KURZBIOGRAPHIE

Familie Bensinger

Ethan Bensinger: geboren 1949 in Israel,
wohnhaft in Chicago

Vater von Ethan Bensinger:
Ernst Bensinger, geb. 23.3.1908 in Frankfurt,
gest. 1968 in Chicago

Wohnadresse in Frankfurt:
Westendstraße 89, Bettinastraße 50
Schulbesuch in Frankfurt: Wöhlerschule (1914-1920) und Merton-Schule

Großeltern:
Hermann Bensinger, geb. 1874 in Bodersweier in Baden, gest. 1952 in Israel
Ida Bensinger, geborene Hergershausen, geb. 1886 in Mainz, gest. in Chicago
Geschäft des Großvaters: Textilgeschäft Bensinger & Co in der Kaiserstraße 56 (bis 1925), Kaiserstraße 71, Moselstraße 27

1933 Emigration der Großeltern nach Palästina, Sohn Ernst Bensinger folgte 1934

Mutter von Ethan Bensinger:
Fanny (Rachel) Bensinger, geb. Kamm, geb. 16.7.1912 in Fulda, gest. 2014
1934 Emigration nach Palästina, die Eltern folgten 1938

1954 Weiterwanderung der Familie Bensinger in die USA,
zunächst nach New York, später nach Chicago


Quellen:

Recherchen und Text:
Angelika Rieber

Ethan Bensinger

Zuflucht

Von Angelika Rieber

Refuge – Zuflucht, so heißt der Film von Ethan Bensinger über das Selfhelp Home in Chicago. Ursprünglich war das Selfhelp Home eine Mitte der 30er Jahre gegründete Selbsthilfeorganisation zur Unterstützung von Emigranten aus Deutschland. Heute ist es ein Altersheim. Ethan Bensingers Mutter, dort früher als freiwillige Helferin aktiv, lebte selbst in diesem Heim, bis sie dort 2014 im Alter von 102 Jahren verstarb.

2007 begann Ethan Bensinger ein Archiv mit den Lebensgeschichten der Heimbewohner einzurichten. Daraus wurde ein Dokumentarfilm: Refuge – Stories of the Selfhelp Home.

Bensinger & Co in der Kaiserstraße

Die Familie von Ethan Bensinger stammt aus Frankfurt. Großvater Hermann war 1899 aus Bodersweier in Baden nach Frankfurt gekommen und hatte dort einen gut gehendes Familienunternehmen aufgebaut, den Manufakturwaren- und Textilhandel Bensinger & Co, mit Niederlassungen in Berlin, London und Danzig. Mitinhaber waren die Witwe seines Bruders Louis, Ida Bensinger, geb. Regensburger, und deren Sohn Fritz, der in den 20er Jahren in Berlin lebte. Die Geschäftsräume in Frankfurt befanden sich bis 1925 in der Kaiserstraße 56, später in der Kaiserstraße 71 und zuletzt in der Moselstraße 27.

Die Großmutter von Ethan Bensinger, Ida Hergershausen, stammte aus Mainz. 1907 heirateten Hermann und Ida. Ein Jahr später wurde das einzige Kind des Ehepaars, der Sohn Ernst, geboren.

Die Familie lebte im Westend, einem gutbürgerlichen Frankfurter Stadtteil, in der Westendstraße.

Ernst besuchte zunächst die nahegelegene Wöhlerschule, damals in der Lessingstraße in Frankfurt, später die Mertonschule, eine Höhere Handelsschule. Danach ging Ernst in die Lehre im Seidenhaus Eduard Schott, dann als Volontär in die USA, belegte kaufmännische Kurse und bereitete sich damit darauf vor, später die Firma zu übernehmen. Ernst hatte die Aufgabe, im Außendienst in Europa Erfahrungen und Sprachkenntnisse zu erwerben und neue Kontakte zu knüpfen. So war er nicht nur in Deutschland, sondern auch in Belgien, Holland, England und der Schweiz unterwegs. Immer wieder kehrte er nach Frankfurt zurück, wo er nach dem Umzug der Eltern nach Berlin in der Bettinastraße wohnte. 1929 hatte der Vater von Ernst, Hermann Bensinger, den Wohn- und Firmensitz nach Berlin verlegt.

From the leafy streets of Berlin to the sand of Palestine

Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten spürten die Bensingers sehr schnell, dass sie in Deutschland keine Zukunft mehr hatten. Bereits 1933 verließen Hermann und Ida Bensinger ihre einstige Heimat. 1934 entschloss sich auch Ernst Bensinger, nach Palästina auszuwandern. Über Polen und Rumänien reiste er nach Konstanza und von dort mit dem Dampfer „Pologna“ nach Jaffa.

Auf dem Schiff lernte er seine spätere Frau Fanny Kamm kennen, die aus Fulda stammte. Ein Jahr später heirateten die beiden. Einerseits war das Leben in Palästina für sie faszinierend und abenteuerlich, andererseits auch wenig vertraut. „From the leafy streets of Berlin to the sand of Palestine“, von den mit Laubbäumen umgebenen Straßen Berlins in den Sand von Palästina, schreibt Ethan als Bildkommentar zu einem Foto, das seine Mutter inmitten einer Neubaulandschaft bei Tel Aviv zeigt.

