KURZBIOGRAPHIE
Name:
Herbert Stern
Teilnahme am Besuchsprogramm: 2012
Geboren:
1930 in Frankfurt, 3 Brüder
- Er besuchte die Samson-Raphael-Hirsch-Schule im Ostend.
- Die Familie lebte in der Niedenau 72
- Der Vater, Jakob Stern, Frontkämpfer im 1. Weltkrieg, hatte eine Futterstoffgroßhandlung in der Kaiserstraße 51.
- Die väterliche Familie stammte aus Augsburg.
- Verhaftung des Vaters im November 1938
- Der Familie gelang es 1938 über England in die USA auszuwandern.
Name:
Margot Stern
Geboren:
1930 in Bonbaden bei Limburg
- November 1938 Verhaftung des Vaters, Gustav Kahn, und Deportation nach Buchenwald
- 1939 kommt Margot zu einer Pflegefamilie nach Frankfurt im Sandweg.
- 1940 folgen die Eltern. Die Familie lebte in der Quinkestraße, heute Königswarterstraße
- 1940 Flucht der Familie in die USA
- Deportation zahlreicher Angehöriger
Quellen:
- Bericht von Jasmin Janusz und Seher Kodak; Homepage der Otto Hahn-Schule (OHS)
- Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HStA)
- Gerhild Kirschner: Ein jüdisches Kind in Bonbaden. Spuren von Margot, Braunfels 2008
- Korrespondenz von Angelika Rieber mit Margot und Herbert Stern (AR)
- Korrespondenz von Gerhild Kirschner mit Margot Stern (GK)
- Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt (PJLF): Filmaufnahme von dem Gespräch mit Herbert Stern (FOHS)
Fotos:
- Private Fotos und Dokumente von Margot und Herbert Stern und Gerhild Kirschner
- Fotos von Angelika Rieber
- Fotos vom Schulbesuch in der Otto Hahn-Schule
Text:
Angelika Rieber
Margot und Herbert Stern
Heartache as well as Gratification
von Angelika Rieber
Margot und Herbert Stern gehören noch zur ersten Generation. Beide sind 1930 in Deutschland geboren, jedoch in sehr unterschiedlichen Verhältnissen aufgewachsen. Margot Stern, geborene Kahn, stammt aus Bonbaden, einem kleinen Dorf bei Limburg. Dort spürte sie deutlich den Antisemitismus auf dem Land. Ihr Vater wurde im November 1938 verhaftet und nach Buchenwald gebracht. Margot musste zu einer Pflegefamilie nach Frankfurt, damit sie weiter die Schule besuchen konnte. Ihre Eltern folgten 1940. Auf abenteuerlichen Wegen gelang ihnen die Flucht in die USA. Die Großeltern und weitere Verwandte wurden deportiert.
Herbert Stern wuchs in einer behüteten Atmosphäre im Westend in Frankfurt auf. Der Familie gelang es im Dezember 1938 in die USA auszuwandern.
Lange hatten Margot und Herbert Stern gezögert, die Einladung der Stadt Frankfurt anzunehmen. Zwar freuten sich die beiden über das Interesse der jungen Generation am Gespräch mit ihnen, aber dennoch weckte der Besuch gemischte Gefühle: „It spelled both heartache as well as gratification“.
Sie gehören zu den wenigen noch lebenden Frankfurtern der ersten Generation. Margot und Herbert Stern sind 1930 in Deutschland geboren, Margot in Bonbaden, heute Ortsteil von Braunfels, Herbert in Frankfurt. Beide sind mit ihren Familien in die USA emigriert. Dennoch sind sie in sehr unterschiedlichen Lebensverhältnissen aufgewachsen. Während Herbert aus einer wohlsituierten Familie in Frankfurt stammte, wuchs Margot Kahn in bescheideneren Verhältnissen auf dem Land auf. Auch ihre Erfahrungen während des NS-Regimes unterscheiden sich deutlich.
