KURZBIOGRAPHIE

Oswald Stein
geb. 10.3.1926 in Mayen/Eifel
ab 1929 in Frankfurt

Emigration:

  • 7. Juli 1939 Kindertransport nach England
  • Rückkehr: April 1947

Beruf

  • Studium der Germanistik, Anglistik und Geschichte
  • Lehrer an der Ziehenschule in Frankfurt,
  • Ausbilder für Studienreferendare und Schulbuch-Autor

Verheiratet mit Jutta Stein von 1980 bis zum Tode seiner Frau 2015
Lebt in heute Königstein

Eltern:

  • Gottfried Stein und Johanna, geb. Mayer
  • Beide gebürtig aus Mayen/Eifel
  • Ab 1929 in Frankfurt
  • Lehrer an der Musterschule, dann Adlerflychtschule
  • Oktober 1933 aus dem Schuldienst entlassen
  • Mit dem jüngsten Sohn in Vussem/Eifel überlebt

Geschwister:

  • Wolfgang , geb. 1922 in Mayen, katholischer Priester und Studentenpfarrer in Frankfurt,
    inzwischen verstorben
  • Gottfried, geb.1932 in Frankfurt, Berufsmusiker,
    lebt heute in Aachen

Quellen:

  • Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt (PJLF): Interviews mit Oswald Stein 2017
  • Oswald Stein, Abgebaut. Eine Familie erlebt das Dritte Reich, Frankfurt 1992.

Fotos:
Oswald Stein und Till Lieberz-Groß

Text und Recherchen:
Interviews: Christa Fischer und Till Lieberz-Groß (auch Beschaffung des Bildmaterials und der Dokumente)

Oswald Stein

Mit dem Kindertransport von der Römerstadt nach England

von Christa Fischer und Till Lieberz-Groß

Oswald Stein ist einer der zwei Kindertransport-Zeitzeugen, die im März 2017 zum Auftakt der Errichtung eines Kindertransport-Denkmals in Frankfurt sprechen werden: Während einer Besuchswoche in Frankfurter Schulen und im Studienseminar für Lehramtsreferendar/innen werden sie über ihre Erfahrungen als „Kindertransport-Kinder“ und das vom Projekt „Jüdisches Leben in Frankfurt e.V.“ initiierte Kindertransport-Denkmal informieren und für eine nachhaltige Erinnerungsarbeit werben.

Oswald Stein kam – anders als die meisten „Kinder“ – nach dem 2. Weltkrieg zurück nach Deutschland (wie auch Elisabeth Reinhuber) und arbeitete als Lehrer in Frankfurt, zuletzt an der Ziehenschule in Eschersheim.

Oswald Stein – von Frankfurt als „Kindertransport-Kind“ nach England

Oswald Stein wurde am 10.3.1926 in Mayen in der Eifel geboren.

Foto aus glücklichen Kindertagen

Ab 1929 lebte er mit den Eltern und den Brüdern Wolfgang (1922 geboren) und Gottfried (1932 geboren) in der Römerstadt im Frankfurter Nordwesten: erst in der Hadrianstraße und dann im kleinen Reihenhäuschen in der Straße „An der Ringmauer“ in der Ernst-May-Siedlung. Hier verbrachte er seine Kinderjahre bis 1939.

Nach dem Novemberpogrom 1938 beschlossen die Eltern die Auswanderung. Im April konnte der Bruder Wolfgang mit Hilfe der Quäker nach England emigrieren. Am 7. Juli 1939 folgte dann Oswald mit einem Kindertransport nach England, der von einer katholischen Hilfsorganisation betreut wurde.

Die Eltern und der jüngste Bruder wollten im Herbst nachkommen, was dann durch den Kriegsausbruch am 1.9.1939 nicht mehr möglich war. Erst acht Jahre später fand die Familie wieder zusammen.

Die Eltern – Gottfried und Johanna Stein, geb. Mayer

Beide Eltern sind in Mayen in der Eifel geboren und aufgewachsen. Der Vater, Gottfried Stein, ist 1893 geboren …

… und die Mutter Johanna, geb. Mayer, 1896.

Beide Familien waren seit mehreren Generationen in Mayen ansässig: Aber die eine Familie, die Steins, war katholisch und die Mayers waren jüdisch. Als „Steins Gottfried“ ankündigte, er wolle „Mayersch Johanna“ heiraten, rief das einen unvorstellbaren Skandal hervor.

