KURZBIOGRAHIE

Besuchsprogramm 2002 (Ernst Simon) und 2022 (Vivian Simon)

Johanna Simon, geb. Katz
1896 in Aschenhausen – 1975 in Buenos Aires, Argentinien

Ehemann:
Georg Simon
1889 in Jastrow/Westpreußen – 1962 in Buenos Aires, Argentinien

Kinder:
Ernst Simon
1927 in Schwanheim – 2007 in Argentinien
Besuchte Schulen: Varentrappschule, Philanthropin

Ellen Simon, verh. Zarnawitzer
1931 in Frankfurt am Main – 2019 in Argentinien

Wohnadressen:
Silcherstraße 2 in Frankfurt Schwanheim
Schwindtstraße 12
Berufe von Johanna und Georg Simon: Zahnärzte

Emigration nach Argentinien: Dezember 1936

Eltern von Johanna Simon:
Willy Katz
1868 in Aschenhausen – 1937 in Frankfurt am Main
Oberlehrer in Stadtlengsfeld
1935 Umzug nach Frankfurt, zuletzt Feldbergstraße 22

Sophie Katz, geb. Schmidt
1869 in Aschenhausen – 1948 in Argentinien

Töchter des Ehepaars: Johanna, verh. Simon (1896),* Irma* (1899), Gertrude, verh. Cohn (1903), Hertha, verh. Scheuer (1905)


Quellen:
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
Universitätsarchiv Frankfurt
Gespräch mit Ernst Simon in der Carl von Stauffenberg-Schule 2002
Gespräch mit Vivian Simon in der ERS1 am 14. Juni 2022
Feedback der ERS 1
Informationen, Fotos und Dokumente: Familie Simon

Informationen von Geschichtsverein Stadtlengsfeld, Rolf Leimbach
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Joachim_Tholuck
www.kgv-stadtlengsfeld.com
www.alemannia-judaica.de

Fotos:
Angelika Rieber

Familie Simon – Katz

Von Aschenhausen über Frankfurt am Main nach Buenos Aires

Angelika Rieber

Johanna Simon war eine emanzipierte Frau. Sie gehörte zu den ersten Zahnärztinnen in Deutschland. Die Tochter des Oberlehrers Willy Katz studierte Zahnmedizin und praktizierte seit 1924 in Frankfurt-Schwanheim. Auch ihr Mann Georg Simon war Zahnarzt. Beide trafen die Diskriminierung ab 1933 hart. So entschlossen sie sich 1936, mit ihren beiden Kindern Ernst und Ellen nach Argentinien zu fliehen.
Mehrfach besuchte Ernst Simon seine frühere Heimat, 2002 auf Einladung der Stadt. Seine Tochter Vivian nahm 2022 an Besuchsprogramm für die nachfolgenden Generationen teil.

Oberlehrer Willy Katz

Johanna Simon wurde 1896 als älteste Tochter des Lehrers Willy Katz in Aschenhausen geboren.

Ihre Mutter Sophie Schmidt stammte ebenfalls aus Aschenhausen. Das Ehepaar hatte noch drei weitere Töchter: Irma (1899), Gertrud (1903) und Hertha (1905).
30 Jahre lang war Willy Katz Lehrer in Stadtlengsfeld. Die dortige vereinigte Bürgerschule war 1850 durch einen Zusammenschluss der christlichen und der jüdischen Schule entstanden, damals noch eine Besonderheit. „Kinder aller Religionen wurden durch Lehrer aller Religionen gemeinsam in einer Klasse unterrichtet. Damit schrieb Stadtlengsfeld Schulgeschichte.“ (kgv-stadtlengsfeld.com)

Dort unterrichtete Willy Katz bis zu seinem Ruhestand 1926. Er war der letzte jüdische Lehrer der simultanen Bürgerschule, denn der Anteil der jüdischen Bewohner in Stadtlengsfeld und damit auch der jüdischen Schüler*innen wurde immer geringer. „Nach 30jähriger Tätigkeit an der hiesigen simultanen Stadtschule ist Lehrer Willi Katz in den Ruhestand getreten. Die erledigte Stelle wird wohl kaum wieder durch einen jüdischen Lehrer besetzt werden, da die Zahl der jüdischen Kinder sehr zurückgegangen ist.“ (Der Israelit)

Willy Katz war nicht nur als Lehrer, sondern auch in der jüdischen Gemeinde aktiv und wurde 1924 als einer der Gemeindevorsteher genannt (alemannia judaica).