2012 haben sich Margot und Herbert Stern nach langem Zögern entschlossen, die Einladung der Stadt Frankfurt anzunehmen. Doch die Einladung von Gerhild Kirschner, die über die früheren jüdischen Familien von Bonbaden forscht und schon seit vielen Jahren mit Margot Stern korrespondiert, an die Stätten der Kindheit zurückzukehren, schlägt Margot Stern aus. Zu schmerzhaft sind die Erfahrungen, die sie dort als kleines Mädchen machen musste. Gerhild Kirschner zog 1976 von Frankfurt nach Bonbaden, wo sie heute noch lebt. Dankbar und gerührt ist Margot darüber, dass Frau Kirschner das begangene Unrecht und das unschuldigen Menschen zugefügte Leid bedauert. Das erzählt sie den Schülerinnen und Schülern bei ihrem Besuch in der Otto-Hahn-Schule. So treffen sich Margot Stern und Gerhild Kirschner während des Besuches in Deutschland zwar nicht in Bonbaden, aber wenigstens in Frankfurt.
Strafverfahren eröffnet: Familie Kahn aus Bonbaden
Margots Vater, Gustav Kahn, hatte ein Geschäft für Textilwaren in Bonbaden, einem kleinen Ort bei Braunfels. Die Familie lebte zusammen mit den Eltern von Gustav Kahn im Haus Nr. 13. Zunehmend verschlechterte sich in den 30er Jahren nicht nur die ökonomische Situation, sondern auch das Verhältnis zu den anderen Dorfbewohnern.
Margot litt unter der Isolierung, den Anfeindungen und Beschimpfungen. Selbst von Lehrern wurde sie erniedrigt und geschlagen, erinnert sie sich. Sie sei ein Kind voller Ängstlichkeit gewesen, auch, weil sie die Angst der Eltern und Großeltern spürte. „Niemand kam, um uns zu helfen.“
1938 wurde Gustav Kahn im Zuge des Novemberpogroms verhaftet und nach Buchenwald deportiert. Am 25. Januar 1939 kehrte er zurück, in elendem Zustand. „Ich erinnere mich an den Tag vor der Kristallnacht, daran, dass drei oder vier SA-Männer vor unserem Haus in Bonbaden auf und ab gegangen sind. Meine Eltern, Großeltern und ich konnten nicht aus unserem Haus gehen. Am nächsten Tag, am 9. November, sind mein Vater und Großvater verhaftet worden. Mein Großvater ist gleich wieder heimgeschickt worden. … Mein Vater blieb in Buchenwald bis zum 26. Januar 1939
Er kam nach Hause mit geschorenen Haaren und sah aus, wie ein Skelett. Er setzte sich auf einen Stuhl in der Küche, legte den Kopf herunter und fing an zu weinen, wie ein Kind.“ (Sammlung Kirschner)
Da jüdischen Kindern im November 1938 der Besuch staatlicher Schulen verboten wurde, kam Margot zu einer Pflegefamilie nach Frankfurt, damit sie dort weiter zur Schule gehen konnte. Sie hatte Heimweh, aber erinnert sich, dass sie dort wenigstens zwei innige Freundinnen hatte (Sammlung Kirschner). Verzweifelt versuchte Gustav Kahn für sich und seine Familie Visa für die Auswanderung zu bekommen.
Angesichts der angespannten finanziellen Situation der Familie war dies ein schwieriges Unterfangen. Wie alle noch in Deutschland verbliebenen jüdischen Bewohner mussten Gustav und Isaak Kahn ihr Vermögen den Behörden melden und es auf einem „Sicherungskonto“ festlegen, über das sie nicht frei verfügen konnten. Die Familie zog nach Frankfurt und lebte ab Mitte 1940 in der Quinkestraße 13. Gustav Kahn wurde zu Zwangsarbeit verpflichtet. Sein Vater Issak Kahn starb nur wenige Monate nach dem Umzug nach Frankfurt im Alter von 72 Jahren. Fieberhaft bemühte sich sein Sohn Gustav um die Emigration, die seit der Besetzung Westeuropas durch das sogenannte Dritte Reich immer schwerer wurde. Jede Woche musste sich Gustav Kahn bei der Gestapo melden und über seine Auswanderungsbemühungen berichten. Im Mai 1940 stellte Gustav Kahn einen Antrag auf Mitnahme von Umzugsgut. Alle zur Mitnahme bestimmten Gegenstände mussten detailliert aufgeführt werden. Die sogenannte Devisenakte offenbart, mit welchen Schikanen die Familie zu kämpfen hatte.
