KURZBIOGRAPHIE

Felix Weil

geb. 1927

Teilnahme am Besuchsprogramm 2006

Besuchte Schulen: Holzhausenschule, Philantropin

Wohnadressen in Frankfurt/M.: Wolfsgangstraße 105, Sophienstraße 12

Emigration: mit dem Kindertransport am 10.8.1939 nach England

Rückkehr nach Frankfurt als amerikanischer Soldat 1946

Eltern:
Ludwig Weil, geb. 1873 in Sulzburg/Baden
Textilgeschäft des Vaters „Weil, Marx & Co“in der Kaiserstraße 41 in Frankfurt/M.

Linda Weil, geb. Herzfeld, geb.1887 in Frankfurt/M.

Schwester:
Henny Weil, geb. 1925

Deportation der Eltern und der Schwester:
19. Oktober 1941 nach Litzmannstadt/Lodz
Todesdatum des Vaters: 30.12.1941


Veröffentlichungen über Felix Weil und Quellenhinweise:

Gottfried Kößler, Angelika Rieber, Feli Gürsching (Hrsg.):”
…daß wir nicht erwünscht waren.“ Novemberpogrom 1938 in Frankfurt am Main. Berichte und Dokumente”, Frankfurt 1993

Rieber, Angelika:
Wir bleiben hier! Lebenswege Oberurseler Familien jüdischer Herkunft; Verlag Waldemar Kramer, Frankfurt 2004

„Aber mein Selbstbewusstsein habe ich nicht verloren“ – Jüdische Kindheit und Jugend. Lebenserinnerungen als Zugang, die Vergangenheit und sich selbst besser zu verstehen;
in: Jüdische Kindheit und Jugend. Laupheimer Gespräche 2011, Hrsg.: Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Winter-Verlag, Heidelberg 2012

Zur Familie Herzfeld: Wilhelm Herzfeld, „Freitagabend wurde der Anzug gewechselt.” Erinnerungen 1887 – 1914, in Ostend: Blick in ein jüdisches Viertel, Frankfurt 2000, S. 26-41 (Link zu diesen Erinnerungen: s. am Ende des biographischen Textes)


Fotos: Felix Weil/Sammlung Angelika Rieber

Text und Recherchen:
Angelika Rieber

Felix Weil

Mit dem Kindertransport nach England

von Angelika Rieber

Felix Weil wurde 1927 geboren. Die Familie lebte in der Wolfsgangstraße. Der Vater, Ludwig Weil, besaß ein gut gehendes Textilgeschäft in der Kaiserstraße in Frankfurt. Felix Weil besuchte anfangs die Holzhausenschule, später musste er zum Philantropin wechseln.

Im Juni 1939 schickten die Eltern Felix in ein Kinderheim. Am 10. August 1939 konnte der Zwölfjährige Deutschland mit einem Kindertransport nach England verlassen. Seinen Eltern und der zwei Jahre älteren Schwester gelang die Flucht nicht mehr. Sie wurden im Oktober 1941 nach Litzmannstadt/Lodz deportiert.

Von England aus konnte Felix Weil 1945 in die USA auswandern, wo er heute lebt. Nach Kriegsende kam er 1946 für einige Monate als junger Soldat zurück nach Frankfurt.

„Ich hatte eine sehr, sehr angenehme Kindheit“

„Am 12. Dezember 1927 wurde ich in Frankfurt am Main geboren. Wir wohnten in der Wolfsgangstraße 105, nicht weit vom IG-Farben-Gebäude. Dort lebten wir viele Jahre, und ich hatte eine sehr, sehr angenehme Kindheit mit meinen Eltern, Ludwig und Linda Weil, und meiner Schwester Henny“, erinnerte sich Felix Weil.

Mit dem Beginn der Nazi-Herrschaft änderte sich die Lebenssituation der Familie. Aufgrund der sich verschlechternden wirtschaftlichen Situation mussten sie in eine kleinere Wohnung in der Sophienstraße umziehen, „ein deutlicher Abstieg“, so Felix Weil. Das gutgehende Textilgeschäft des Vaters in der Kaiserstraße wurde 1938 „arisiert“.
Eingeschult wurde Felix in die Holzhausenschule. Da der Anteil jüdischer Kinder auf weiterführenden Schulen auf 1,5% begrenzt wurde, musste der Junge aber bald unfreiwillig eine jüdische Schule besuchen, das Philantropin in der Hebelstraße. Im Gegensatz zur Familie der Mutter, die streng religiös war, waren die Weils liberal. Im Winter feierte die Familie Channukka, aber der Weihnachtsbaum gehörte ebenso zum Leben der Weils.

