KURZBIOGRAPHIE

Name:

  • Otto Riesser, geb. 1882 in Frankfurt, 1904 getauft
  • Pharmakologe und Mediziner
  • 1934 als Leiter seines Universitäts-Instituts in Breslau entlassen
  • 1935 Umzug der Familie nach Oberursel
  • Vorübergehende Beschäftigung in Frankfurt und in Davos
  • 1939 Emigration nach Holland, die Familie bleibt in Deutschland
  • 1945 Rückkehr nach Oberursel
  • Professur an der Universität in Frankfurt
  • 1959 stirbt Otto Riesser

Letzte Wohnorte:
Breslau und Oberursel

Kinder:

  • Hajo Riesser (1920), „Mischling 1. Grades“, Mediziner
  • 1940 Entlassung aus der Armee und Ausschluss vom Medizinstudium
  • 1943 Zwangsarbeit in Hamburg
  • 1945 Fortsetzung des Studiums
  • Leitung des Jugendbüros des Christlichen Friedensdienstes

Birgit Riesser (1921)

  • 1941 Ausschluss vom Studium
  • 1941-45 Ausbildung und Arbeit als Röntgen-Assistentin
  • Februar 1945 Aufforderung zum „Geschlossenen Arbeitseinsatz in Theresienstadt“
  • Juni 1945 Ausreise in die Schweiz und Heirat

Quellen:

  • Rieber, Angelika (2004): Wir bleiben hier: Lebenswege Oberurseler Familien jüdischer Herkunft.
  • Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
  • Archiv der Christuskirchengemeinde
  • Private Dokumente

Fotos
Clemens Riesser (CR)
Birgit Wenger (BW)
Ilse Tesch (IT)

Text:
Angelika Rieber

Erschienen:
2014

Familie Riesser

„Ist Jude, daher Gegner“

von Angelika Rieber

„Mein Standpunkt damals und stets war, dass ich mit keiner Regung und Handlung anerkennen dürfe, dass ich etwas anderes als ein Deutscher sei.“

Zu den prominenten Vorfahren der Familie Riesser aus Oberursel gehören Gabriel Riesser, einer der profiliertesten Mitglieder der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848/49, und sein Neffe Jakob Riesser, der dem Reichstag angehörte. Von 1921 bis 1928 war er Vizepräsident des Reichstages. Obwohl er sich stark mit der jüdischen Herkunft verbunden fühlte, ließ Jakob Riesser seine Kinder taufen.

Sein Sohn Otto wurde 1882 in Frankfurt geboren und studierte Pharmakologie und Medizin. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Otto Riesser 1919 Elisabeth Kalau von Hofe, geb. Faelligen. Beide brachten Kinder mit in die Ehe, Otto seine Tochter Marion, Elisabeth die Kinder Ruth und Heinz. 1920 wurde der Sohn Hajo geboren. 1921 die Tochter Birgit. Alles sah nach einem glücklichen Familien- und Berufsleben aus.

1933 endete dieser Traum. Otto Riesser erlebte, wie Kollegen an der Universität in Breslau kriminalisiert und zum Rückzug gezwungen wurden, und beobachtete das ängstlich angepasste Verhalten vieler nichtjüdischer Kollegen. Auch Otto Riessers Vorlesungen wurden boykottiert und gestört. Im Juni 1934 wurde er als Leiter seines Institutes abgesetzt und ein Jahr später zwangsemeritiert. Trotzdem nahm er an Sitzungen verschiedener Organisationen teil, um seine Kollegen mit dem erlittenen Unrecht zu konfrontieren. „Was dies aber alles innerlich gekostet hat, das weiß niemand“, so Riesser in seinen Erinnerungen.

„Nach kurzer Verhaftung am 11. November 1938 zog ich es vor, ins Ausland zu gehen“

Otto Riesser zog mit seiner Familie von Breslau nach Oberursel. Wenigstens vorübergehend war es ihm bis zum Novemberpogrom gelungen, seine wissenschaftliche Arbeit fortzusetzen.

Nach kurzer Verhaftung im November 1938 wurde Otto Riesser wieder freigelassen. Der Mediziner erhielt mehrere Angebote aus dem Ausland und entschloss sich, eine Stelle in Amsterdam anzunehmen, um nahe bei der Familie bleiben zu können, eine Fehlentscheidung, denn 1940 wurden die Niederlande von deutschen Truppen besetzt.
Otto Riesser überlebte, dank zahlreicher „Zufälle“, möglicherweise durch Protektion eines nichtjüdischen Schwagers. Seine Mutter wurde 1944 nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 6. April 1945 starb.

Zwischen den Stühlen

Die beiden Kinder Birgit und Hajo waren zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt. Beide wurden zunächst zum Arbeitsdienst eingezogen, Hajo 1940 zum Militär, jedoch wenige Monate später als wehrunwürdig entlassen, eine schmerzhafte Erfahrung für ihn.
Auch sein Medizinstudium durfte er nicht fortsetzen. Er fand zunächst eine kaufmännische Beschäftigung in Hamburg, wurde jedoch gegen Ende des Krieges in der Organisation Todt zu Zwangsarbeit verpflichtet, aber nicht interniert.

Seine Schwester Birgit hat keine guten Erinnerungen an ihre Lehrer in Oberursel, hatte jedoch gute Kontakte zu vielen ihrer Mitschüler. Da auch ihr ein Studium verwehrt war, begann sie eine Lehre in einem Röntgeninstitut in Frankfurt. Zwar war ihr Leben eingeschränkt, jedoch erlebte sie keine direkte Bedrohung bis zum 7. 2. 1945, dem Tag, an dem sie das Schreiben erhielt, sich am nächsten Morgen zum „geschlossenen Arbeitseinsatz in Theresienstadt“ zu melden.

Verzweifelt suchte sie nachts den Referatsleiter der Gestapo in Kronberg auf und erklärte ihm, die Vorladung sei ein Irrtum, da sie mit einem Schweizer verlobt sei. Ihr Einsatz hatte Erfolg, und auch den anderen Oberurselern blieb der Arbeitseinsatz erspart. Geblieben sind ihnen die Gefühle von Todesangst.

„Meine erste Amtshandlung war, dass ich mich habe aufbieten lassen, Standesamt Blankenese“

Das Ende des NS-Regimes bedeutete für die Familienmitglieder eine große Erleichterung. Birgit konnte endlich zu ihrem Verlobten in die Schweiz, mit dem sie dann 67 Jahre lang verheiratet war, Otto Riesser kehrte im August 1945 aus den Niederlanden zurück. Hajo Riessers erster Schritt bestand darin, das Aufgebot zu bestellen, damit er seine nichtjüdische Freundin heiraten konnte. Bei seinem Studium lernte er Gertrud Kurz kennen. Die „Mutter der Flüchtlinge“ gewann den jungen Mann für ihre Friedensarbeit. Zwölf Jahre lang leitete Hajo Riesser das Jugendsekretariat des Christlichen Friedensdienstes.

Otto Riesser blieben nach seiner Rückkehr ernüchternde Erfahrungen nicht erspart, als es um seine Anerkennung als Verfolgter des Nazi-Regimes ging. Mit großem Engagement widmete er sich der „sittlichen und geistigen Wiederaufrichtung“ Deutschlands und der Erziehung der Jugend. Die Studenten forderte er gerade auf dem Hintergrund seiner Erfahrungen auf, sich hohe Ziele zu setzen, denn „nur am Hohen lernt man klettern, und nur, indem wir die Ziele uns sehr hoch an den Himmel setzen, werden wir ein paar Meter des Höhenweges erobern“. Im Dezember 1949 starb der Oberurseler.