Nach Beginn der NS-Zeit wurde die Situation der jüdischen Bewohner in Stadtlengsfeld immer unangenehmer, weshalb sich Willy und Sophie Katz entschieden, zu ihren Töchtern nach Frankfurt zu ziehen. Dort starb Willy Katz zwei Jahre später, am 22. Februar 1937. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in der Eckenheimer Landstraße in Frankfurt beerdigt. Seiner Frau Sophie gelang 1938 die Flucht nach Argentinien, wo ihre Töchter bereits lebten.

Von Aschenhausen in die Mainmetropole

Johanna Katz verbrachte eine unbeschwerte Kindheit in Aschenhause und besuchte bis zu ihrem 14. Lebensjahr die dortige Bürgerschule.

Anschließend zog es sie nach Frankfurt, wo sie nach zwei Jahren Ausbildung in einer Handelsschule in verschiedenen Banken beschäftigt war.

Doch die lernbegierige Johanna wollte studieren. Nach eineinhalb Jahren Vorbereitung auf dem Darmstädter Padagogium legte sie 1919 am Realgymnasium in Darmstadt ihre Reifeprüfung ab. Danach begann sie, Zahnmedizin zu studieren in Frankfurt und in Hamburg. Bereits im November 1922 bestand Johanna Katz ihr Examen. Im März des folgenden Jahres wurde sie promoviert und ihr die Approbation zuerkannt. Die wissenschaftliche Abhandlung schrieb sie bei Professor Bluntschli zum Thema „Über die Gaumenform beim Neugeborenen“. Dabei wies sie nach, dass entgegen der Annahme, der hohe Gaumen entstehe erst in späteren Jahren, diese Gaumenform bereits bei Säuglingen angelegt sei.

Nach ihrem Examen ging die junge Zahlmedizinerin zunächst für ein Jahr wieder zu ihren Eltern nach Stadtlengsfeld. Ab 1924 praktizierte Johanna Katz dann als Zahnärztin mit Kassenzulassung in Schwanheim. (UAF, HHStAW)

Am 25. Mai 1926 heiratet sie am Wohnort ihrer Eltern den in Jastrow in Posen geborenen Zahnarzt Georg Simon. Er hatte in Berlin studiert und dort 1922 sein Studium der Zahnmedizin abgeschlossen. Wie viele junge Männer diente Simon als Soldat im Ersten Weltkrieg. Sein Enkel hat heute das Gebetbuch des Großvaters aus dem Krieg, für ihn eine wertvolle Erinnerung.

Gemeinsam lebte das Ehepaar nach der Hochzeit in Schwanheim. Dort war Johanna Simon erfolgreich als Zahnärztin tätig. Ihr Mann war ab 1929 in der Schulzahnarztklinik am Carolinum tätig und ab 1931 als Schulzahnarzt. Die Stiftung Carolinum wurde zu dieser Zeit durch die Stadt Frankfurt beauftragt, die Schulzahnpflege in allen städtischen Schulen durchzuführen. Geleitet wurde die Schulzahnklinik, damals das umfangreichste Institut dieser Art in Europa, von Professor Tholuck. (https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Joachim_Tholuck). Dort schuf Tholuck das sogenannte „Frankfurter System“ der Schulzahnpflege, bei dem Untersuchungen durch haupt- oder nebenamtlich angestellte Schulzahnärzte durchgeführt wurden, die Behandlungen aber in der freien Praxis erfolgten.