Die Eltern beider Seiten waren fassungslos. Aus Gottfrieds Familie kamen Fragen bzw. Einschätzungen wie: „Heinrich, wenn der Gottfried dat Johanna heirat und de han Kinner, sein dat denn su klaane Jüdcher?“ und „Ja, Steins Gottfried, der ist ja für die freie Liebe.“

Das machte eine Heirat von Johanna und Gottfried in Mayen undenkbar. Doch der Bruder von Johanna, Salli Mayer, der sich nach dem ersten Weltkrieg als Arzt in Fürth niedergelassen hatte, war bereit, die Trauung an seinem Wohnort zu arrangieren. 1921 fand dann die standesamtliche Heirat statt. Das Paar zog nach Recklinghausen.

Einige Wochen nach der Trauung kam das junge Paar nach Mayen zu Besuch und Johanna fragte ihren Vater, ob sie denn nicht mal den Gottfried mitbringen könne. Worauf ihr Vater antwortete: „Na ja, denn bring en mal her, dat ich en wider de Wand knalle kann.“ Das geschah natürlich nicht und als ein Jahr später, 1922, das erste Kind (Wolfgang) zu Welt kam, war jeglicher Groll verschwunden.

Gottfried Stein hatte nach dem Abitur 1913 in Bonn Germanistik und alte Sprachen studiert und 1919 sein Staatsexamen abgelegt. Danach war er zwei Jahre Studienreferendar am Mayener Gymnasium. Nach dem Assessor-Examen 1921 war er ohne Anstellung, bis er über einen Bekannten am Finanzamt in Recklinghausen eine Stelle bekam.

Nach dem Tod von Gottfrieds Vater zog das das Paar nach Mayen zurück und Gottfried Stein übernahm mit seinem Bruder Jakob für einige Jahre die väterliche Schneiderei. 1926 kam Oswald Stein zur Welt, mit dem Kommentar der Hebamme „At widder en Jung“ (Alle Zitate aus: Oswald Stein, Abgebaut. Eine Familie erlebt das Dritte Reich, Frankfurt 1992)

Ausgrenzung durch die Nazis

1927/1928 bewarb sich Gottfried Stein auf Anraten eines Freundes in der Rheinprovinz für den Schuldienst und erhielt 1928 eine Stelle am humanistischen Gymnasium in Wiesbaden. Im folgenden Jahr bewarb er sich erfolgreich um eine Stelle an der Musterschule in Frankfurt und zog Ostern 1929 mit seiner Familie nach Frankfurt. Wegen Einsparungen an der Musterschule wurde Gottfried Stein an die weitaus weniger progressive Adlerflycht-Schule versetzt, was ihn sehr schmerzte, denn an dieser Schule wehte ein anderer Wind.

Da er als „fortschrittlicher“ Lehrer galt, der SPD angehörte und mit einer Jüdin verheiratet war, traf ihn die volle Härte des „ Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933: Im Oktober 1933 wurde er aus dem Schuldienst entlassen. Da 1932 ein dritter Sohn geboren worden war, der nach dem Vater Gottfried genannt wurde, war das für die nun fünfköpfige Familie ein herber Schlag. Mit der gewährten Gnadenpension von 236,91 RM kam man nicht weit.

Da besann sich Gottfried Stein auf seine schon bisher betriebene schriftstellerische Arbeit und begann Artikel für die Frankfurter Zeitung zu schreiben, eine Zeitung mit internationalem Ansehen. Friedrich Bethge, der damals hohe Ämter im Frankfurter Kulturbetrieb innehatte, setzte sich dafür ein, dass er weiter schreiben konnte, riet ihm aber, nichts Politisches zu veröffentlichen.

So schrieb Vater Stein neben Zeitungsartikeln auch Bücher über Vögel, Hunde und Wein.

Im Hause Stein gab es selbstverständlich Haustiere und sogar eine Voliere hinter dem Haus.

Nach dem Novemberpogrom 1938 beschlossen die Steins auszuwandern. Ein jüdischer Kollege des Vaters, Dr. Ernst Kohn-Bramstedt, war bereits 1933 nach England emigriert und bot seine Hilfe an. Über Verwandte bzw. Bekannte konnte er für den ältesten Sohn Wolfgang einen Internatsplatz bekommen – und nach weiterem Bemühen einer alten Dame, Miss Fanny Johnson, wurde auch für Oswald ein Internatsplatz gefunden.

