Name:
Mari Ann Schwartzenberg, geb. Adler
geboren 1940 in New York;

Teilnahme am Besuchsprogramm 2015

Vater:
Ludwig Adler
Geboren 1890 in Felsberg bei Kassel
Emigriert im November 1938 über Holland nach Großbritannien

Mutter:
Lotte Adler
Geboren 1907 in Frankfurt
Emigriert 1939 über England in die USA

Schwester der Mutter:
Gertrud Adler
Geboren 1923 in Frankfurt
Emigriert 1934 in die USA. Sie schrieb ihrer Familie in Deutschland lange Briefe, die erhalten sind. Ihr Sohn veröffentlichte sie in dem Blog Trudel‘s Truth

Letzte Wohnung der Familie in Frankfurt:
Beethovenstr. 5


Quellen:

  • Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt (PJLF): Fragebogen von Mari Ann Schwartzenberg
  • PJLF: Interview und Privatdokumente.

Fotos:
Privatbesitz

Text:
Gretel Ghamsharick

Mari Ann Schwartzenberg besucht Frankfurt

Von Gretel Ghamsharick

Mari Ann Schwartzenberg war als Teilnehmerin des „Besuchsprogramms für ehemalige jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger von Frankfurt und ihre Kinder“ zum ersten Mal in Frankfurt. Ihre Eltern Lotte und Ludwig Adler – die zufällig den gleichen Familiennamen teilten, aber nicht verwandt waren – lebten in Frankfurt. Sie erinnert sich lebhaft an die Erzählungen ihrer Eltern über die guten Zeiten in Frankfurt. Sie war daher gespannt auf diesen Besuch, gleichzeitig aber nicht ganz sicher, was sie dort erwarten würde. Mari Anns Ehemann, Alan, begleitete sie auf ihrer Spurensuche nach Frankfurt und Nieder-Florstadt, einem kleinen Dorf, etwa 30 km nord-östlich von Frankfurt am Main gelegen.

Lotte Adler – die Mutter

Mari Ann Schwartzenbergs Mutter, Lotte Adler, lebte mit ihrer Familie im Grüneburgweg 96 im Westend. Ihre Mutter erinnerte sich gerne an die großen Feste, die ihre Familie in der Wohnung veranstaltete.

Lotte Adler und ihre beiden Schwestern besuchten die Viktoriaschule (jetzt Bettinaschule) und gehörten zu der Gemeinde der Westend-Synagoge.

Am Morgen ihres letzten Tages in Frankfurt begleitete Renate Rauch, ein Mitglied der Projektgruppe “Jüdisches Leben in Frankfurt” Mari Ann und Alan zur Bettinaschule, die früher Viktoriaschule hieß, und zeigte ihnen dort ein Denkmal mit den Namen der ehemaligen jüdischen Schülerinnen. Mari Ann Schwartzenberg war zutiefst bewegt, den Namen ihrer Mutter zu entdecken.

Lottes Vater, Adolph (Aron) Adler, war bis zu seiner Entlassung im April 1933 50 Jahre lang Börsenmakler. Die Mutter Maria Anna Adler (geb. Stern) starb kurz danach, am 23. Juni 1933. Daher musste Lotte, die älteste Tochter, die Aufgaben der Mutter übernehmen. Ihre jüngste Schwester Gertrude “Trudel” Adler verließ Deutschland am 8. Mai 1934, um mit Verwandten in Chicago zu leben. Die mittlere Schwester Erna Adler folgte ihr im Jahre 1937 in die USA.

Lotte arbeitete vom 1.Januar 1932 bis zu ihrer Entlassung am 21. August 1938 für die „Allgemeine Transport- & Schifffahrtsgesellschaft“. Nach der Entlassung des Vaters sorgte Lotte auch für dessen Lebensunterhalt. Ab dieser Zeit änderte er seinen Namen von Adolph zu Aron.

In Oktober 1934 zog Lotte mit ihrem Vater in die Beethovenstr. 5. In dieser Wohnung versorgte sie sowohl ihren eigenen als auch den Vater ihres Verlobten Ludwig. Beide starben kurz nacheinander, Adolph (Aron) im Oktober 1938 und Albert (Ludwigs Vater) im Januar 1939. Adolph Adler wurde als letztes Mitglied seiner Familie in Frankfurt beerdigt. Albert Adler wurde in seinem Heimatdorf Nieder-Florstadt begraben.

