KURZBIOGRAPHIE

Name:
Andrea Jacobs, geb. Eis lebt heute in den USA

Teilnahme am Besuchsprogramm: 2012
Teilnahme der Schwester und der Cousine: 2013

Vater:
Max Eis, geb. 1911 in Frankfurt dessen Geschwister: Moritz und Martha

Großeltern:
Leopold Eis, geb. in Bingen, Leah Eis, geb. in Odessa

Familie wohnte im Ostend von Frankfurt.

Nach dem 9. November 1938 wurden Leopold und Max nach Buchenwald und Moritz nach Dachau verschleppt.

Nach der Entlassung gelang der Familie die Emigration nach Schanghai, China, und später weiter in die USA.

Dort wurde Andrea nach dem Krieg geboren.


Quellen:

  • Maurice Eis: „My Memoir 1914-2004“, Manuskript
  • Dr. Josef Götten, Arbeitskreis Jüdisches Bingen: Der jüdische Friedhof von Bingen,
  • Handzettel ohne Datum (www.juedischesbingen.de)
  • Standesamtliches Archiv der Stadt Bingen Herr Frick
  • Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt (PJLF): Andrea Jacobs: persönliche Mitteilungen

Fotos:
Gaby Thielmann und Angelika Rieber

Text:
Gaby Thielmann

Andrea Jacobs

Durch seine lebendige Art ist ihr Vater in Bingen in Erinnerung geblieben

von Gaby Thielmann

Andrea Jacobs, geb. Eis, kam auf Einladung der Stadt 2012 nach Frankfurt, um die Ursprünge ihrer Familie kennenzulernen. Sie wusste, dass die Großeltern mit zwei Söhnen, Max und Moritz, und der Tochter Martha in Frankfurt vom Antiquitätenhandel gelebt hatten. Besonders der Onkel, Moritz Eis, verabscheute die Einschränkungen, die sie als Juden in den 30er Jahren erfahren mussten und stellte einen Antrag auf ein Visum für die USA. Dieses sollte er erst nach 4 Jahren erhalten. Die Demütigungen, die Moritz, sein Bruder Max und ihr Vater nach dem 9. November 1938 in den KZs Buchenwald und Dachau erlitten hatten, zwangen Moritz jedoch dazu, schnell zu handeln und bis Ende des Jahres das Land mit Ziel Schanghai zu verlassen. Auch der restlichen Familie gelang die Flucht nach China.

Nach dem 2. Weltkrieg, den Moritz als amerikanischer Soldat in Europa überlebte, konnte die ganze Familie in die USA einreisen. Max Eis heiratet wieder und zwei Töchter wurden geboren. Max zog es verschiedene Male zurück zu seinen Ursprüngen in Frankfurt und auch nach Bingen, dem Geburtsort seines Vaters Leopold.

Während des Aufenthalts in Deutschland besuchte Andrea Jacobs den Ort am Rhein, den ihr Vater Max aus seiner Kindheit kannte und stellte fest, dass er den Menschen dort durch seine lebendige Art in Erinnerung geblieben war.

Als Neuling im Projekt „Jüdisches Leben in Frankfurt“ konnte ich mir einen Gast auswählen, den ich während der Besuchswoche betreuen wollte. Ich hatte zu keinem Namen eine Beziehung, anders als die altbewährten Mitarbeiterinnen, die schon seit längerem intensive Kontakte zu zahlreichen Familien pflegen. Die Familie Eis weckte mein Interesse, da die Vorfahren aus Bingen an der Nahe stammten, und ich ebenfalls von der Nahe, aus Idar-Oberstein komme.

Bei meinen Recherchen über die Familie Eis konnte ich feststellen, dass es den Arbeitskreis „Jüdisches Bingen“ gibt, der die jüdische Vergangenheit des Ortes wieder bewusst gemacht hat. Ein Anruf beim Standesamt konnte die Herkunft der Familie bestätigen. Der Standesbeamte, Herr Frick, konnte sich noch gut an die Besuche von Max Eis vor ca. 40 und vor 20 Jahren erinnern. Durch seine lebendige Art ist Max Eis in Bingen in Erinnerung geblieben!

Mit meinem Mann habe ich bei einer Vorerkundung das alte Bingen erwandert. Wir fanden das Haus der Familie Eis in der Rupertusstraße und machten eine Kaffeepause in einer kleinen Bäckerei an der Straßenecke. Sowohl die Verkäufer­innen als auch zwei Kundinnen waren sehr an unserer Suche interessiert und bestätigten, dass in diesem Teil der Stadt früher sehr viele jüdische Familien mit ihren kleinen Geschäften ansässig waren. Sie empfahlen uns, den Berg hoch zum jüdischen Friedhof zu spazieren! So viele positive Reaktionen hatten mein Mann und ich nicht erwartet. Nachdem wir den Friedhof hoch über der Stadt gefunden hatten, war mein Entschluss gefasst, mit Andrea Jacobs hierher zu fahren.

