Evelyn Schneider war unsicher, ob sie vor einer Schulklasse sprechen sollte. Bei dem Begegnungsabend der Projektgruppe schloss sie sich jedoch ganz spontan Susan Loeb an, die sich an diesem Abend mit einigen Schülerinnen und Schülern der Ernst-Reuter-Schule traf, um den Besuch vorzubereiten. Da Evelyn Schneider sich nicht so recht traute, vor einer großen Gruppe zu sprechen, entschlossen sich die beteiligten Kolleginnen, Ingrid Bruch und Antonie Schneider, nach einer gemeinsamen Einführung mit allen Gesprächspartnern die Klasse zu teilen, um in kleineren Gruppen intensivere Gespräche führen zu können. Evelyn Schneider und ihre Tochter Beth Capelin schlossen sich der Klasse von Antonie Schneider an, mit der sie sich angeregt über die Geschichte ihrer Familie wie über aktuelle Fragen des Umgangs mit der Vergangenheit unterhielten.
Heiser vom vielen Erzählen über die Deutschlandreise
Auch nach dem Besuch in Frankfurt bleibt Evelyn Schneider mit den Geschwistern Carol und Susan Loeb in Verbindung und tauscht sich mit ihnen darüber aus, welche Nachwirkungen diese aufregende Reise für sie hatte. „I still haven‘t come down to earth after the trip. There are so many stories to tell that sometimes I am hoarse from talking about it.
A man from California contacted me. His aunt lives in Butzbach where my grandparents lived. She saw an article in the Butzbach newspaper regarding my visit and recognized the name Grunebaum (my maiden name). She sent the article to her nephew in California who contacted me. This man knew my father and uncle very well.”
Dieter Wolf
Auf den Spuren der Großeltern in Butzbach
Am 2. Juni 2012 konnte Museumsleiter und Stadtarchivar Dr. Dieter Wolf „Besuch aus Amerika“ empfangen und durch Butzbach und sein Museum führen. Der Leiter des Museums Butzbach berichtete über die Spurensuche von Evelyn Schneider und ihrer Tochter in Gambach und Butzbach in einem Artikel in der Butzbacher Zeitung vom 6. Juni 2012.
Hier der leicht bearbeitete Text:
Mrs. Evelyn Schneider, geb. Greenebaum aus New York, geboren 1936 in Frankfurt am Main als Tochter von Anneliese Grünebaum geb. Blumenfeld und Alex Grünebaum, wollte mit ihrer Tochter auch Butzbach besuchen, wo ihr Großvater David Grünebaum von 1912 bis 1934 ein Handelsgeschäft für Baumaterialien, Brennstoffe und Landesprodukte mit Erfolg geführt hatte. David Grünebaum wurde 1875 in Gambach geboren und gründete dort 1895 in der Bahnhofstraße 31 eine Fruchthandlung. Er heiratete um 1903 Bertha Levi aus Ahrweiler (heute Bad Ahrweiler), die ihrem Mann zwei Mal Zwillinge, zwei Jungen und zwei Mädchen schenkte. 1904 wurde hier auch der Vater von Mrs. Evelyne Schneider, Alex Grünebaum, geboren.
1906 zog David Grünebaum wohl mit Familie ins benachbarte Butzbach, kaufte 1912 in der Griedeler Straße 48, direkt neben der Katholischen Kirche (heute Friedhofskapelle) ein von einem Gambacher neu erbautes, schönes Wohnhaus. Bald darauf (1911) konnte der aufstrebende Unternehmer bei der neuen Bahnlinie der Butzbach-Licher-Eisenbahn und der von Butzbach nach Ebersgöns führenden Bahnlinie eine Lagerhalle in Fachwerkbau errichten, die direkt am Butzbacher Ostbahnhof über einen eigenen Gleisanschluss verfügte. Das gab der allmählich sich entwickelnden Großhandlung für Agrarprodukte und Baumaterialien mehr Möglichkeiten, erfolgreich zu wirtschaften.
Die Halle wurde dort auch errichtet und steht, stark erweitert und umgebaut, noch heute. Nach Angaben im Briefkopf Grünebaums von 1927 handelte er mit Getreide, Lebensmitteln, Mühlenfabrikaten, Landesprodukten, Düngemitteln.
1922 nahm David Grünebaum eine beträchtliche Hauserweiterung vor. In das neue Hinterhaus zogen mehrere Mieter ein. Das Wohnhaus der Grünebaums steht längst nicht mehr. Es wurde im September 1962 wegen neuer Straßenführung der Bundesstraße 3 abgebrochen.
