Kurzbiographie

Richard Ullmann

„Denn wir haben hier keine bleibende Statt…“

Richard Ullmann, geb. 1904 in Frankfurt, Christ jüdischer Herkunft
Germanist, konnte seine Karriere an der Universität nicht fortsetzen
Wohnorte: Frankfurt und Oberursel
1934-37 Lektorentätigkeit an der Deutschen Akademie in Griechenland
November 1938 Lagerhaft in Buchenwald
1939 Emigration nach England mithilfe der Quäker
Seine nichtjüdische Frau Helene und die beiden Töchter, „Mischlinge 1. Grades“, blieben in Deutschland
1940 Verhaftung als „feindlicher Ausländer“ und Transport nach Australien
1946 Rückkehr nach Deutschland mit dem Quäker-Hilfsdienst
1948 übersiedelt die ganze Familie nach England
1963 stirbt Richard Ullmann

Bruder

Franz Ullmann, geb. 1901
11.6.1941 Deportation

Töchter:

Gerd (Dia, 1928) und Christiane (1931) Ullmann
1942 Ausschluss von Dia Ullmann vom Schulbesuch einer weiterführenden Schule
Februar 1945 Aufforderung zum „geschlossenen Arbeitseinsatz in Theresienstadt“
Gerd und Christiane Ullmann leben in Kanada


Quellen
Rieber, A. (2004): Wir bleiben hier. Lebenswege Oberurseler Familien jüdischer Herkunft
Ullmann, H. (1965): Der Mut zur reinen Tat. Richard Ullmann, sein Leben und sein Werk, Bad Pyrmont
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
Private Informationen und Dokumente

Text:

Angelika Rieber

Familie Ullmann

Bei den Quäkern fand Richard Ullmann eine neue geistige Heimat

von Angelika Rieber

Denn wir haben hier keine bleibende Statt, aber die zukünftige suchen wir

Richard Ullmann stammte aus einer jüdischen Familie, die ab dem 16. Jahrhundert in Frankfurt ansässig war. Intensiv setzten sich die Ullmanns mit ihrer christlichen Umgebung auseinander und hatten eine offene Haltung in religiösen Fragen.
Richard Ullmann und sein Bruder Franz wurden in den evangelischen Religionsunterricht geschickt, da die Familie Kenntnisse des Neuen Testaments für ein wichtiges Bildungsgut hielt. Streitigkeiten zwischen verschiedenen Strömungen innerhalb der jüdischen Gemeinde führten dazu, dass die Eltern der beiden Brüder aus der jüdischen Gemeinde austraten und ihre Kinder taufen ließen.

Mit seinem Konfirmationsspruch aus dem Hebräerbrief „Denn wir haben hier keine bleibende Statt, aber die zukünftige suchen wir“, setzte sich Richard Ullmann zeit seines Lebens auseinander und war sich stets seiner jüdischen Herkunft bewusst.
Während seines Germanistik-Studiums lernte Ullmann seine spätere Frau, Helene Gotthard, nichtjüdischer Herkunft, kennen, die er 1927 heiratete. Nach einem vierjährigen Aufenthalt als Dozent in China zog die Familie nach Oberursel.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde zur inneren Tragödie

Hitlers Machtantritt führte zu einem folgenschweren Einschnitt in der beruflichen Entwicklung des jungen Familienvaters. Er konnte seine geplante Habilitation an der Frankfurter Universität nicht mehr beenden. Dies wirkte sich auch auf seine psychische Verfassung aus und er „wurde immer unsicherer seiner selbst“.
Im „Reichsverband nichtarischer Christen“ fand er Leidensgenossen und konnte sich mit ihnen austauschen. Das Novemberpogrom 1938 wurde zu einem Wendepunkt im Leben der Familie. Als sogenannter „Aktionsjude“ wurde Richard Ullmann verhaftet und nach Buchenwald deportiert. Erst am 19. Februar kehrte der Oberurseler wieder zurück, kahlgeschoren, abgemagert und verstört.

Feindlicher Ausländer

Nun hielt ihn nichts mehr in Deutschland. Mit Hilfe der Quäker gelang es Richard Ullmann, nach England zu fliehen. Bei den Quäkern fand er eine neue geistige Heimat. Nach Kriegsbeginn fühlte sich der Emigrant, der unfreiwillig seine Heimat verlassen hatte, erneut ausgegrenzt und wurde als „feindlicher Ausländer“ interniert und nach Australien abgeschoben.

Den Quäkern gelang es, ihn zurück nach England zu holen, da er für die Vorbereitung von Hilfsdiensten nach Beendigung des Krieges gebraucht wurde und damit in die Kategorie „befreundeter Ausländer“ aufrückte. In seiner Arbeit für die Quäker beschäftigten ihn vor allem die seelischen Auswirkungen des NS-Regimes auf die Menschen und deren Unterstützung in der Nachkriegszeit.

Entlassen aus der Anstalt

Helene Ullmann und die beiden Töchter blieben in Oberursel. Bis 1942 spürten sie keine weiteren einschneidenden Veränderungen. Dies änderte sich 1942, kurz nach Dia Ullmanns 14. Geburtstag. „Halbjüdische“ Kinder wurden nach einer ministeriellen Rundverfügung vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen. Kurz vor Ende des Krieges folgte der „schlimmste Schock meines Lebens“, so Dia Ullmann. Sie erhielt die Aufforderung zum „Arbeitseinsatz in Theresienstadt“. Dazu kam es allerdings nicht mehr. Nach einem kurzen Aufenthalt im Untersuchungsgefängnis wurde die Gruppe aus Ober­ursel wieder entlassen.

Das Kriegsende hat sich bei den beiden Mädchen eingeprägt. Christel wurde noch am Sonntag vor der Befreiung in der Christuskirche konfirmiert. Am Karfreitag rückten dann die amerikanischen Truppen ein. Ein der Bekennenden Kirche angehöriger Pfarrer hielt eine Predigt, „die alle Wände geschüttelt hat. Draußen hörte man die Panzer einfahren, drinnen eine Bußpredigt ohnegleichen“, erinnert sich Dia.

Sentimental Journey

1946 gelang es Richard Ullmann, für ein Jahr mit dem Quäkerhilfsdienst nach Deutschland zurückzukehren. Von der Wirklichkeit der zerstörten Städte und dem Nachkriegselend schockiert und der Tatsache, dass sein Bruder Franz deportiert und ermordet worden war, belastet, gelang es ihm nicht, sich wieder in Deutschland zurechtzufinden, und er kehrte wieder nach England zurück. Seine Familie folgte ihm ein halbes Jahr später.
Richard Ullmann schrieb seine bewegenden Eindrücke und Erfahrungen in einem Tagebuch nieder und veröffentlichte sie in England unter dem Titel „Sentimental Journey“. Bis zu seinem Tod 1963 engagierte sich der frühere Oberurseler für die Quäker im internationalen Friedensdialog.