „Zweck der Zuführung ist geschlossener Arbeitseinsatz in Theresienstadt“. Sein Bruder war schon vorher bei der Organisation Todt zwangsverpflichtet worden.
„Nach Anordnung der Geh. Staatspolizei sind Sie am 8.2.45 durch die Polizei Oberursel der Geh. Staatspolizei Frankfurt/Main zuzuführen. Zweck der Zuführung ist geschlossener Arbeitseinsatz in Theresienstadt. Mitzunehmen sind nur so viele Gepäckstücke, wie sie selbst tragen können, ferner Lebensmittelmarken. Auf Grund dieser Anordnung haben Sie sich am 8.2.45 um 6 Uhr in Ihrer Wohnung zur Abholung bereitzuhalten.
Rev. Hauptmann der Schutzpol.“
Glücklicherweise fand dieser Alptraum bereits am kommenden Tag sein Ende. Nachdem die Gruppe zunächst in einem verschlossenen Wagen nach Frankfurt transportiert und in das Untersuchungsgefängnis in der Klapperfeldstraße gebracht worden war, wurde sie gegen Mittag wieder entlassen. Wenige Wochen später wurde Oberursel befreit.
Heute erinnert ein Denkmal am Hospitalplatz in Oberursel an Zerline Rohrbach und an die anderen Oberurseler jüdischer Herkunft, die deportiert oder in den Freitod getriebenen wurden.