Die Familie plante nun, über Russland auszureisen. Am 16. Juli 1940 schrieb der Familienvater an die Devisenstelle: „In der Anlage überreiche ich Ihnen hiermit eine neue Liste der restlichen Gegenstände aus der von Ihnen genehmigten Liste vom 14.5.1940 und bitte Sie höfl., mir solche umgehend genehmigen zu wollen, da meine Ausreise nur kurz bevorsteht.“ Die Ausreise scheiterte. Stattdessen eröffnete die Zollfahndungsstelle ein Strafverfahren gegen Gustav Kahn. Das Reisegepäck habe angeblich nicht genehmigte Gegenstände enthalten (HStA).
Die Familie blieb in Frankfurt. Gustav Kahn setzte seine Bemühungen fort, amerikanische Visa und die Ausreisegenehmigung zu erhalten. Die Nationalsozialisten hatten bereits mit Zwangsumsiedlungen jüdischer Familien in Ghetto-Häuser begonnen. Margot erinnert sich daran, dass während dieser Zeit die von ihrer Mutter gepackten Rucksäcke schon bereit standen.
Schließlich gelang der Familie die Flucht über Berlin. Margot erinnert sich an die Äußerung eines Angestellten des Flughafens: „Juden dürfen nicht fliegen“. Die Familie bestand darauf, ausfliegen zu können, bis sich endlich dank der Unterstützung von Hilfsorganisationen eine Gelegenheit ergab, das Land auf diesem Weg zu verlassen.
Johanna Kahn gelang es nicht mehr, dem Sohn nachzufolgen. Sie wurde nach Angaben der Behörden am 08. Mai 1942 deportiert (HStA). Ihr Todesdatum ist laut Bundesarchiv der 18. August 1942. Johannas Vater Joel Simon starb am 22. November 1939 im Alter von 84 Jahren.
Auch Margots Großvater von der mütterlichen Seite, Julius Lichtenstein, wurde am 18. August 1942 von Frankfurt aus nach Theresienstadt und von dort nach Treblinka verschleppt, wo er am 29. September 1942 ermordet wurde. Margots Onkel Hugo Lichtenstein wurde ebenso deportiert und ermordet wie zahlreiche andere Mitglieder der großen Familie.
Familie Stern
„Den Weltkrieg habe ich als Frontkämpfer von Beginn bis zu Ende mitgemacht…“
Herbert Sterns väterliche Familie stammte aus Augsburg. Anfang des 20. Jahrhunderts zog es den Kaufmann Jacob Stern nach Frankfurt, wo er seine Frau, Nora Ries, kennenlernte. Zusammen mit einem Partner baute er eine Futterstoffgroßhandlung in der Kaiserstraße 51 auf. Die Naziherrschaft änderte das Leben der Familie, die in der Niedenau 72 wohnte, dramatisch. „We enjoyed a comfortable family life. Once the Hitler years began, there was fear and abuse. We left in haste after Kristallnacht.”
So kommentiert Herbert Stern kurz und knapp das Schicksal seiner Familie in dem Fragebogen an die Projektgruppe „Jüdisches Leben in Frankfurt“.
Herbert Stern, 1930 als jüngster von vier Brüdern geboren, besuchte die Samson-Raphael-Hirsch-Schule am Zoo, wurde jedoch bald aus dem ihm vertrauten Umfeld herausgerissen.
1938 wurde zunächst das Geschäft des Vaters aufgelöst. Schweren Herzens entschloss sich der Kaufmann mit seiner Frau und den vier Söhnen auszuwandern. Der hierfür zusammengestellten Umzugsgutliste liegt ein Schreiben bei, in dem Jakob Stern die Behörden über sein Vorhaben informierte, Anfang Dezember nach Nordamerika überzusiedeln.
„Ich bin Kaufmann und stehe im 56. Lebensjahr, habe Frau und vier unmündige Kinder, die mit mir auswandern. Den Weltkrieg habe ich als Frontkämpfer von Beginn bis zu Ende mitgemacht, lag vier Jahre im Bristerwald und vor Verdun und besitze das E.K. II und das Ehrenkreuz.“ Wie so viele hatte er gehofft, seine Verdienste für Deutschland könnten ihn und seine Familie vor dem Schlimmsten retten.