„Für Hunde und Juden verboten“

Als schleichend erlebte die Familie die zunehmenden Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit. Felix konnte sich noch gut an das Schwimmbad in Königstein erinnern, in das er sehr gerne ging. Dort erfuhr er auch schmerzlich den zunehmenden Ausschluss aus dem öffentlichen Leben. Zusammen mit seiner Schwester Henny war er öfters in einem jüdischen Kinderheim in der Kurstadt. Regelmäßig gingen sie während des Sommers ins örtliche Schwimmbad, bis sie sich eines Tages mit einem Schild konfrontiert sahen, das ihnen den Besuch des Bades untersagte. Felix erinnert sich an die Aufschrift: „Für Hunde und Juden verboten“. So stand ihnen nur noch das jüdische Schwimmbad in Frankfurt-Niederrad zur Verfügung. Diese Einschränkung erlebte der Junge als eines der ersten Anzeichen des zunehmenden Antisemitismus.

Hin- und hergerissen war Felix mit seinem Wunsch dazuzugehören und der Realität des Ausschlusses. „Als ich neun Jahre alt war“, erzählte er, „hatte ich ein Erlebnis, das mich sehr aufregte. Die Hitlerjugend hatte so wundervolle Uniformen mit schwarzen Hosen, braunen Hemden und Messern an den Gürteln. Die Jungen marschierten durch die Straßen, trugen Fahnen und ich durfte nicht dabei sein. Ich habe mich geärgert, nicht Teil der Hitlerjugend sein zu können. Ich lief neben ihnen her und befolgte ebenfalls ihre Anweisungen wie „Links, rechts“ und so weiter. Schließlich kam der Gruppenführer und erklärte mir: „Frecher Juddebub, weg von der Straße. Das geht dich nichts an.“

Rauch erfüllte die Luft

Zwar spürte die Familie immer wieder die zunehmende Ausgrenzung von Juden in der Gesellschaft, doch erst das Novemberpogrom wurde als lebensbedrohlicher Einschnitt in ihr Leben wahrgenommen.

Nach der „Kristallnacht“ änderte sich alles sehr schnell, erinnert sich Felix Weil. Glücklicherweise blieb die Familie von den Ausschreitungen im November 1938 verschont. Felix Weil erinnerte sich daran, dass er Sirenen hörte, Feuerwehrautos und überall Polizisten sah. Rauch erfüllte die Luft.

Vor dem Novemberpogrom hatte Ludwig Weil eine Auswanderung noch völlig ausgeschlossen. „Mein Vater war der Ansicht, dass das Ganze bald vorbei sein, die Nazis die Macht verlieren und die Dinge sich bald wieder normalisieren würden. Warum sollte er gehen? Er hatte das Eiserne Kreuz im Ersten Weltkrieg erworben, hatte für die Deutschen gekämpft und keinerlei Angst davor, dass es ihn treffen könnte.“

Nach dem Novemberpogrom jedoch änderte sich seine Haltung. Im Juni 1939 schickten die Eltern Felix in ein Kinderheim der Flersheim-Sichel-Stiftung in Frankfurt-Dornbusch, wo ihr Sohn darauf wartete, mit einem Kindertransport aus Deutschland herauszukommen. Für viele Familien war dies als erster Schritt zur Vorbereitung auf die eigene Emigration gedacht. Gleichzeitig stand dahinter der Wunsch, den Kindern eine angemessene Ausbildung und eine ungestörte Kindheit und Jugend zu ermöglichen.

Dafür war man bereit, eine vorübergehende Trennung in Kauf zu nehmen. Tausende Jugendliche verließen Deutschland mit Kindertransporten, überwiegend nach England, aber auch nach Frankreich, Belgien, Holland, Schweden, Amerika oder Palästina. Den meisten Eltern, so auch Ludwig und Linda Weil gelang es jedoch nicht mehr, Deutschland zu verlassen. So wurde es für Felix Weil und viele andere Kinder ein Abschied für immer.

