Kurzbiographien:

Name: Fred Schwab, geb. Friedrich Ernst Schwab
Teilnahme am Besuchsprogramm: 1992
Geboren: 1918
Wohnadresse: Rheinstraße 7
Schule: Goethegymnasium
Ausbildung: kaufmännische Lehre
Geschäft des Vaters: Moselstraße 7
Emigration 1937 in die USA

Name: Marianne Schwab, geborene Rothschild
Teilnahme am Besuchsprogramm: 1992
Geboren: 1919
Wohnadresse: Louisenstraße in Bad Homburg
Schule: Lyzeum Bad Homburg, heute Humboldtschule
Beruf des Vaters: Bankier
Emigration: 1939 über England in die USA
Deportation der Eltern Louis und Melanie Rothschild am 28.8.1942 nach Theresienstadt


Veröffentlichungen über die Familien Rothschild und Schwab
- Gisa Hillesheimer und Angelika Rieber: Marianne Schwab: “Ich habe immer noch ein bisschen Sehnsucht und Heimweh”, Filmportrait in Zusammenarbeit mit der Staatlichen Landesbildstelle Hessen und dem Fritz-Bauer-Institut, Frankfurt 1995 (Signatur DVD: 4671683)
Als Online-Video: Signatur 4959949

- Angelika Rieber: Portrait von Marianne Schwab; in: Jahrbuch Hochtaunus 1997, Societätsverlag, Frankfurt 1996


Quellen:
Interviews und Gespräche mit Marianne und Fred Schwab
Private Dokumente

Fotos:
Marianne Schwab, Angelika Rieber, Klaus Schilling, Stadtarchiv Bad Homburg

Text und Recherchen: Angelika Rieber

Fred Schwab und Marianne Schwab, geborene Rothschild

„Meine Mutter lehrte mich, nicht zu hassen“

von Angelika Rieber

Fred Schwab wurde in Frankfurt geboren. Ihm gelang es 1935, Deutschland zu verlassen. Seine Frau Marianne, geborene Rothschild, stammte aus Bad Homburg. Sie konnte nach dem Novemberpogrom 1938 über England in die USA fliehen. Das Ehepaar besuchte 1992 auf Einladung der Stadt Frankfurt die frühere Heimat, mit der sie emotional eng verbunden geblieben waren. Beide kehrten immer wieder zurück, trafen frühere Klassenkameraden und sprachen in Schulen. Die Tochter Madeleine besuchte 2013 auf Einladung der Stadt Bad Homburg die Geburtsstadt ihrer Mutter und nahm an der Einweihung eines Denkmals zur Erinnerung an die Deportationen teil. Ihre Großeltern wurden von dort aus 1942 nach Theresienstadt verschleppt.

Fred Schwab: „Wir müssen nach vorne blicken“

Fred Schwab, geboren als Friedrich Ernst Schwab, stammte aus einer jahrhundertelang in Deutschland und in Frankfurt verwurzelten jüdischen Familie.

1918 in der Mainmetropole geboren, wuchs er mitten im Frankfurter Westend in der Rheinstraße 7 auf und besuchte das nahe gelegene Goethegymnasium. Freds Vater hatte ein Geschäft in der Moselstraße 4. Die Familie war fest in der Frankfurter Gesellschaft verankert. Ihre Hochzeit hatten die Eltern im traditionellen Frankfurter Hof zusammen mit christlichen wie jüdischen Freunden gefeiert. Die Familie war nicht sonderlich religiös und gehörte der liberalen Westendsynagoge an. Man feierte „Weihnukka“, also sowohl Chanukka als auch Weihnachten.

Als Hitler an die Macht kam, dachte die Familie nicht im Entferntesten daran, das Land zu verlassen. Fred spürte in seiner Schule zunächst wenig vom Antisemitismus der Nationalsozialisten. 1935 verließ er jedoch das Goethegymnasium mit dem „Einjährigen“, der Mittleren Reife, um eine kaufmännische Lehre zu beginnen. Zunehmend beschäftigte sich die Familie mit Auswanderungsplänen. Zuerst wurde Fred als Jüngster 1937 in die USA geschickt, denn in Deutschland hatte er kaum noch berufliche Perspektiven. Sein Vater ebenso wie der ältere Bruder Hans (Hank) wurden 1938 während des Novemberpogroms verhaftet und nach Buchenwald verschleppt. Beide konnten nach etwa vier Wochen das Lager wieder verlassen, denn Freds Mutter war es in der Zwischenzeit dank eines Onkels in den USA gelungen, Papiere für die Auswanderung zu erhalten. 30 Kilo Gewicht hatte der Vater in Buchenwald verloren – und jede Hoffnung auf ein Weiterleben in seiner Heimat.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde Fred 1942 in die amerikanische Armee eingezogen und aufgrund seiner Sprachkenntnisse in Deutschland eingesetzt. Es zeichnete Fred wohl schon damals aus, dass er sich um Verständigung bemühte. Er sah nicht alle Deutschen als Nazis und nicht alle Parteimitglieder als Antisemiten. Mit dieser Haltung gelang es ihm, auch später in seiner beruflichen Tätigkeit, an alte Freundschaften wieder anzuknüpfen und neue zu schließen. Fred Schwab wurde in der Chemiebranche aktiv. Seine Kontakte nach Deutschland führten ihn häufig in seine alte Heimat zurück. Für seine Lebensleistung und sein Engagement für Verständigung und Versöhnung wurde der frühere Frankfurter 1995 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. „Wir müssen nach vorne blicken“, war seine zukunftsorientierte Lebensmaxime. Dennoch lag ihm die Erinnerung an die Verbrechen des NS-Regimes und an die Schicksale jüdischer Familien am Herzen.