Zunächst war Georg Simon in seiner eigenen Praxis tätig, später in den Stationen in Frankfurt Niederrad und in der Ostendstraße. Sohn Ernst erinnerte sich daran, dass sein Vater mit dem Fahrrad zu seinen Einsatzorten unterwegs war. Außerdem war Simon als Vertrauenszahnarzt tätig und arbeite mit eigener Praxis in Sossenheim. (HHStAW)

Das Ehepaar hatte zwei Kinder, den 1927 geborenen Sohn Ernst und die 1931 geborene Tochter Ellen. Der Zwillingsbruder von Ernst, Hans Johannes, starb nur 11 Tage nach der Geburt. Die Familie wohnte in der Silcherstraße 2 in Schwanheim. Dort praktizierte Johanna Simon, unterstützt durch eine Sprechstundenhilfe. Bei schwierigen Arbeiten und Operationen assistierte ihr Mann. „Ich war stets bemüht, die Klienten gewissenhaft, korrekt und geldlich loyal zu behandeln und glaube dies auch zu ihrer Zufriedenheit durchgeführt zu haben.“ Die erfolgreiche Zahnärztin dachte sogar daran, die Praxis durch einen Anbau zu erweitern. Baupläne waren bereits entworfen und eingereicht. (HHStAW)

Vermutlich waren die Simons die einzige jüdische Familie in Schwanheim. Daher besuchte Ernst den nahegelegenen evangelischen Kindergarten. An den Wochenenden unternahmen die Familienmitglieder Ausflüge in den Taunus.

1933: Entzug der Existenzgrundlage

1933 endete diese glückliche und erfolgreiche Zeit jäh. Johanna Simon wurde die Kassenzulassung entzogen, Georg Simon unter Berufung aus das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von seiner Position als Schulzahnarzt entlassen, obwohl er Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg war. Johanna Simon versuchte noch Beschwerde gegen den Entzug der Krankenkassenzulassung einzulegen, jedoch ohne Erfolg. „Ich bin seit 1924 für Schwanheim zugelassen und habe mir nie etwas zu Schulden kommen lassen.“ Georg Simon berichtet darüber hinaus von einer Aktion der DAF Sossenheim. „Ich bemerke noch, dass an dem Brett der Dtsch. Arbeitsfront in Ffm.-Sossenheim eine Bekanntmachung gemacht wurde, wonach diejenigen Krankenkassenmitglieder, die zu jüdischen Ärzten und Zahnärzten gehen, keine Zuschüsse mehr zu den Socialen Lasten bekommen würden: mein Name mit Adresse meiner Praxis, die sich neben der Posthilfsstelle befand, ausdrücklich erwähnt wurde.“ (HHStAW)

Ihrer Existenzrundlage beraubt, musste die Familie umziehen in die Schwindtstraße 12 im Frankfurter Westend. Dort hoffte das Ehepaar auf bessere Arbeitsmöglichkeiten. Johanna Simon fiel in ein tiefes Loch und erlitt einen Nervenzusammenbruch. Ihr Mann versuchte die Familie mit verschiedenen Tätigkeiten zu versorgen. Außerdem wurden die Simons von ihren Eltern finanziell unterstützt.

Der Sohn Ernst besuchte nun die Varentrappschule, denn dort waren ebenso wie in der Holzhausenschule jüdische Eingangsklassen eingerichtet worden. Später wechselte er zum Philanthropin, der liberalen jüdischen Schule in der Hebelstraße. Auch wenn sich Ernst Simon nicht daran erinnerte, dass er persönlich angegriffen wurde, waren ihm die diskriminierenden Schilder noch vor Augen: „Kauft nicht bei Juden“, „Juden unerwünscht“, „Eintritt für Juden verboten“ oder „deutsches Haus“. Am Shabbat, am Freitag Abend, ging die Familie zu Fuß von der Schwindtstraße zur liberalen Hauptsynagoge in der Börnestraße. Auch wenn die jüdischen Traditionen für sie durchaus eine große Bedeutung hatten, hielten sie sich nicht sonderlich streng an religiöse Gebote. So fuhren samstags auch mit der Straßenbahn.

