Zweite und dritte Generation – Teilnahme am Besuchsprogramm 2016:
- Mark Novins, Enkel von Emil und Else Stelzer, geb. am 20. November 1963 in Boston, heute wohnhaft in Kalifornien/ USA
- mit seinem Sohn Trevor Novins, geb. am 14. Juni 1999
- Steven/Steve Novins, Enkel von Emil und Else Stelzer, geb. am 22. Dezember 1966 in New York, heute wohnhaft in Kalifornien/ USA
Großeltern von Mark und Steven Novins:
- Emil Gustav Heinrich Stelzer,
geb. am 9. Juli 1897 in Frankfurt.
Architekt und Sportlehrer. Turner bei der Eintracht,
gest. am 3. März 1944 in Buchenwald - Else Setta Stelzer, geb. Wolf, Kontoristin,
geb. am 3. September 1903 in Frankfurt
gest. am 7. Januar 1944 in Auschwitz
Töchter von Emil und Else Stelzer:
- Ilse/Elli Edith Appel, geb. Stelzer
geb. am 29. November 1936 in Frankfurt
gest. am 1. Februar 2016 in New York/USA
verheiratet mit Joel Appel
drei Söhne
Deportation nach Theresienstadt
vom 18. Februar bis 5.Mai 1945 - Marianne (Marian) Novins, geb. Stelzer
geb. am 7. Januar 1943 in Frankfurt
heute wohnhaft in Kalifornien/ USA
verheiratet mit Louis Novins,
zwei Söhne: Mark und Steven (s.o.) - Emigration:
Auswanderung in die USA 1946: Ilse/Elli Stelzer und Marianne/Marian Stelzer zusammen mit ihrem Großvater Ernst/Ernest Stelzer - Adoption:
Marianne/Marian und Ilse/Elli werden 1947 von der Schwester Elses und deren Mann
Alice und Hans/Harold Wohlfahrt/ Wells adoptiert.
Eltern von Emil Stelzer (= Großeltern von Ilse/Elli und Marianne/Marian):
- Ernst Carl Friedrich Stelzer,
geb. am 3.8.1868 in Dresden
gest. 1948 in New York/ USA
Bildhauer in Frankfurt, Finkenhofstr. 23 - Marie Catherine Stelzer, geb. Lynker
Eltern von Else Stelzer (= Großeltern von Ilse/Elli und Marianne/Marian):
- Max und Mathilde Wolf, Frankfurt
Mathilde heiratet in zweiter Ehe Jakob Stein
Frankfurt – New York/USA
Quellen:
- Eintracht Museum Frankfurt
- Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
- Institut für Stadtgeschichte Frankfurt
- Interview mit Marian Novins, geb.Stelzer
- Interview mit Ilse Appel, geb. Stelzer (Film-Interview 1997)
- Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt (PJLF): Aufzeichnungen vom Schulgespräch in der I.E. Lichtigfeldschule Frankfurt, Mai 2016
- Robert St. John (Radio Feature 1946)
Fotos:
Familienbesitz Marian Novins
Matthias Thoma
Till Lieberz-Groß
Text und Recherchen:
Till Lieberz-Groß
Familie Stelzer
„It’s so emotional“
von Till Lieberz-Groß
Die Brüder Mark und Steve Novins sind als Teilnehmer des Besuchsprogramms der Stadt Frankfurt 2016 zum ersten Mal in der Heimatstadt ihrer Großeltern, Emil und Else Stelzer. Sie haben ihre Großeltern nie kennenlernen können. Ihre Mutter, Marian Novins und ihre Tante Ilse Appel waren nach dem 2.Weltkrieg als Vollwaisen mit ihrem Großvater, Ernst Stelzer, in die USA ausgewandert. Nach ihrer Adoption durch bereits in den 1930ern emigrierte Familienangehörige hießen Ilse und Marianne Stelzer nun Ilse und Marian Wells.
Als Ilse und Marian 2011 der Einladung der Stadt folgen, erfahren sie von den bereits 2008 verlegten Stolpersteinen, mit denen die Eintracht Frankfurt an ihren Turnbruder Emil und seine Frau Else Stelzer erinnert. Und sie sind, wie Marians Söhne Mark und Steven fünf Jahre später, überwältigt davon, dass Emil und Else Stelzer nicht vergessen wurden in ihrer Heimatstadt.