1938 flüchtete Mari Anns Vater Ludwig im Alter von 47 Jahren nach London. Ein Jahr später erhielt Lotte Adler eine Genehmigung, um als Dienstmädchen in London zu arbeiten. Sie war zu dieser Zeit 32 Jahre alt. In einem Brief vom 28. Februar 1936 erwähnt ihre Schwester Trudel einen gescheiterten Versuch, „Dodo“ (so Lottes Spitzname) aus Deutschland herauszubekommen. Die zunehmende Angst und Unsicherheit, vor allem nach Ludwigs Flucht, und die Verantwortung für die Pflege der Väter, muss eine schwere Belastung für Lotte gewesen sein.

Ludwig Adler – der Vater

Mari Ann Schwartzenbergs Vater wurde in Felsberg bei Kassel geboren. Die Familie zog nach Nieder-Florstadt, einem Dorf etwa 30 km nördlich von Frankfurt, um den Lebensmittelladen des Großvaters zu übernehmen.

Ludwig Adler ging in Kassel zur Realschule und absolvierte seine Ausbildung zum Bauingenieur in Köln und Darmstadt. Er kämpfte im Ersten Weltkrieg und erhielt vier Tapferkeitsmedaillen. Nach dem Krieg gründete er in der Kaiserstrasse 2 in Frankfurt eine Firma unter dem Namen “Adler Schweißanlagen”. Die Firma zog später in die Bleichstraße und zuletzt in die Hanauer Landstraße 18. Seine Firma organisierte die Produktion und den Vertrieb von Schweißgeräten und expandierte beträchtlich. Er hatte 30 Mitarbeiter, darunter acht Verkäufer, die mit firmeneigenen Autos reisten. Ludwig unternahm ausgedehnte Geschäftsreisen in ganz Europa und erhielt viele wichtige Aufträge.

Er traf Lotte Adler 1929 und nahm sie häufig auf seine Reisen mit, woran sie sich später gerne erinnerten.

Lotte und Albert erzählten Mari Ann öfter die Geschichte von Ludwigs Flucht. Am Vorabend des 9. November 1938 war Ludwig mit Lotte spazieren, als eine Freundin ihnen entgegenkam und Ludwig warnte, nicht in seine Wohnung zurückzukehren. Er sprang sofort in sein Auto und fuhr nach Köln, wo er sich auf dem Dachboden eines befreundeten Hebräischlehrers versteckte. Später packte Lotte seine Sachen und brachte sie ihm mit dem Zug nach Köln. Er wartete zehn Tage, bevor er endgültig Deutschland verließ. Mit seinem Geschäftsvisum reiste er durch Holland nach England.

Ein Jahr später folgte Lotte und sie heirateten in England. Ende April 1940 bestiegen sie ein Schiff nach New York; dort kam Mari Ann auf die Welt. Schließlich zogen sie weiter nach Chicago, wo Ludwig Adler erneut ein Schweißanlagen-Geschäft eröffnete.

Sein Bruder Siegmund Adler, der in Karlsruhe lebte, wurde mit seiner Ehefrau in Gurs interniert und am 10. August 1942 von Drancy nach Auschwitz deportiert. Es war ihnen vorher gelungen, ihre zwei kleinen Töchter nach Palästina zu schicken. Über „Selfhelp“, eine jüdische Organisation in Chicago, schickte Ludwig Adler seinem Bruder in Gurs Geld, das von den Quäkern weitergeleitet wurde. Später erhielt Ludwig einen Brief von den Quäkern, in dem der Erhalt des Geldes bestätigt wurde. Im gleichen Brief wurde jedoch mitgeteilt, dass Bruder und Schwägerin inzwischen nach Auschwitz deportiert worden seien. Der Brief befindet sich jetzt in den Archiven des Illinois Holocaust Museum.

Ludwig Adlers Schwester Jenny, die zuletzt im Vaterhaus in Nieder-Florstadt lebte, wurde am 30. September 1942 von Darmstadt nach Treblinka deportiert.

Nieder-Florstadt

Einer der Orte, die Mari Ann Schwartzenberg sehen wollte, war das Dorf Nieder-Florstadt, wo ihr Großvater väterlicherseits ein Lebensmittelgeschäft besaß. Angelika Rieber, die Projektleiterin von “Jüdisches Leben in Frankfurt”, kontaktierte ein Netzwerk von lokalen Historikern, die sie von früheren Besuchen her kannte. Sie empfahlen Monika Rhein, die tatsächlich in unmittelbarer Nähe von Ludwig Adlers Elternhaus wohnt. Monika Rhein freute sich sehr, Mari Ann und Alan zu treffen und hatte eine besondere Überraschung für sie mitgebracht: Ein Foto vom Haus des Großvaters, aufgenommen nach dem Krieg, bevor es abgerissen wurde. Nur ein kleines Gebäude wurde von dem Abriss verschont und steht heute noch neben dem neu gebauten Haus.