1992, 55 Jahre nach der Flucht aus Deutschland, besuchte Fred Schwab auf Einladung der Stadt Frankfurt seine Geburtsstadt und sprach dort durch Vermittlung des Projektes „Jüdisches Leben in Frankfurt“ mit Jugendlichen im Goethegymnasium, seiner früheren Schule. Begleitet wurde er von seiner Frau Marianne und der Tochter Madeleine. Marianne Rothschild und Friedrich Schwab hatten sich bereits in Frankfurt gekannt, später in den USA wiedergetroffen und dort geheiratet.

Marianne Schwab, geborene Rothschild: „Ich habe immer ein wenig Sehnsucht und Heimweh nach Bad Homburg“

Marianne, 1919 in Frankfurt geboren, wuchs in Bad Homburg auf. Dort führte der Vater, Louis Rothschild, eine Bank. Die Familie lebte in der Louisenstraße, mitten im Zentrum der Stadt. Im Gegensatz zur Familie von Fred Schwab waren die Rothschilds sehr religiös und aktiv in das Leben der jüdischen Gemeinde eingebunden. Marianne besuchte zunächst das Lyzeum in Bad Homburg, die heutige Humboldtschule. Anschließend begann sie eine Ausbildung für Heilgymnastik. Während der Novemberpogrome am 10. November 1938 musste sie erleben, wie die Wohnung der Eltern zerstört wurde. Nach diesen ernüchternden Erfahrungen entschieden die Eltern, zuerst die Kinder ins Ausland zu schicken, um ihnen später zu folgen. Am 17. März 1939 verließ Marianne zusammen mit ihrer Großmutter Deutschland. Der Bruder Eduard, genannt Edu, wurde nach Holland geschickt. Von dort aus versuchte er verzweifelt, aber erfolglos, ebenfalls in die USA zu kommen. Mit den Eltern blieb Marianne weiterhin durch einen regen Briefwechsel in Verbindung. Die Eltern mussten ihr Haus in der Louisenstraße in Bad Homburg verlassen und zunächst zu einer Verwandten ziehen, später in ein Ghetto-Haus in der Gorch-Fock-Straße übersiedeln.

Marianne Schwab gelang es nicht mehr, ihre Eltern aus Deutschland herauszuholen. Sie wurden am 28.8.1942 nach Theresienstadt deportiert. Einen Tag vor dem Abtransport schickte Louis Rothschild seiner Tochter noch über das Rote Kreuz eine Mitteilung. Höchstzahl: 25 Worte!
“Dieses Lebewohl bringt Dir elterliche heiße Wünsche. Wir kommen morgen nach Theresienstadt! Viel Liebe von Vati und Mutti.
27. August 1942 Vater“

Nach der Deportation erhielt Marianne Schwab noch zwei Postkarten von ihren Eltern. Durch Briefe, die über eine Bekannte in Portugal in die USA gelangten, erfuhr sie etwas über die Situation der Eltern in Theresienstadt.
„Meine Mutter hat mich ein bisschen durch die Blume wissen lassen, jetzt habe sie endlich eine gute Figur. Sie war früher vollschlank. Also dumm waren wir nicht, wir haben schon gewusst, was los war.“

Marianne Schwab ist die einzige ihrer Familie, die überlebt hat. Ihr Vater, Louis Rothschild, starb am 19. September 1942, die Mutter Melanie am 15. August 1944. Der Bruder Eduard wurde in Holland verhaftet und fand in Mauthausen den Tod. Laut Gedenkbuch starb er am 12. November 1942. Da die genauen Todesumstände nicht bekannt sind, wurde er für tot erklärt.

Mehrfach besuchte Marianne Schwab in den 90er Jahren die Stadt, in der sie aufgewachsen ist. Dort traf sie Klassenkameradinnen und Nachbarn und sprach mit Jugendlichen in ihrer früheren Schule sowie im Kaiserin-Friedrich-Gymnasium, der Schule, die ihr Bruder Eduard besucht hatte. Bei einem dieser Besuche entstand ein Film-Portrait. Besonders eindrucksvoll ist darin Marianne Schwabs Schilderung des Novemberpogroms 1938. Mit der Stadt, in der sie aufwuchs, fühlt sich Marianne Schwab trotz ihrer traurigen Erfahrungen emotional eng verbunden. „Ich habe immer ein wenig Sehnsucht und Heimweh nach Bad Homburg“, beschreibt sie ihre Gefühle.