Oft zog es die Familie am Wochenende zum Wandern in den Taunus. Vom Westbahnhof aus fuhren sie nach Kronberg oder Königstein. Diese Ausflüge genossen die Familienmitglieder, denn dort wurden sie nicht belästigt. Auch an Besuche im Palmengarten kann sich Ernst Simon gut erinnern.

Der Entschluss, das Land zu verlassen, fiel den Simons schwer. Sie fühlten sich als stolze, moderne Deutsche und mit der Kultur dieses Landes verbunden. Musik, Literatur, Philosophie, Sport und Bewegung in der Natur spielten in ihrem Leben eine wichtige Rolle. Obwohl Johanna Simon berufstätig war, besuchte sie oft Konzerte und Vorträge. Unterstützt wurde Johanna Simon dabei von den Schwiegereltern.

Johanna Simon litt sehr darunter, dass sie ihren Beruf verloren hatte, weshalb sie bereits 1933 das Land verlassen wollte. Sie knüpfte Kontakt zu Verwandten in Argentinien. Doch die Hoffnung, dass sich die Situation im Land der Dichter und Denker wieder ändern könnte, hinderte sie daran, frühzeitig auszuwandern. 1936 reifte der Entschluss, Deutschland zu verlassen. Zur Finanzierung der Auswanderungskosten mussten sie ihre Lebensversicherung vorzeitig auflösen. Am Dezember 1936 fuhr die Familie mit der Hamburg- Südamerikanischen Dampfschifffahrtsgesellschaft nach Buenos Aires.

Irma Katz – Werkstatt für moderne Frauenkleidung

Irma Katz wurde 1899 als zweite Tochter des Ehepaars Willy und Sophie Katz in Aschenhausen geboren.

Nach der Schule in Stadtlengsfeld begann Irma in Frankfurt zunächst eine Ausbildung beim Frauen-Bildungsverein in der Hochstraße, später bei Clara Scheuer im Oederweg bis zu ihrer Gesellenprüfung als Schneiderin. Danach setzte sie ihre Ausbildung mit einem einjährigen Kurs bei Professor Beyer in Darmstadt fort und arbeitet anschließend bei der Firma Beyer-Haag in Darmstadt.

Wie ihre große Schwester Johanna war Irma bildungshungrig. Ab 1917 besuchte sie die Kunstgewerbeschule in Magdeburg. Dort vervollständigte sie ihre Ausbildung mit der Meisterprüfung.

Zurück in Frankfurt machte sich Irma selbständig und gründete die Firma Irma Katz- Werkstatt für moderne Frauenkleidung. Sie beschäftigte 8-14 Schneiderinnen und einen Schneider, der von zu Hause arbeitete. Ihr Studio befand sich in der Klüberstraße, zuletzt in der Leerbachstraße 42. Dort hatte sie in ihrer 5 Zimmer-Wohnung einen Probier-Salon, ein Wartezimmer und ein Arbeitszimmer. Wohnung und Studio waren mit Bauhausmöbeln eingerichtet, die teilweise in Kalten-Nordheim, ihrer Heimat in Thüringen, teilweise in einem Möbelatelier in der Großen Friedbergerstraße in Frankfurt hergestellt worden waren.

Die Machtübernahme wirkte sich direkt negativ auf Irmas Betrieb aus. Die nichtjüdischen Kunden mieden sie, bei den jüdischen Kunden machte sich die durch Entlassungen und Boykottmaßnahmen verschlechterte wirtschaftlichen Situation bemerkbar. „Die jüdische Kundschaft war nicht mehr in der Lage, sich Garderobe arbeiten zu lassen, wanderte zum Teil aus, die anderen Kunden beschäftigten mich nicht mehr.“ (HHStAW)

Daher bemühte sich Irma Katz, im Ausland Erwerbsmöglichkeiten zu erkunden. Am 6. April 1934 verließ sie Deutschland mit dem Dampfer Monte Pasoal von Hamburg nach Buenos Aires. Dort lebte bereits eine ihrer Schwestern. Eigentlich sollte es nur ein vorübergehender Aufenthalt sein, doch Irma Katz kehrte nicht mehr nach Deutschland zurück.