Mari Ann und ihr Mann Alan waren sehr gerührt, als sie vor dem Haus am Marktplatz 7 standen. Hier lebten die Großeltern und hier wuchs der Vater von Mari Ann auf. Anschließend machte Monika Rhein eine Führung über das jüdische Leben im Dorf. Sie zeigte ihnen, wo die ehemalige Synagoge und Häuser von anderen jüdischen Familien standen. Das kleine Haus auf dem Grundstück ihres Großvaters diente zuletzt als “Judenhaus” für die letzten verbleibenden Juden in Nieder-Florstadt, darunter Jenny, die Schwester von Mari Anns Vater.

FRANKFURT-MEMORABILIA

Struwwelpeter

Auf dem Weg zur Beethovenstraße 5, der letzten Wohnadresse ihrer Mutter in Frankfurt, besuchten Mari Ann und Alan Schwartzenberg das nahe gelegene Struwwelpeter-Museum. Mari Ann kannte den Struwwelpeter aus ihrer Kindheit. Ihre Mutter las daraus vor – auf Deutsch. Das Buch war ein Geschenk ihrer Tante Erna aus New York. Mari Ann ihrerseits las ihren eigenen Töchtern auch aus dem Struwwelpeter vor, aber auf Englisch. Das Museum machte ihr viel Spaß und Alan fotografierte sie, als sie ihren Kopf durch den Pappaufsteller vom Struwwelpeter steckte. Sie schickten das Foto sofort an die Töchter.

Ginnheim

“Lieber den Magen verrenkt, als dem Wirt geschenkt.” Während Mari Ann und Alan eine Mahlzeit im “Zum Adler”, einem traditionellen Restaurant in Ginnheim, genossen, erinnerte sich Mari Ann an diesen Ausspruch ihrer Mutter. Im Leben der Adlers in Chicago hatte das Wort „Ginnheim“ eine ganz besondere Bedeutung: Zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur lud Tante Trudel Grossman die gesamte Familie zu einem Familienessen ein und nannte es ein “Ginnheim”. Mari Ann fand diesen Namen rätselhaft, bis sie herausfand, dass die Familie früher im ländlichen Ginnheim Ausflüge unternommen hatte. Es war ein schöner Tag; Mari Ann beobachtete die Menschen beim Grillen am Ufer der Nidda und es leuchtete ihr ein, dass Tante Trudel den Namen im fernen Chicago aus Nostalgie beibehielt. Eine Enkeltochter ihrer Tante führt bis heute diese Tradition in Chicago fort: Sie benutzt noch immer die Bezeichnung “Ginnheim” in ihren Einladungen an die Familie.

Eschenheimer Turm und Frankfurter Adler

Ludwig Adler nannte sein Geschäft in Chicago “Eagle Welding Equipment Company”. Das Firmenlogo zeigte den Eschenheimer Turm und einen Adler, so dass Mari Ann den Turm unbedingt sehen wollte. Mari Ann hatte nie verstanden, warum der Turm im Firmenlogo vorkam. Als Alan den Eschenheimer Turm von allen Seiten fotografierte, war sie hocherfreut, Frankfurts heraldischen Adler auf dem Turm zu entdecken, und verstand die Wahl des Logos nun besser.

Blickpunkte

Mari Ann und Alan freuten sich, die Orte, von denen sie so viel gehört hatten, zu erleben. In den Fußstapfen ihrer Eltern tretend, erinnerte sich Mari Ann immer mehr an die Erzählungen ihrer Eltern über das schöne Leben, das sie einst in Frankfurt hatten. Gleichzeitig erkannten die beiden, dass es noch so viel über das Leben der Familie zu erforschen gibt. Sie verließen Frankfurt nach einer intensiven Woche, begierig mehr zu erfahren. Sie versprachen, in Kontakt mit den Mitgliedern des Projekts “Jüdisches Leben in Frankfurt” zu bleiben. Es ist zu hoffen, dass die gemeinsamen transatlantischen Bemühungen noch mehr über das Leben von Lotte und Ludwig und das Leben ihrer Familie zu Tage bringen.