KURZBIOGRAPHIE

Familie Creizenach

Theodor Creizenach

  • geb. 1896 in Frankfurt am Main
  • Historiker, konnte seine Dissertation nach 1933 nicht beenden
  • finanzierte seinen Lebensunterhalt mit Privatunterricht
  • Wohnadresse in Oberursel, Austraße
  • Juni 1939 Verhaftung und lt. Polizeibericht Suizid in der Gefängniszelle

Vater:

  • Ferdinand Creizenach
  • jüdischer Herkunft, gehörte zur Christuskirchengemeinde
  • starb 1928

Mutter:

  • Gertrud Creizenach, geb. Meißner
  • 1944 wegen „defaitistischer“ Äußerungen denunziert und zu einer Haftstrafe verurteilt, die sie jedoch nicht antreten musste
  • 1953 starb Gertrud Creizenach

Schwester:

  • Elisabeth Wolfskehl, geb. Creizenach
  • verheiratet mit Henry Wolfskehl
  • Verhaftung von Henry Wolfskehl während des Novemberpogroms, von Buchenwald aus nach Jena überführt, wo er am 29.11.1939 starb
  • Wohnadresse in Frankfurt: Kurhessenstraße
  • 1939 emigrierte Elisabeth mit ihren Kindern Dieter und Eva nach England

Quellen:

Archive:

  • Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
  • Stadtarchiv Oberursel
  • Institut für Stadtgeschichte Frankfurt
  • Historisches Museum
  • Archiv der Christuskirchengemeinde
  • Universitätsarchiv Heidelberg
  • Rieber, A. (2010): „Dem Wahren, Schönen, Guten“. Die Creizenachs – eine Familie aus Oberursel, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Heimatkunde Oberursel e.V. Nr. 49
    Gespräche mit Zeitzeugen

Fotos:
Angelika Rieber, privat

Text:
Angelika Rieber

Familie Creizenach

Krimi­nali­sierung

„Frankfurter Verein der Reformfreunde“

Von Angelika Rieber

Die Familie Creizenach ist eng mit der Geschichte Frankfurts verbunden. Theodor Creizenach (1818-1877), bekannter Goethe- und Dante-Forscher, gründete 1842 den „Frankfurter Verein der Reformfreunde“, der eine Reform des Judentums forderte. Mit seinen Ideen entfernte sich Creizenach immer weiter vom traditionellen Judentum und entschloss sich 1854, zum Christentum überzutreten.

Seinen Sohn, den Kaufmann Ferdinand Creizenach, zog es 1900 mit seiner Familie an den Taunusrand nach Oberursel. Die Ehefrau Gertrud stammte aus einer christlichen Familie. Nach Naziterminologie handelte es sich dabei um eine „Mischehe“. Die beiden Kinder des Ehepaars, die Tochter Elisabeth (1894) und der Sohn Theodor (1896) wurden beide in der Christuskirche in Oberursel konfirmiert.

„Der Verstorbene wurde am genannten Tage um 21.45 Uhr zuletzt lebend gesehen“

Theodor Creizenach gehörte zu der Generation junger Männer, die direkt nach der Schulzeit 1915 als Soldaten eingezogen wurden. Erst 1920 kehrte er aus der französischen Gefangenschaft zurück. Der Oberurseler studierte Geschichte, Deutsch und Philosophie und wurde 1928 mit einer Dissertation über das Thema „Deutsches Reich und deutscher Staat in den Anschauungen der Franzosen“ promoviert. Damit trat er als Historiker in die Fußstapfen seines berühmten Großvaters, dessen Namen er trug.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten bedeutete für Theodor Creizenach das berufliche Aus. So wurde er als „Halbjude“ 1933 von allen Ämtern des Vereins für Geschichte und Landeskunde in Frankfurt entbunden. Um den Lebensunterhalt für seine Mutter und sich zu sichern, gab der Oberurseler privaten Fremdsprachenunterricht.

Im Juni 1939 wurde Theodor Creizenach nach einer Vorlesung und dem Besuch einer befreundeten Familie aus bislang nicht bekannten Gründen auf dem Weg nach Hause verhaftet und in das Polizeigefängnis in der Klapperfeldstraße gebracht. Dort wurde er nach Angaben der Polizei kurz nach seiner Einlieferung erhängt in seiner Zelle vorgefunden. Erst zwei Tage später wurde seine Mutter darüber informiert. „Der Verstorbene wurde am genannten Tage um 21.45 Uhr zuletzt lebend gesehen“, so die drei Tage später ausgestellte Todesurkunde.

Flucht nach England

Die Schwester Elisabeth Wolfskehl überlebte. Ihr gelang es, 1939 mit ihren beiden Kindern nach England zu flüchten. Neben ihrem Bruder hatte sie auch noch den gewaltsamen Tod ihres Mannes zu beklagen.
Henry Wolfskehl wurde im November 1938 in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Dort wurde er bewusstlos aufgefunden und in das psychiatrische Krankenhaus in Jena gebracht, wo er am 30.11.1938 starb.

„Die C. hat Gerüchte verbreitet“

Gertrud Creizenach blieb alleine in Oberursel zurück. Ihr Mann war bereits 1928 verstorben, der Sohn und der Schwiegersohn unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen, die Tochter und die Enkelkinder lebten in England. Zusätzlich zu all diesen Schicksalsschlägen musste Gertrud Creizenach noch erleben, dass sie 1943 wegen einer „defaitistischen Äußerung“ denunziert und angeklagt wurde.

„Die C. hat Gerüchte über die SS (Zacken) verbreitet“, wurde auf einer Gestapo-Karteikarte vom 5.1.1944 vermerkt.
Bei einer Unterhaltung hatten sich Gertrud Creizenach und eine weitere Oberurselerin empört über „SS-Frauen, die in einem Heim entbinden könnten, und dass die Frauen, die das entbundene Kind dem Heim überließen, eine Entschädigung bekämen.“

Die „Straftat“ wurde als „Vergehen gegen das Heimtückegesetz“ angesehen. Dass „die C.“ „in jeder Weise staatsabträglich eingestellt“ sei, wird allein aus dem Umstand abgeleitet, dass sie mit einem Juden verheiratet war. Laut Urteil des Sondergerichtes des Frankfurter Oberlandesgerichtes vom 5.7.1944 wurde Gertrud Creizenach zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt, doch ihr Anwalt konnte verhindern, dass sie die Haft antreten musste. 1953 starb Gertrud Creizenach im Alter von 86 Jahren, verbittert, wie Zeitzeugen berichteten.