Else/Elsa Setta Stelzer stirbt am ersten Geburtstag ihrer zweiten Tochter Marianne am 7. Januar 1944 in Auschwitz – angeblich an Typhus. Else Stelzer wird nur vierzig Jahre alt – weil sie Jüdin war. Sie wird am 12. August 1943 verhaftet und am 22. November 1943 mit einem „Sondertransport“ vom Polizeigefängnis Frankfurt nach Auschwitz deportiert. Bei ihrer Verhaftung ist ihre jüngste Tochter Marianne gerade ein halbes Jahr alt, Tochter Ilse sechs.
Else wird am 3. September 1903 in Frankfurt als Tochter der jüdischen Eheleute Max und Mathilde Wolf geboren; der Vater ist Kaufmann. Sie arbeitet als Kontoristin bei „Heimann und Söhne – Eisenwaren“ in Frankfurt, als sie Emil Gustav Heinrich Stelzer kennen und lieben lernt. Das Paar heiratet und bekommt zwei Töchter: Ilse Edith, geb. am 29. November 1936 und Marianne Hilde, geb. am 7. Januar 1943. Ab Dezember 1931 wohnen Else und Emil zusammen an der alten Adresse Emils in der Finkenhofstr. 23, seinem Elternhaus, das sie nun zusammen mit Emils Vater bewohnen.
Elses Mann Emil Stelzer, geb. am 9. Juni 1897, arbeitet als Architekt und technischer Zeichner im Geschäft des Schwiegervaters, muss nach der Machtübernahme der Nazis aber verfolgungsbedingt seine vielfältige ehrenamtliche Tätigkeit als Turner zum überlebensnotwenigen Broterwerb nutzen; so arbeitet er als (heiß geliebter) Turnlehrer im Philantropin und als Übungsleiter und Gymnastiklehrer in verschiedenen Sportclubs.
Emil war ein hoch talentierter Turner und gefragter Organisator von Sportereignissen – ein Juwel der Eintracht. Und laut seiner Tochter Ilse auch künstlerisch begabt wie der Großvater.
Emil wird 1897 in eine evangelisch-reformierte Familie hineingeboren: Seine Eltern, Ernst Carl Friedrich Stelzer und Marie Catherine Stelzer, geb. Lynker, sind angesehene Frankfurter Bürger. Vater Ernst ist ein bekannter Bildhauer; er kreiert hauptsächlich Bronze-Skulpturen.
Mit der Heirat bekennt sich Emil zum jüdischen Glauben seiner Frau. Und er lässt sich trotz zunehmenden Drucks der Nazis nicht auf eine Trennung von seiner Frau ein. Da die Ehe nach Nazi-Kriterien als „Mischehe“ angesehen wird, gerät auch Emil in den Mahlstrom der Nationalsozialisten.
Der Versuch, dem steigenden Druck durch Emigration zu entgehen, misslingt. Bereits am 8. August 1941 bittet Emil in einem Brief an die Devisenstelle „um Aufhebung meines beschränkt verfügbaren Sicherungskontos, da sich durch die Schließung der amerikanischen Consulate in Deutschland meine Auswanderung auf unbestimmte Zeit verschoben hat“. Die Situation der Familie wird immer dramatischer. Emil tut alles, um seine Familie zu schützen: Er wehrt sich sogar mit rechtlichen Mitteln dagegen, nicht mehr als „Arier“ zu gelten. Dennoch muss Emil als „Aktionsjude“ ab 1941 einen Judenstern tragen.
Eine unrühmliche Rolle spielt die Stadtsparkasse, die versucht, Emil zu denunzieren; dieser Versuch wird allerdings in einer Antwort des Finanzpräsidiums Kassel vom 24. Februar 1942 zurückgewiesen: „Ich habe die Sicherungsanordnung gegen den Obengenannten aufgehoben, da er nicht mehr [die letzten zwei Wörter sind im Original rot unterstrichen] als Jude geführt wird. Die Sicherungsanordnung gegen dessen Ehefrau Elsa Sara Stelzer bleibt weiterhin bestehen.“
Emil hatte laut eigener Aussage bereits Anfang 1942 eine „arische“ Kennkarte erhalten, wird aber dann mit der Begründung „nicht jüdische Lebensmittelkarten für Frau und erstes Kind“ organisiert zu haben, in „Schutzhaft“ genommen. Emil bleibt offensichtlich im Visier der Nazis – mit dem offensichtlichen Ziel, ihm etwas anzuhängen, um ihn verfolgen und ausgrenzen zu können: 1938 wird er im Rahmen der „Judenaktion“ als „Aktionsjude“ zum ersten Mal nach Buchenwald deportiert (11.11. bis 9.12.1938).