In Argentinien wurde sie nach einer kurzen Zeit unselbständiger Beschäftigung wieder selbständig, aber konnte nicht mehr so recht an das anknüpfen, was sie in Frankfurt erreicht hatte.

Kriminalisiert

1935 entschlossen sich Willy und Sophie Katz ihre Heimat in Thüringen, dort hatten sie seit ihrer Geburt gelebt und gearbeitet, zu verlassen und zu ihren Töchtern nach Frankfurt zu ziehen. Zuletzt lebte Sophie Katz in der Feldbergstraße 22 im Frankfurter Westend. Gesundheitlich war Willy Katz schwer angeschlagen. Er starb am 22. März 1937 und wurde auf dem jüdischen Friedhof in der Eckenheimer Landstraße beerdigt.

Drei Monate später sah sich Sophie Katz mit dem Vorwurf eines Devisenvergehens konfrontiert. Hintergrund dieser Anschuldigung war, dass ihr Mann und sie die Fracht- und Transportkosten für die Emigration der Familie ihrer Tochter beglichen und die letzte noch ausstehende Mietzahlung übernommen hatten. Damit habe sie Zahlungen für einen Devisenausländer geleistet, so der Vorwurf der Finanzbehörde. Als Ausgleich für die geleisteten Zahlungen hatten Willy und Sophie Katz jedoch mit ihrem Schwiegersohn vereinbart, dass ihnen dessen noch offene Außenstände zukommen. „Ich kann in diesen ganzen Vorgängen keine unrechte Handlung erblicken und bitte zunächst um Einsichtnahme und Rücksprache mit der zuständigen Stelle. Ich bitte noch vorzubringen, dass ich 68 Jahre alt bin, meinen Mann von 3 Monaten verloren habe und nur von einer kleinen Pension leben muss.“ Weitere Unannehmlichkeiten ergaben sich, als sich ein säumiger Patient weigerte, die Kosten für eine zahnärztliche Behandlung zu bezahlen.

Trotz ihrer Einwendungen wird Sophie Katz in der „Devisenstrafsache“ für schuldig erklärt, „in den Jahren 1936 und 1937 fortgesetzt handelnd inländische Zahlungsmittel zugunsten eines Ausländers an Inländer … ohne Genehmigung der Devisenstelle ausgehändigt zu haben“ und dadurch dem Devisengesetz zuwidergehandelt habe.

Weiteren Schikanen und Hürden sah sich Sophie Katz bei der Vorbereitung der eigenen Auswanderung ausgesetzt. Mehrfach musste sie beim Konsulat in Düsseldorf vorsprechen, um ihr Visum zu erhalten.

Neben den hohen Auswanderungskosten wurde sie mit hohen „Golddiskontabgaben“ und der „Judenvermögensabgabe“ belastet. Um die Zahlung der Dego-Abgabe, der sogenannten Golddiskontabgabe für Schmuck und weitere als wertvoll erachteten Gegenständen zu umgehen, wollte sie eine Armbanduhr, eine Brillantbrosche und weitere Gegenstände ihrem Bruder Leo Schmidt in Bruchsal als Schenkung überlassen. Genau diese Gegenstände sowie wichtige Papiere, die sich bereits im Umzugsgut bei der Spedition befanden, wurden jedoch gestohlen. Sophie Katz gelang es am 9. November 1938 mit dem Schiff Monte Rosa nach Argentinien auszuwandern, mittellos und ihrer Witwenpension beraubt, die auf ein Sperrkonto ging.