Das Ehepaar Rachel, so nannte sich Fanny nun, und Ernst Bensinger hatte zwei Söhne, den 1938 geborenen Gad und den 1949 geborenen Ethan.

Auch die Eltern von Rachel, Willy und Thekla Kamm, hatten sich 1938 entschlossen, ihrer Tochter nach Palästina zu folgen. Der Tante Ida Bensinger, Mitinhaberin der Firma, gelang ebenfalls die Flucht aus Deutschland. Sie lebte 1938 in Paris. Um ihr Umzugsgut zu erhalten, musste sie mehrere Erklärungen unterzeichnen, bis die Zollfahndungsstelle es endlich freigab.

Die engsten Angehörigen, die Großeltern von Ethan Bensinger, hatten durch die Emigration nach Palästina überlebt. Auch Fritz Bensinger konnte nach Kanada fliehen. Vielen Angehörigen, wie dem Großonkel Max, war die Flucht jedoch nicht mehr gelungen. Max Bensinger, bereits im November 1938 verhaftet und sechs Wochen lang im KZ Dachau interniert, wurde im September 1942 von Frankfurt aus nach Theresienstadt verschleppt und im Januar 1943 in Auschwitz ermordet.

Frankfurt-on-the-Hudson

Anfangs liefen die Geschäfte in Palästina gut. Doch nach der Staatsgründung Israels 1948 brach der Handel mit den arabischen Nachbarländern zusammen. Nach dem Tod von Hermann Bensinger 1952 entschloss sich die Familie daher, in die USA auszuwandern. Dort lebten die Bensingers zunächst in New York. Ethans Mutter war nicht glücklich über diese Entscheidung. Sie vermisste das Haus mit Garten in Tel Aviv und musste nun mit ihrer Familie in einem dunklen Appartement in der amerikanischen Millionenstadt wohnen. Der Stadtteil, in dem die Bensingers lebten, Washington Heights, war zu dieser Zeit von deutsch-jüdischen Emigranten geprägt. Man nannte ihn auch „Frankfurt-on-the-Hudson“, da viele der Einwanderer aus Frankfurt kamen. So wuchs Ethan in einem Umfeld auf, in dem die deutsche Kultur und Sprache eine wichtige Rolle spielten. Mit den Eltern und der Großmutter sprach er deutsch. Und in der Wohnung sah es vermutlich genauso aus wie vorher in Frankfurt und in Berlin mit antiken Möbeln, einem Radio von Grundig und dem Rosenthal-Geschirr.

1962 zog die Familie abermals um, nach Chicago. Dort starb Ernst Bensinger sechs Jahre später, im Alter von nur 60 Jahren.

Lebensgeschichten

Ethan war damals gerade 19 Jahre alt. Er studierte, wurde erfolgreicher Jurist, Chef einer Anwaltskanzlei und entwickelte sich immer mehr zum Experten für Emigrationsfragen. Seine Deutschkenntnisse kamen ihm in seiner beruflichen Arbeit zugute. Und das Selfhelp Home wurde ein vertrauter Ort für ihn. Seine Großmutter zog im Alter in das Heim, später auch seine Mutter, die dort zuvor ehrenamtlich gearbeitet hatte.

So kam Ethan Bensinger ins Gespräch mit vielen der Heimbewohner, hörte ihre Geschichten und zeichnete sie auf. Ihm wurde deutlich, dass die Erinnerungskultur in den USA vor allem die Perspektive der osteuropäischen Juden darstellte. Die Bewohner des Heimes kamen aber vor allem aus Deutschland, Österreich oder der Tschechoslowakei. Ihre Erzählungen begannen nicht mit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen und die Sowjetunion, sondern beschrieben die schrittweise Diskriminierung und den Ausschluss aus der Gesellschaft seit 1933.

Deshalb nimmt sein Film die Erfahrungen dieser Menschen in den Blick und erzählt ihre Lebensgeschichten. Fünf Jahre lang hat Ethan Bensinger an dem Film gearbeitet, ihn seither in Schulen, Kirchen, Synagogen und in kulturellen Einrichtungen gezeigt: Refuge – Stories of the Selfhelp Home. Auf europäischen Filmfestivals wurde der Dokumentarfilm mehrfach ausgezeichnet.

Nun freut sich Ethan Bensinger, seinen Film auch in Frankfurt zeigen zu können, in der Wöhlerschule, dem Gymnasium, das sein Vater einst besucht hatte, und bei der Emma und Henry-Budge-Stiftung, einem Seniorenheim, das sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen christlichen und jüdischen Glaubens ein würdevolles Leben im Alter zu ermöglichen.

Ethan ist nicht das erste Mal in Deutschland. Immer wieder zieht es ihn dorthin, um seiner Familiengeschichte nachzugehen, seinen Film zu zeigen und mit Schülerinnen und Schülern in der früheren Heimat seiner Eltern zu sprechen. Auch seine beiden Töchter haben die Oma bei einer Reise nach Deutschland begleitet. Zwar fühlt sich Ethan Bensinger mit Deutschland, dem Herkunftsland seiner Eltern, mit der deutschen Sprache und den Lebensgewohnheiten verbunden, aber nur als Tourist nach Deutschland zu reisen, das kann er sich schwer vorstellen.