Am 15. März 1943 wird Emil zum zweiten Mal verhaftet; er wird laut Bericht des Roten Kreuzes in „politische Schutzhaft“ genommen und, mit „Rotem Winkel“ gekennzeichnet, zum zweiten Mal in Buchenwald interniert (24. Juni 1943). Emil stirbt dort am 3. März 1944 (nach anderer Angabe am 5. März 1944).
In dem Entschädigungsbescheid des RP Wiesbaden in der Erbsache Stelzer von 1961 wird konstatiert: „Der Erblasser war Arier. Er war mit der rassisch verfolgten Else Stelzer, geb. Wolf, verheiratet.“ Und Robert St. John, ein amerikanischer Radio-Journalist, vermerkt 1946 bitter: „True, he was a Christian but he had committed the unpardonable sin of marrying a Jew“. (HHStaW und Script radio feature)
Vollwaisen – Marianne und Ilse Stelzer
Im Alter von nur einem und von sieben Jahren sind die beiden Töchter von Emil und Else Stelzer Vollwaisen. Der Großvater väterlicherseits, Ernst Stelzer, kümmert sich um die beiden. Die Mädchen wohnen nach der Verhaftung ihrer Eltern bei ihm. Da seine Frau zu diesem Zeitpunkt bereits tot ist, sieht er sich plötzlich allein mit der Versorgung und Erziehung zweier Kinder konfrontiert – eines davon noch ein Kleinkind. Seine Schwiegertochter Else übermittelt ihm noch aus der Haft heraus die für die Kinder überlebensnotwendigen Hinweise – bis auch das von den Nazis unterbunden wird.
Die Kinder leben nach der Zerstörung des Hauses durch Bomben mit ihrem Großvater zurückgezogen im Keller. Nur zwei Nachbarsfrauen, laut Familie Frau Euler und Frau Ball, helfen dem Großvater bei der Versorgung der Kinder, während man davon ausgehen muss, dass andere Nachbarn die Familie verraten.
Der verzweifelte Versuch der Eltern, nach der Geburt der zweiten Tochter Marianne wenigstens die Kinder durch deren Taufe vor dem Zugriff der Nazis zu retten, misslingt. Auch Ilse wird gezwungen, einen Stern zu tragen. Und – mutmaßlich aufgrund des Verrates durch Nachbarn – wird die achtjährige Ilse trotz aller Vorsichtsmaßnahmen des Großvaters sogar noch nach Theresienstadt verschleppt, wo sie vom 18. Februar bis 5. Mai 1945 interniert ist – ein traumatisches Ereignis, das Ilse erst viel später aufarbeiten kann, wie sie in einem Interview berichtet: Sie wollte unter keinen Umständen vergast werden und überlegte sich, wie sie vorher ihren Tod herbeiführen könnte.
Ilse sieht sich auch nach ihrer Befreiung nicht als „Überlebende“, weil der Albtraum für sie nicht damit aufhörte. Ilse hofft noch lange Zeit danach auf die Wiederkehr der Eltern und zieht sich nach der unfassbaren Gewissheit für lange Zeit verstummt in das Gefängnis der „Überlebensschuld“ zurück.
Adoption der Kinder durch Harold und Alice Wells
Der International Tracing Service (ITS) weist mit Datum vom 2. Juli 1946 auf die Auswanderung des Großvaters, Ernst Stelzer, in die USA hin – zusammen mit seinen Enkeltöchtern Ilse und Marianne. Als Zieladressen werden die Großeltern Stein (Elses Mutter Mathilde ist in zweiter Ehe mit Jakob Stein verheiratet und bereits emigriert) und die Familie von Elses Schwester genannt, Alice und Hans Wohlfahrt, amerikanisiert: Wells.
Hans Wohlfahrt, der sich in den USA Harold Wells nennt, adoptiert Ilse und Marianne (Marian), nachdem sie bereits seit Juni 1946 in der Familie wohnen: Beide Kinder führen fortan den Namen Wells. Erst durch Recherchen im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden konnten die Geburtsurkunden der beiden Schwestern gefunden und mit der Adoptionsurkunde von 1947 übergeben werden.
Emigration in die USA
Ernst Stelzer und seine beiden Enkelinnen, Ilse und Marianne
Großvater Ernst Stelzer, in den USA Ernest genannt, stirbt zwei Jahre nach der Emigration. „Opi Ernest“, geb. am 3.8.1868 in Dresden, wächst nach dem Tode seiner Eltern in einem Waisenhaus auf. Nach langen Lehr- und Wanderjahren lässt er sich in Frankfurt nieder und wird ein bekannter Bildhauer. Im hohen Alter muss er für die beiden jungen Töchter seines Sohnes Emil die Vater- und Mutterrolle übernehmen – auch sie Vollwaisen durch die Terrorherrschaft der Nazis. Ernst Stelzer stirbt 1948 in New York.