Wolfgang ging nach Letchworth Garden City im Bezirk Herfordshire und Oswald folgte kurze Zeit später. Am 7.7.1939 reiste Oswald mit einem Kindertransport nach England, und kam im Nachbarort Hitchin unter. Durch die Nähe der Orte konnten sich die Brüder wenigstens gelegentlich besuchen.

Die Eltern zogen mit dem jüngsten Bruder von der Römerstadt in die Wolfsgangstraße und später zu Verwandten nach Vussem in die Eifel, wo sie den Krieg überlebten. Dass Johanna Stein jüdisch war, wussten nur die Cousine und der Pfarrer, die dieses Wissen für sich behielten. Nach dem Krieg lebten die Eltern bis zu ihrem Tode 1969 bzw. 1976 in Königstein im Taunus.

„Rückevakuierung“ nach 8 Jahren in England

Nach Deutschland kam Oswald Stein erst wieder im April 1947. Er war in England zur Schule gegangen – kein leichtes Unterfangen mit nur drei Lektionen Englisch im heimischen Frankfurt. Oswald hatte nach der Römerstadtschule (Grundschule) ab 1936 das humanistische Lessing-Gymnasium besucht – wie sich später herausstellte, eine kurze, aber effektive Bildungsphase: Aber Englisch hatte er dort nicht gelernt. Dennoch gelang es ihm, auch befördert durch die Tatsache, dass er im Internat der einzige Deutsche war, schnell die ungewohnte Sprache zu lernen und in England sogar die Hochschulreife zu erlangen.

Direkt anschließend wurde er als junger Student in „The Becket School“ in Nottingham als Aushilfslehrer für Latein eingestellt, damals wegen des kriegsbedingten Lehrermangels eine gesuchte Fachkraft.

Am 14.10.1946 wurde Oswald Stein in England ein „Certificate of Identity“ ausgestellt, „Issued For Repatriation“. Im Dezember 1946 stellte Gottfried Stein für seinen Sohn einen Antrag auf „Rückevakuierung” nach Deutschland. Vater Stein begründete seinen Antrag: „Oswald Stein siedelte i. Juli 1939 nach England über, da er als Halbjude in der Ausbildung behindert war. Er soll in Ffm s. Studium fortsetzen, bei der Jugendorganisation mitwirken u. bei der Familie wohnen. Er hat alle Papiere für d. Reise – wartet nur noch auf d. Zuzugsgenehmigung.“ (Schreibweise wie im Original).

Unterstützt wurde der Antrag durch ein Empfehlungsschreiben des damaligen Schulamtsleiters in Frankfurt, der die Argumentation des Vaters aufgriff und zudem darauf hinwies, dass „Oswald Steins Vater … als Schriftsteller im politischen und kulturellen Leben Frankfurts tätig“ (ist) und dass (Oswald) „in der Wohnung der Eltern unterkommt“ und damit „besonderen Wohnraum … nicht beanspruchen“ (wird). Die Eltern wohnten – fast symbolisch – zu dieser Zeit in der Schönwetterstr. 4.

Neubeginn in Frankfurt

In Frankfurt zurück studierte Oswald Germanistik, Anglistik und Geschichte für das Lehramt und arbeitete anschließend als Lehrer und Ausbilder für Englisch-Referendare. Zu Beginn seiner Berufstätigkeit war er 1952 ein Dreivierteljahr als Assistent im Deutschunterricht des Lycee Condorcet in Paris tätig. Zudem wirkte er bei der Herstellung des Englisch-Lehrwerks Anyway mit.

1980 heiratete Oswald Stein seine Frau Jutta, die bis zur Heirat in der Stadtverwaltung in Mayen tätig war. Jutta Stein, geb. 1945 starb leider bereits im Jahre 2015, erst 70 Jahre alt. Bis zu seiner Pensionierung 1988 war Oswald Stein Lehrer an der Ziehenschule, einem Gymnasium in Eschersheim, gar nicht weit von seiner Kindheitsstätte in der Römerstadt entfernt.

Oswald Stein lebt heute in Königstein.

Der ältere Bruder Wolfgang wurde katholischer Priester im Augustiner-Orden. Er war viele Jahre Studentenpfarrer in Frankfurt. Wolfgang Stein ist inzwischen verstorben.

Der jüngere Bruder Gottfried wurde Berufsmusiker. Seine Tochter wurde eine erfolgreiche Sängerin und ist heute Professorin an der Musikhochschule in Leipzig. Gottfried jr. lebt in Aachen.