„Für mich war es einfach aufregend. Ich dachte, ich würde meine Familie bald wiedersehen“

Felix Weil verließ Deutschland im August 1939, als Zwölfjähriger, mit einem Kindertransport der Jüdischen Wohlfahrtspflege. „Am Abreisetag sah ich meine Mutter am Morgen weinend an meinem Bett sitzen. Für mich war die Sache eher ein Abenteuer, auf so eine lange Reise in ein fremdes Land zu gehen. Natürlich habe ich in diesem Moment nicht realisiert, dass ich meine Familie nie wiedersehen würde.

Am frühen Morgen des 10. August 1939 brachten mich meine Eltern zum Hauptbahnhof, zu diesem Zug mit Hunderten von Kindern. Ich habe immer noch vor Augen, wie meine Eltern und meine Schwester auf dem Bahnsteig stehen, als wir abfuhren. Für meine Eltern muss es dramatisch gewesen sein. Für mich war es einfach aufregend. Ich dachte, ich würde meine Familie bald wiedersehen.“ Beschämt fühlt er sich heute, wenn er an die Zugfahrt nach England denkt. Dort herrschte, so erinnert er sich, eine freudige Stimmung. Dass er seine Familie nicht wiedersehen würde, konnte er sich damals nicht vorstellen.

Seinen Eltern und der Schwester Henny gelang es jedoch nicht mehr zu fliehen. Sie wurden am 19. Oktober 1941 mit dem ersten Transport von Frankfurt aus nach Litzmannstadt/Lodz deportiert. Dort starb Ludwig Weil am 30.12.1941. Über das weitere Schicksal von Henny und Linda Weil ist nichts bekannt.

In London angekommen musste Felix Weil erleben, dass niemand kam, um ihn abzuholen. Schließlich stellte sich heraus, dass man dort ein Mädchen mit dem Namen Felicia erwartet hatte. Schließlich brachte man den Jungen zunächst in einem Kinderheim für Mädchen unter.

Nach Kriegsbeginn am 1. September 1939 gelangte kein Kindertransport mehr nach England. Daher kann Felix Weil den Gedanken nicht abschütteln, dass möglicherweise eine Verwechslung vorlag und ein Mädchen an seiner statt deportiert und ermordet wurde.

„Ich hatte sehr gemischte Gefühle“

Von England aus gelang es Felix Weil im April 1945 in die USA auszuwandern, wo er heute noch lebt. Dort lebten Verwandte, unter anderem eine Schwester seiner Mutter. Als amerikanischer Soldat kehrte er 1946 nach Deutschland zurück. Dieser Rückkehr in seine Heimatstadt war für ihn sehr bewegend.

„Und wo haben sie mich hingeschickt? Zurück nach Deutschland. Und wo haben sie mich in Deutschland hingeschickt? Gerade zurück nach Frankfurt. Das war eine dramatische Erfahrung für mich, dort anzukommen und die zerstörte Stadt zu sehen, all die Ruinen und die hungrigen Menschen. Ich wusste nicht, ob ich glücklich oder traurig sein sollte.“ Bis zum Main konnte man blicken, erinnert sich der frühere Frankfurter.

Felix Weil kam mit dem Zug am Hauptbahnhof an, dort, wo er seine Familie sieben Jahre zuvor das letzte Mal gesehen hatte, bewegt und traurig. Bei seinem Aufenthalt in Frankfurt erfuhr Felix Weil, dass seine Eltern und die Schwester deportiert und ermordet worden waren. Was damals in ihm vorging, die ambivalenten Gefühle gegenüber seiner Geburtsstadt und gegenüber den Deutschen beschreibt er folgendermaßen: „Dies sind also die Menschen, die meine Eltern ermordet haben. Dies sind die Menschen, die mein ganzes Leben erschüttert haben. Und dennoch fühlte ich in meinem Herzen, dass ich ein Deutscher war. Ich hatte sehr gemischte Gefühle. Was sollte ich tun? Sollte ich ein Gewehr holen und einfach drei Deutsche töten als Ausgleich für den Verlust meiner Angehörigen? Diese Gedanken gingen mir viele Male durch den Kopf.“ Seinen Kameraden gegenüber verschwieg er, dass er ursprünglich aus Frankfurt kam.