Nach dem Novemberpogrom, sie war zu dieser Zeit bereits auf dem Weg nach Argentinien, wurde sie noch zur Leistung weitere Abgaben aufgefordert. Ihr wurde vorgeworfen, sie hätte hierfür ihr Vermögen nicht ordnungsgemäß angemeldet. Dies mündete in einer Arrestverfügung, die jedoch nicht mehr wirksam werden konnte, da Sophie Katz mittellos war und sich bereits außer Landes befand. (HHStAW)

Argentinien

Zwar hatten die Mitglieder der Familie ihr Leben gerettet, doch der Start in ihr neues Leben war hart und steinig. Sie waren der spanischen Sprache nicht mächtig, hatten Problem sich an das Klima anzupassen, konnten ihre Berufe nicht ausüben und nur schwer beruflich Fuß fassen. Aber sie fühlten sich wohl im Kreis ihrer Angehörigen, die ebenfalls nach Argentinien gekommen waren: die drei Schwestern von Johanna Simon und ihre Mutter. Zunächst waren die Simons bei Angehörigen untergebracht und wurden von einem Großonkel unterstützt. Georg Simon verdiente sein Geld als Angestellter, seine Frau bemühte sich, als Zahnärztin arbeiten zu können, jedoch ohne Erfolg. So entschloss sich Johanna Simon, illegal als Zahnärztin zu arbeiten, bis sie aufgrund einer polizeilichen Anordnung ihre Tätigkeit einstellen musste. Ihre Patienten waren vor allem Einwanderer aus Deutschland. „Hier in Buenos Aires durfte ich, da ich hier nicht approbiert war, keine Praxis ausüben. Da wir mit dem geringen Gehalt meines Mannes nicht auskommen konnten, habe ich unerlaubterweise trotzdem versucht tätig zu sein, habe auch etwas Erfolg gehabt, bis ich denunziert wurde.“ (HHStAW, Gespräch mit Ernst Simon)

Die Nachbarschaftshilfe der Emigrantengemeinschaft war für die Simons eine große Stütze. Gemeinsam bauten sie mit Unterstützung von Förderern eine Synagoge auf. Am Fluss richteten sie einen jüdischen Club ein. Dorthin kamen sie zum Picknick und zum Baden.

Trotz aller Schwierigkeiten, die sie in ihrer neuen Heimat hatten, waren die Großeltern, so die Enkelin Vivian Simon, dankbar, dass Argentinien sie aufgenommen hatte. 1970 besucht Johanna noch einmal Frankfurt, um Grab ihres Vaters aufzusuchen. Sie starb fünf Jahre später in Argentinien.

Ihrem Sohn Ernst war es schließlich möglich, zu studieren und Zahnarzt zu werden. Er konnte zahlreiche Klienten seine Mutter übernehmen. Seine spätere Frau hatte er in einem Hockey-Club kennengelernt. Sie stammte aus einer sephardischen Familie, aus Damaskus in Syrien. Doch heiraten konnte Ernst Simon sie erst 10 Jahre später, da er anfangs noch keinen Abschluss hatte. Sein späterer Schwiegervater versuchte seine Tochter mit einer besseren Partie zu verheiraten, ohne Erfolg. Dann schickte er die Tochter nach Amerika. Dort sollte sie den Angebeteten vergessen. Offensichtlich ist ihm dies nicht gelungen. Als Ernst Simon einen Abschluss vorweisen konnte, stimmte sein Schwiegervater endlich der Heirat zu.
Ernst Simon arbeitete hart, um seinen drei Kindern, zwei Töchter und ein Sohn, eine gute Ausbildung zu ermöglichen.

Seine Schwester Ellen studierte nach ihrer Schulausbildung Pharmazie und Biochemie an der Universität in Buenos Aires. 1954 heiratete sie Wolfgang Zarnawitzer, der ursprünglich aus Berlin stammte und wie sie 1936 nach Argentinien ausgewandert war. Das Ehepaar hat drei Kinder, Alejandro, Sandra und Gustavo, offensichtlich alle sehr sprachbegabt, denn sie studierten Deutsch, Hebräisch und Englisch. Die Kinder sind weiterhin mit der von den Emigranten aufgebauten Leo-Baeck-Synagoge verbunden. Wolfgang Zarnawitzer starb 1997 in seiner neuen Heimat, seine Frau Ellen 2019.