Die Geschichte der Familie Eis:

Leopold und Leah mit Max, Moritz und Martha

Vater Leopold, geboren in Bingen, und seine Frau Leah, geboren in Odessa, Russland, lebten mit ihren Söhnen Max, geboren 1911, Moritz, geboren 1914, und der 1919 geborenen Tochter Martha im eigenen Haus in der Nonnengasse im Frankfurter Ostend. Leopold war im Ersten Weltkrieg deutscher Soldat, kehrte aber invalide zurück. Für seine Verdienste erhielt er 1935 „im Namen des Führers und Reichskanzlers“ das 1934 von Reichspräsident Hindenburg gestiftete „Ehrenkreuz für Kriegsteilnehmer“.

Wie es scheint, lebten sie zunächst unbehelligt. Die Eltern betrieben einen Antiquitätenhandel im gleichen Haus, und nach dem Ende seiner Schulzeit arbeitete Max bei ihnen mit. Moritz machte eine Lehre in der Schuhfabrik Ada Ada in Offenbach im kaufmännischen Bereich. An den Abenden besuchte er Kurse in Englisch und Stenographie.

Die Bedingungen für jüdische Mitbürger verschlechterten sich drastisch nach 1933 und viele Juden entschieden sich, das Land zu verlassen. Moritz stellte einen Antrag auf ein Visum für die USA, da dort Verwandte seiner Mutter aus Odessa lebten. Zu seiner großen Enttäuschung konnte er dieses Visum frühestens nach Ablauf von vier Jahren bekommen. Er hatte schon eine undatierte Überfahrt nach Amerika gebucht, behielt aber vorsorglich die Fahrkarte.
Im Sommer 1938 verlor er seine Stelle in der Fabrik.

In der „Reichskristallnacht“ eskalierte die Situation. Am 9. November 1938 wurden Leopold und Max mit zahlreichen anderen jüdischen Männern nach Buchenwald in das Konzentrationslager gebracht, Moritz wurde einen Tag später in das KZ nach Dachau verschleppt. Da die Schiffspassage immer noch vorlag, konnte Leah damit die Freilassung ihres Mannes und ihrer beiden Söhne beschleunigen. Dies gelang nach drei Wochen, für Moritz jedoch mit der Auflage, das Land innerhalb von zehn Tagen zu verlassen.

Er tauschte das Ticket in eine Passage nach Schanghai um, da man für die Einreise nach China kein Visum benötigte. Dort Ende Dezember 1938 angekommen, erkannte er die Chance für die ganze Familie, dem Schrecken in Deutschland zu entkommen. Er telegraphierte, sie sollten sofort nachfolgen. So brachten sich schließlich auch die Eltern, Max mit Ehefrau Else und Sohn Rolf und die Schwester Martha in Schanghai in Sicherheit.

Moritz stellte bald wieder einen Antrag auf Einreise in die USA, da die Familie seiner Mutter für ihn bürgen konnte. So reiste er im Sommer 1940 über Yokohama, Japan, und Pearl Harbor, Hawaii in die USA. Er wurde sehr bald in die Armee eingezogen, erhielt übereilt die amerikanische Staatsangehörigkeit und reiste schon am 12. Dezember 1942 mit einem Truppentransport nach Großbritannien. Von dort aus nahm er am 6. Juni 1944 an der Invasion in der Normandie teil und kämpfte in Deutschland auf Seiten der Alliierten bis zur Befreiung 1945.
In die USA zurückgekehrt, hatte er endlich die Möglichkeit, die Einreise seiner Familie aus China in die Vereinigten Staaten von Amerika zu beantragen. Und wieder gelang ihm das Unfassbare: Auf Grund seiner Verdienste in der Armee wurde die gesamte Familie auf Staatskosten nachgeholt!

1947 beginnt also für die Familie Eis ein neues Leben. Leopold verbrachte seine letzten Jahre in einem Altersheim; Leah war voller Tatendrang und zog nach Chicago. Sie wurde 94 Jahre alt. Max und Familie nahmen den Antiquitätenhandel wieder auf. Max heiratete bald ein zweites Mal. 1950 wurde seine Tochter Andrea geboren.
(Zusammenfassung aus: Maurice Eis: „My Memoir 1914-2004“)
Jetzt werde ich endlich mit meiner Familie über unsere Vergangenheit sprechen!

Andrea Jacobs (62) kam nach Frankfurt in Begleitung ihres Lebensgefährten Richard Slavett (72). Beide leben in Kalifornien und sind noch berufstätig. Ursprünglich hatte ihre Cousine Margie Eis Aghion, die Tochter von Moritz Eis, mitkommen wollen, musste aber leider kurzfristig wegen eines Krankheitsfalles in der Familie die Reise nach Frankfurt absagen.
Sehr bald nach unserem Kennenlernen machte ich An­drea und Richard den Vorschlag, gemeinsam nach Bingen zu fahren und dort weiter nach den Ursprüngen der Familie Eis zu forschen. Am Freitag, den 1. Juni 2012 trafen wir Herrn Frick, den Standesbeamten, der Max Eis von seinen Besuchen in der alten Heimat kannte.