Bei einem ihrer Besuche in Homburg ging sie zu dem 1988 errichteten Denkmal für die Opfer des Holocaust. „Es ist schmerzhaft und traurig, daran zu denken. An dem Platz, an dem die Synagoge stand, an der Gedenktafel, steht der Name meines Bruders. Wir waren dort und ich sehe den Namen meines Vaters, Louis Rothschild, Melanie Rothschild, geborene Emmerich, und Edu Rothschild. Ich musste die Tafel anfassen, den Namen meines Vaters und meiner Mutter. Ich musste die Namen anfassen, mit ihnen symbolisch in Berührung sein. Ich habe ja keinen Friedhof, auf den ich gehen kann.“

Diese Schilderung von Marianne Schwab zeigt, wie wichtig es für die überlebenden Angehörigen ist, einen Ort zu besitzen, an dem an die Ermordeten erinnert wird, hier ein Denkmal mit den Namen von aus Bad Homburg stammenden Opfern, das die heute dort lebenden Menschen an die früheren jüdischen Bewohner erinnert und mahnt.

Madeleine Gerrish, geborene Schwab: „Hass vergiftet die Seele“

Ihre Liebe zu Bad Homburg hat Marianne Schwab an ihre Kinder weitergegeben. Anlässlich der Enthüllung einer Gedenktafel am Bad Homburger Bahnhof, mit der an die Deportationen erinnert wird, lud die Stadt Bad Homburg im November 2013 auf Anregung der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Hochtaunus Marianne Schwabs Tochter Madeleine Gerrish zu einem Besuch ein. Zwei größere Transporte gingen 1942 vom Bad Homburger Bahnhof ab, am 10. Juni 1942 und am 28. August 1942. Mit diesem letzten Transport wurden die Eltern von Marianne Schwab, die Großeltern von Madeleine Gerrish, nach Theresienstadt deportiert.

Für Madeleine Gerrish hatte dieser Besuch in Deutschland große Bedeutung, wenn er auch nicht frei von ambivalenten Gefühlen war. Die Traurigkeit schwinge mit, wenn sie sich vorstelle, wie glücklich ihre Mutter einst als Kind durch die Straßen Bad Homburgs lief. Zusammen mit ihrem Sohn Michael, der sie einige Tage begleiten konnte, ging sie auf Spurensuche: zum früheren Wohnhaus der Großeltern, zum Haus der väterlichen Familie in Frankfurt, zur Gedenkmauer rund um den alten Friedhof am Börneplatz in Frankfurt, dem Kurpark in Bad Homburg, dem Platz, an dem die am 10. November 1938 niedergebrannte Synagoge stand. Madeleine Gerrish traf sich mit Freundinnen der Mutter und besuchte die früheren Schulen ihrer Mutter und ihres Onkels Eduard. In beiden Schulen sprach sie mit Jugendlichen über die Schicksale ihrer Vorfahren, die Emigration der Eltern aus Deutschland, ihren Neuanfang in den USA und darüber, wie sie mit diesen Erfahrungen aufwuchs.

Beeindruckt zeigten sich die Schülerinnen und Schüler von Madeleine Gerrishs Offenheit und vor allem davon, dass Marianne und Fred Schwab ihren Kindern trotz allen Leids, das ihnen und ihren Familien angetan wurde, ans Herz gelegt haben, keinen Hass in sich zu tragen. „Wie hat es Ihre Mutter geschafft, eine solche Haltung zu entwickeln?“, war eine der vielen Fragen der Schülerinnen und Schüler. „Am interessantesten fand ich, dass Madeleine meinte, man solle nicht ein Leben lang hassen. Ihre Mutter hat nicht alle Deutschen gehasst und ist sogar hierher gekommen. Das finde ich bemerkenswert. Ich hatte erwartet, dass sie den Deutschen mit einer gewissen Feindschaft entgegensteht.“ Dass diese positive Lebenseinstellung die Auseinandersetzung mit dem Geschehen in der Vergangenheit einschließt und nicht bedeutet zu vergessen, war für eine andere Schülerin bemerkenswert. „Ich fand es überraschend, dass Mrs. Gerrish mit so viel Ehrlichkeit und so aufrichtig von ihren Gedanken, Erfahrungen und den Erzählungen der Eltern berichtet hat. Auch ihre Einstellung, dass es besser ist, den härteren Weg zu gehen und sich mit dem Geschehen auseinanderzusetzen anstatt alles zu verdrängen.“ Diese Gespräche in den Schulen zeigten, wie wichtig es auch für die nachfolgenden Generationen ist, sich über die Geschichte der früheren jüdischen Nachbarn und über den Umgang mit dem Holocaust in Deutschland und in anderen Ländern auszutauschen.

Tief bewegt und voller neuer Eindrücke kehrte Madeleine Gerrish, geborene Schwab, wieder zurück in die USA. Sie wird mit der früheren Heimat, mit den alten und den neuen Freunden dort, in Verbindung bleiben und bestimmt wiederkommen.