Besuche in der alten Heimat

Vivian, seine älteste Tochter, wurde Landschaftsarchitektin. Sie begleitete ihn 2002, als er am Besuchsprogramm der Stadt Frankfurt teilnahm. Besonders beeindruckt hatte Ernst Simon damals die Begegnung mit Lilo Günzler in Schwanheim. Lilo Günzler, während des Nationalsozialismus aus „Mischling 1. Grades“ verfolgt, arbeitete als Lehrerin an der Minna-Specht-Schule in Schwanheim und engagierte sich im Heimat- und Geschichtsverein. 2021 wurde eine Straße nach ihr benannt.

Bereits 20 Jahre vorher hatte Ernst Simon eine Reise nach Thüringen unternommen, nach Aschenhausen, wo seine mütterliche Familie herstammte. Anders als in Frankfurt fand er alles so vor, wie er es aus der Kindheit kannte, die Alleen, die Häuser und die Straßen – nur ein wenig heruntergekommen.

Seit 2012 lädt die Stadt Frankfurt auch die Kinder ehemaliger Frankfurterinnen und Frankfurter ein. 2022 nahm Vivian Simon am Besuchsprogramm teil. Ihr war wichtig, nicht nur dem traurigen Teil der Familiengeschichte nachzugehen. Sie suchte vor allem die Orte auf, die mit positiven Erinnerungen des Vaters verbunden waren. So unternahm sie, begleitete von Margitta Köhler, einen Ausflug nach Kronberg. Von dort startete die Familie ihres Vaters ihre Wanderungen in den Taunus. Schwanheim zu besuchen, war Vivian ein besonderes Anliegen, das Haus zu sehen, in dem ihre Familie gelebt und die Großmutter als Zahnärztin praktiziert hatte, den Kindergarten, in den ihr Vater ging, die Umgebung, den Main.

In der Ernst-Reuter-Schule sprach sie mit Schülerinnen und Schülern über ihre Familiengeschichte und beantwortete deren Fragen. Die Klasse von Birgit Ausbüttel war sehr beindruckt von der offenen und herzlichen Art, mit der Vivian Simon ihnen entgegentrat. Dass sie an einigen Stellen sehr bewegt war, zeigte den Jugendlichen, wie sehr die Traumata der Eltern- und Großelterngeneration das Denken und die Gefühle der nachfolgenden Generationen beeinflussen.

Doch nach dem Gespräch im Klassenraum war die Begegnung mit der Schulkasse noch nicht beendet. Gemeinsam erkundeten die Schülerinnen und Schüler anschließend mit ihrem Gast die Schule und zeigten der Landschaftsgärtnerin voller Stolz den Schulgarten der Ernst-Reuter-Schule.

Was Vivian ihnen mit auf den Weg geben möchte, fragte eine Schülerin. „Never again! Respektiert einander!“, so die Botschaft des weitgereisten Gastes, ganz ähnlich wie ihr Vater 20 Jahre zuvor: „Krieg ist keine Lösung. Die Völker müssen lernen miteinander zu leben“.

Auch Vivians Bruder Daniel interessiert sich für die Familiengeschichte. Er besitzt viele der Erinnerungstücke, die seine Familie aus Deutschland mitgebracht hat, ein Gebetbuch seines Großvaters Georg Simon aus dem Ersten Weltkrieg, den nicht realisierten Bauplan, mit dem Johanna Simons Praxis erweitert werden sollte, und viele andere Dokumente. Sie haben für ihn eine große emotionale Bedeutung. Nun hat er Stolpersteine für die Johanna, Georg, Ernst und Ellen Simon beantragt, mit denen er an das Schicksal der Familie erinnern möchte, und freut sich aus diesem Anlass den Geburtsort seines Vaters zu besuchen.