Ilse Stelzer-Wells, verheiratete Appel, legt erst spät ihren Rufnamen „Elli“ wieder für den ursprünglichen Namen „Ilse“ ab. Sie stirbt am 1. Februar 2016 in New York. Sie hinterlässt ihren Mann Joel und drei erwachsene Söhne, zwei davon mit Handicaps.
Marian Stelzer-Wells, verheiratete Novins, die Mutter von Mark und Steven, lebt mit ihrem Mann Louis Novins seit 1967 in Kalifornien. Sie arbeitete als Maklerin, in einer Bank, in einem Schönheitssalon und in einer Boutique. Heute ist sie Reisevermittlerin.
Die zweite und dritte Generation
Die Söhne und ein Enkel von Marian Stelzer-Wells, verheiratete Novins, haben beim Besuchsprogramm der Stadt Frankfurt 2016 die Familie Stelzer repräsentiert: Mark Novins (geb. 20.11.1963 in Boston) und Steven Novins (geb. 22.12.1966 in New York) sowie Marks Sohn Trevor Novins (geb. 14.06.1999). Die Brüder Mark und Steven und Marks Sohn Trevor Novins sind Enkel und Urenkel von Emil und Else Stelzer. Marks und Stevens Mutter, Marianne/Marian Novins, ist die jüngere Tochter von Else und Emil Stelzer.
Mark und Steven Novins arbeiten beide in handwerklichen Berufen in Kalifornien: Mark als Elektriker und Allrounder („handyman“), Steve als Umwelttechniker („smog technician“). Marks Sohn Trevor Novins hat offensichtlich das sportliche Talent vom Urgroßvater Emil geerbt: Auch er ist ein begeisterter und erfolgreicher Athlet. Trevor ist noch Schüler (Senior High).
Die Söhne von Marian Stelzer-Wells, verheiratete Novins, haben erst mit Anfang zwanzig erfahren, dass die geliebten Großeltern, Harold und Alice, ursprünglich ihr Großonkel und ihre Großtante waren.
Die von der Eintracht 2008 initiierten Stolpersteine für Else und Emil Stelzer vor der Finkenhofstr. 23 im Frankfurter Nordend haben die Nachkommen emotional sehr berührt. Auch der Besuch in den nahe gelegenen Eintracht-Turnhallen hat sie ihren Großeltern Else und Emil sehr nahe gebracht: „Mit jedem Tag in Frankfurt fühlen wir uns unseren Großeltern näher“, sagen ihre Enkel Mark und Steven übereinstimmend.
Nach dem Besuch der jüdischen I. E. Lichtigfeld-Schule im Philantropin, der Schule, an der ihr Großvater und Urgroßvater während der Nazi-Zeit als Sportlehrer tätig war, charakterisiert Mark die Besuchswoche als „emotionale Achterbahnfahrt“; eine Woche, die sie aber auch ihre „deutschen Wurzeln intensiv erleben“ ließ. Die Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse der Lichtigfeld-Schule können die Betroffenheit der Gäste gut nachvollziehen: „Einige von uns hatten selbst Großeltern, die im Holocaust umgekommen sind“, bemerkt eine Schülerin.
„It’s so emotional“ versichern sich die beiden Brüder Mark und Steve immer wieder. Insbesondere die Berührung der Stolpersteine gibt ihnen ein Gefühl der Nähe zu ihren Großeltern, die sie nie kennenlernen durften. Die Vergewisserung ihrer Wurzeln erweckt in ihnen starke Heimatgefühle für Frankfurt, die Heimat ihrer Vorfahren.
Stolperstein für Ernst Stelzer
Ilse und Marian haben darunter gelitten, dass ihr treusorgender Großvater, Opi Ernest, keine angemessene Anerkennung für ihre Rettung erhielt, eine Würdigung, die er unbedingt verdient hätte. Ernst Stelzer hat die letzten Jahre seines Lebens seinen beiden Enkeltöchtern gewidmet. Nach seinem Tode wurde er 1948 auf einem New Yorker Friedhof beerdigt – sein Grab ist inzwischen unauffindbar; insbesondere Ilse hätte sich seine letzte Ruhestätte auf einem jüdischen Friedhof gewünscht. So sollte Ernst Stelzers wenigstens in seiner Heimatstadt Frankfurt neben Emil und Else mit einem eigenen Stolperstein vor seinem ehemaligen Haus in der Finkenhofstraße 23 gedacht werden.