Die Umzugsgutliste zeigt, dass es der Familie vor der Verfolgung recht gut gegangen war. Neben jüdischer Literatur enthält das Umzugsgut auch Klassiker wie Goethes „Faust“, die Hauff´schen Märchen, Winnetou und das Dschungelbuch.
Die geplante Auswanderung war schon vorbereitet, als der Vater im November 1938 verhaftet wurde. Nach seiner Freilassung verließ Jacob Stern sofort das Land und konnte vorübergehend in London bei Verwandten unterkommen. Seine Familie folgte ihm zwei Wochen später, im Dezember 1938.
Jacob Stern baute zusammen mit seinem Schwager unter schwierigen Bedingungen eine Firma für Kunstblumen auf, mit der die Familien in den Kriegsjahren ernährt werden konnten. Während sein Bruder in der amerikanischen Armee diente, setzte Herbert alles daran, die verlorene Zeit in der Schule so schnell wie möglich nachzuholen. Dennoch sind seine Erinnerungen an die schweren Anfangsjahre in der neuen Heimat gemischt. Es war eine große Herausforderung, eine neue Existenz aufzubauen, denn die Familie hatte alles verloren, musste neu beginnen und eine neue Sprache lernen (HStA). Außerdem war während der Kriegsjahre das Verhältnis zu den Einheimischen von Misstrauen gegenüber Deutschen geprägt, die man für potentielle Verräter und Spione hielt. „Spy, go home“, dieser Satz hat sich Herbert Stern eingeprägt (Gespräch in der Otto-Hahn-Schule).
Auch für Margot Stern ist die Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft noch nicht beendet. Monate nach dem Besuch in Deutschland fragt sie an, ob ich ihr helfen kann, etwas über das Schicksal ihrer Pflegefamilie in Frankfurt herauszubekommen. Margot hatte die Antwort geahnt und befürchtet. Ihre Gasteltern Hugo und Frieda Grünebaum und die Tochter Blanka wurden 1942 deportiert und später in Majdanek umgebracht.
Fühlten Sie sich von Deutschland verraten?
Haben Sie Interesse an Gesprächen mit Jugendlichen in einer Schule? Diese Frage der Projektgruppe hat das Ehepaar eindeutig bejaht. Die Begegnung mit jungen Menschen in Deutschland war ihnen besonders wichtig und hat Margot und Herbert Stern sehr berührt.
„Speaking about our experiences in Nazi Germany to the high school students was certainly rewarding for us. The students were both interested as well as uninformed since they said that their parents never spoke to them about this important period of history.” (Brief an Angelika Rieber)
„Fühlten Sie sich von Deutschland verraten?“, fragt ein Schüler. „Ja“, antwortet Herbert Stern bitter. Vor allem die Generation seines Vaters, die im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft hatte, fühlte sich verraten. Sie hatten gedacht, Hitler würde sich nicht lange halten.
Viele der Fragen der Jugendlichen beschäftigen sich mit den Hintergründen der Flucht aus Deutschland und der Eingewöhnung in der neuen Heimat. Eine Schülerin möchte wissen, ob das Ehepaar Stern mit den Kindern über die Erfahrungen in Deutschland gesprochen hat. Herbert Stern bejaht die Frage. Vor allem während der jüdischen Feiertage, insbesondere an Pessach, nutzt die Familie die Gelegenheit, über den Auszug des jüdischen Volkes aus Ägypten zu sprechen und über die eigenen Erfahrungen.
Die Schülerinnen und Schüler interessieren sich auch für das Verhältnis zum heutigen Deutschland. „Haben die Deutschen gelernt?“ „Würden Sie wiederkommen?“ Herbert Stern gibt den Jugendlichen in seiner Antwort einen Auftrag. Es hänge von ihnen ab, von ihrem aktiven Engagement. Sie dürften nicht zulassen, dass so etwas wie der Holocaust wieder passiert. „Das ist eine Verpflichtung“. (Gespräch in der Otto-Hahn-Schule)
In diesem Sinne teilten die Schülerinnen und Schüler mit dem Ehepaar Stern den Wunsch, dass die Verbrechen der Vergangenheit nicht vergessen werden, damit es in der Zukunft keine Wiederholung gibt.