Sohn Alex Grünebaum erlernte auch den Kaufmannsberuf, war im Geschäft seines Vaters tätig und zog im Dezember 1934, nachdem er im Sommer Anneliese Blumenfeld aus Darmstadt geheiratet hatte, nach Frankfurt. Zwei Jahre später kam die Tochter Evelyn zur Welt, die heutige Mrs. Schneider. Eltern und kleiner Tochter gelang im Dezember 1938 die Ausreise in die USA, sie waren gerettet.
David Grünebaum war Vorstandsmitglied der Israelitischen Gemeinde Butzbach. Er wurde am Morgen des 10. November 1938 in Butzbach von Polizeibeamten verhaftet. Er verbrachte wie die anderen verhafteten Butzbacher männlichen Juden die Nacht in der Strafanstalt Butzbach, wurde dann mit Lkw zunächst zum Landratsamt Friedberg in der Burg Friedberg und von dort aus mit einem offenen Lkw nach Buchenwald verschleppt. Dort wurde er etwa vier Wochen festgehalten. Er wurde laut Registervermerk des KZ Buchenwald am 12. Dezember 1938 entlassen und war am 14. Dezember 1938 bereits „wieder“ zu Hause. In seinem Wohnhaus wohnte, offenbar nur für eine gewisse Zeit, die Familie von Hugo Krämer, Sohn des Konfektionskaufmanns Isidor Krämer, bis zur Flucht derselben nach Holland (Amsterdam) 1936 bzw. 1937/1938. – Für die vierköpfige Familie Hugo Krämer wurden 2011 am heutigen seitlichen Straßenrand vier „Stolpersteine gegen das Vergessen“ verlegt.
Die sog. „Arisierung“ der Firma kam zustande, als David Grünebaum, der bereits vor dem 10. November 1938 auf den Auswanderungsbescheid nach Amerika wartete, diese 1938 an Rudolf Häuser (im zweiten Weltkrieg gefallen) verkaufte, dessen Familie den Betrieb bis vor kurzem führte (jetzt Fa. Landfuxx Amend).
Der Verkauf des Wohnhauses Grünebaum wurde 1941 vorgenommen, als David Grünebaum nach USA auswandern konnte, und zwar an die Vereinsbank Butzbach, die 1942 das Grundstück und Wohnhaus an „Sommerlad und Teilhaber“ (d.h. den Mitteilhaber der Nudelfabrik Heil, Dr. Wilhelm Heil) verkaufte.
Am 31. Juli 1941 konnten David Grünebaum und seine Frau Bertha, geb. Levi, in das Überseeschiff einsteigen, das sie sicher in die Vereinigten Staaten brachte, wohin sich auch die Geschwister von Alex Grünebaum retten konnten. Am 8. Dezember 1941 traten die Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg ein, danach war für Juden die Auswanderung aus Deutschland so gut wie ausgeschlossen.
Die gezahlten Geldsummen gingen bereits damals auf Konten mit Sperrvermerk, davon hat die Familie Grünebaum praktisch kein Geld gesehen – ein wichtiges Thema der zur Zeit vorgestellten Sonderausstellung des Museums („Legalisierter Raub“). Erst nach den auch hier schwierigen Wiedergutmachungsverhandlungen der Nachkriegszeit wurde den rechtmäßigen Besitzern bzw. Erben von David Grünebaum in Amerika ein Teil des verlorenen Vermögens rückerstattet. Die alte Heimat Wetterau hatten sie aber spätestens seit den Verfolgungen der Nazizeit für immer verloren!
David Grünebaum starb bereits am 14. September 1946 in New York. Sein Sohn Alex ist nach 1968 verstorben, seine jetzt 97-jährige Ehefrau Anne Lisa Greenebaum geb. Blumenfeld ist geistig noch sehr rüstig und lebt bei ihrer Tochter in New York.
Auch Mrs. Evelyn Schneider wollte eigentlich nicht mehr in das „Land der Täter“ kommen. Da ihre inzwischen erwachsene Tochter, die sie auf der einwöchigen Stippvisite nach Frankfurt und Umgebung begleitete, aber so viele Fragen hatte, ist sie der Einladung der Stadt Frankfurt gefolgt und konnte in den zurückliegenden Tagen vieles sehen und erhielt auf viele Fragen aus der Geschichte ihrer Eltern und Großeltern in Frankfurt, Gambach, Butzbach und Darmstadt Antworten. Frau Ellen Holz begleitete die beiden Amerikanerinnen als ehrenamtliche Betreuerin des Projekts „Jüdisches Leben in Frankfurt“, stellte die notwendigen Kontakte her, so auch zum Museum und Stadtarchiv Butzbach.