Herr Frick nahm sich die Zeit, mit uns in den alten Registern zu blättern. Allein die Größe dieser Bücher und die gestochene Schrift beeindruckten uns. Allerdings ist die Archivierung für Laien verwirrend. Wir fanden eine Eintragung über Eis, Aaron, Eisenhändler, von 1766. Sein Sohn Philipp, geb. 1813, bekam im März 1847 mit seiner Frau Charlotte als erstes Kind die Tochter Carolina, Andreas Urgroßmutter. Nach dem Register war Carolina nicht verheiratet, hatte aber zwei uneheliche Kinder: Rosa, geboren am 13. Juni 1871, und Leopold, geboren am 25. November 1873.
Leopold Eis ist der Vater von Max, Moritz und Martha, der nach Frankfurt ging und über Schanghai mit seiner Familie die USA erreichte. Dort starb er 86-jährig im Jahre 1959.

Nach diesem spektakulären Fund erzählte uns Herr Frick noch mehr über die Bedeutung der jüdischen Bewohner Bingens in der Vergangenheit. Er berichtete uns, dass der gut florierende Weinhandel in Bingen zu großen Teilen auf dem Geschick der jüdischen Mitbürger beruhte. Besonders im 19. Jahrhundert waren sie als bedeutende und beliebte Bürger der Stadt anerkannt. Sie bereicherten das Leben durch vielfältige kulturelle Impulse und nahmen auch an christlichen Traditionen teil. Ein Heimatforscher erinnert sich, dass ein Vorfahre der Familie Eis Kommandant der Binger Kleppergarde, einer Fastnachtsgarde, war.

Und doch blieb die jüdische Gemeinde in der Zeit der Nationalsozialisten nicht vor der Verfolgung verschont. Viele der ca. 700 jüdischen Bewohner erkannten die Gefahr und gingen rechtzeitig ins Exil. Die verbliebenen 152 wurden 1942 deportiert. Bis auf zwei Personen starben alle in Vernichtungslagern, so auch Leopold Eis (62) und seine Frau Hedwig (62).

Nach dem Besuch im Archiv liefen wir gemeinsam durch die Rupertusstraße und betrachteten besonders das Haus Nr. 4, das frühere Wohnhaus der Familie Eis. Nach Auskunft des jetzigen Besitzers lag diese Straße früher außerhalb der Stadtmauer und war zur Zeit der römischen Besatzung ein Friedhof. Dies belegen Funde im Garten.

Wir wanderten gemeinsam bergan, am christlichen Friedhof vorbei, wo wir den Schlüssel für den jüdischen Friedhof ausleihen konnten, und erreichten schließlich hoch oberhalb der Stadt mit Blick über das Rheintal die Umzäunung des jüdischen Friedhofs. Er besteht seit fast 500 Jahren und hat ca. 1.000 Gräber. Das neue Tor führte uns gleich zu den neuen Gräbern des 19. und 20. Jahrhunderts mit Inschriften in deutscher Sprache. Die Gräber des alten Teils haben hebräische Inschriften. Mit großer Neugierde und einer gewissen Anspannung studierte Andrea die Grabsteine und war sehr erfreut, als sie das Grab eines Großonkels, Adolf Eis (1848-1923), und dessen Frau Judith (1848 – 1919) gefunden hatte.

Andrea sagte, nun könne sie sich vorstellen, dass ihr Vater als Kind diesen Weg mit den Großeltern hochspaziert sei und die Gräber der Familie besucht habe. Mit diesen neuen Gefühlen und Erfahrungen wolle sie endlich anfangen, mit ihrer Familie über die Vergangenheit der Familie Eis zu sprechen.

Auf Wiedersehen im nächsten Jahr

Andrea hofft darauf, in naher Zukunft mit ihrer Schwester Carol Fels und ihrer Cousine Margie Eis Aghion im Rahmen des Besuchsprogramms wiederzukommen. Bei dieser Gelegenheit würde sie gern erleben, dass ein Stolperstein vor dem Haus in Bingen verlegt wird. Inzwischen hat Andrea die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt.

Andrea formuliert in ihrem Dankesbrief, dass der Besuch in Frankfurt für sie ein einmaliges Abenteuer gewesen sei. Vor der Reise konnte sie nicht einschätzen, ob das Programm ihr mehr bieten würde als eine interessante Reise in die Heimatstadt ihrer Vorfahren. Aber die Besuchswoche, so schreibt sie, habe alle ihre Erwartungen bei weitem übertroffen! Besonders die Suche nach den Spuren ihrer Vorfahren in Bingen empfand sie als „mystisch, spirituell und sehr persönlich“.

Andrea ist auch dankbar über die vertraute Beziehung, die wir beide in dieser kurzen Zeit miteinander entwickelt haben. Vom ersten Moment an hatten wir einen sehr guten Draht zueinander. So waren die Tage ihres Besuchs auch für mich ein sehr bewegendes Erlebnis. Ich freue mich schon auf weitere Besuche der Nachkommen von Max und Moritz Eis aus Frankfurt.