Bei seinen Gesprächen in Schulen in Frankfurt und in Oberursel fragten die Jugendlichen, weshalb er seine Herkunft damals verbarg. Felix Weil erklärte ihnen sein Verhalten mit den Erfahrungen, die er als Kind gemacht hatte: „In Deutschland war ich der Jude, in England ein Deutscher, in Amerika wollte ich endlich einmal sein wie alle anderen.“

In den Vereinigten Staaten baute er sich ein neues Leben auf. Heute sagt er, verspüre er keinen Hass. Doch die Traurigkeit blieb, die Ungewissheit, was mit seinen Angehörigen wirklich geschah, belastete ihn. Welche Bedeutung die Kenntnis der Todesdaten und -umstände hat, so bitter diese Tatsachen auch sind, offenbarte ein Brief von Felix Weil. Als er 1992 erfuhr, wann und wo sein Vater gestorben war, konnte er zum ersten Mal am Todestag des Vaters das Kaddisch sprechen.

Unsere einzige Hoffnung ist die Jugend

1994 und 1995 kam Felix Weil auf Einladung der Stadt Frankfurt erneut in seine frühere Heimat. 1994 wurde eine Gedenktafel am früheren jüdischen Schwimmbad in Frankfurt-Niederrad eingeweiht. Felix Weil kam mit seiner Tochter Linda, die den Namen ihrer ermordeten Großmutter trägt, und dem Sohn Loren. Beiden war es wichtig, den Vater bei dem ersten Besuch in Deutschland seit seiner Zeit als Soldat im Jahre 1946 zu begleiten. Zurückzukehren zu den Wurzeln sei Teil eines Heilungsprozesses, sagte Loren Weil nach dem Besuch in Frankfurt. „Es ist, also ob sich ein Kapitel in seinem Leben schließt. Es gehört eine Menge Mut dazu zurückzukehren.“

Der zweite Besuch folgte ein Jahr später, als Felix Weil anlässlich des 50. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus nach Frankfurt eingeladen wurde. Dieses Mal wurde er von seiner Frau begleitet. Auch ein Besuch in Oberursel, dem Herkunftsort der mütterlichen Familie, stand auf dem Programm mit einer Begrüßung durch den Bürgermeister, einem Rundgang durch den Ort, vorbei an der früheren Mühle seines Urgroßvaters, dem jüdischen Friedhof in der Altkönigstraße, auf dem die Vorfahren beerdigt sind, und dem Vortaunusmuseum. Die dort ausgestellten Seifenkisten erregten das besondere Interesse von Felix Weil. Schließlich verband er damit Erinnerungen an Seifenkistenrennen in Akron/Ohio, denen er gerne zugeschaut hatte. Lebhaft wurde die Frage diskutiert, wo nun das erste Seifenkistenrennen stattgefunden hat, in Oberursel oder in Akron?

Elf Jahre später kehrte Felix Weil im Rahmen des Besuchsprogramms für verfolgte Frankfurterinnen und Frankfurter ein weiteres Mal in seine Geburtsstadt zurück und nutzte den Aufenthalt für einen Besuch in der Geburtsstadt seines Vaters in Sulzburg/Baden ebenso wie für Gespräche in Schulen.

Ein wichtiges Anliegen des früheren Frankfurters ist es, seine Erfahrungen an Jugendliche weiterzugeben. So sprach er während seiner Besuche in Deutschland in verschiedenen Schulen. Seither ist Felix Weil auch in seiner heutigen Heimat als Zeitzeuge aktiv. „Ich will alles tun, um die Jugend aufzuklären und ihr helfen zu verstehen, dass der Holocaust nicht einfach eine Seite im Geschichtsbuch ist.“


Zur Familie Herzfeld:

Wilhelm Herzfeld, „Freitagabend wurde der Anzug gewechselt.“ Erinnerungen 1887 – 1914, in: Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel, Frankfurt 2000, S. 26-41.PDF
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