KURZBIOGRAPHIE
Reni Hanau
Teilnahme am Besuchsprogramm im Jahr 2010
Kindheit:
1933 in Fulda/Hessen geboren, Rufname Reni. Ihre Kindheitsjahre verbringt sie in Rhina (heute Ortsteil von Haunetal), Nordhessen, wo der Vater Lehrer in der jüdischen Gemeinde ist.
Eltern:
Berthold Katz und Irma Katz, geb. Oppenheim
Am 9. November 1938
erlebt Reni, wie die jüdische Synagoge in Rhina angezündet wird und ihr Haus mit abbrennt. Ihr Vater und alle jüdischen Männer werden aus dem Dorf gejagt und nach Buchenwald gebracht.
Flucht:
1939 flieht Reni mit den Eltern nach London; wegen Ausbruch des Krieges werden sie als „Enemy Aliens“ interniert.
Im September 1940 Ausreise nach New York/USA.
Leben in den USA:
Reni studiert und wird Lehrerin, heiratet Walter Hanau und bekommt zwei Söhne.
Reni Hanau arbeitet mit dem Museum of Jewish Heritage in N.Y. zusammen, wo sie an Jugendbegegnungen teilnimmt und als Zeitzeugin auftritt.
Besuche in Deutschland:
2005 besucht sie die Orte ihrer Kindheit in Rhina und Frankfurt
2010 nimmt sie am Besuchsprogramm der Stadt Frankfurt teil und kommt als Zeitzeugin an die Ernst-Reuter-Schule.
Quellen:
- Reni Hanau, Rhina revisited, in: Kristallnacht, A Program of Remembrance 10, 2008
- Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt (PJLF): Filmaufnahme von Schülern am 7.6.2010: Gespräch mit Reni Hanau in der 12e an der Ernst-Reuter-Schule 1
Fotos:
Privatbesitz, Fotos von dem Zeitzeugengespräch in der Schule: Angelika Rieber
Text:
Ingrid Bruch
Reni Hanau
Meeting Hate with Humanity
von Ingrid Bruch
Reni Hanau wird am 26.8.1933 als Renate Sara Katz in Fulda/Hessen geboren. Von der Familie wird Renate Reni genannt und seit ihrer Hochzeit mit Walter Hanau im Jahr 1954 heißt sie Reni Hanau. Ihre Kindheitsjahre verbringt sie in Rhina (heute: Gemeinde Haunetal), Nordhessen, wo der Vater Lehrer in der jüdischen Gemeinde ist. Am 9. November 1939 muss Reni miterleben, wie die jüdische Synagoge in Rhina angezündet wird, und wie ihr Haus, das direkt daneben steht, mit abbrennt. Der Vater und alle jüdischen Männer werden aus dem Dorf gejagt und nach Buchenwald gebracht. Die Familie verliert all ihren Besitz und Mutter und Tochter fliehen nach Frankfurt, wo sie bei den Großeltern unterkommen. Laut Verordnung werden alle jüdischen Bürger von Rhina gezwungen, den Ort bis 31.Dezember 1938 zu verlassen.
Nach einigen Wochen kehrt der misshandelte Vater zurück und es gelingt ihnen, eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung für England zu erhalten. 1939 erreicht die Familie London; wegen Ausbruch des Krieges werden sie jedoch bald zu „Enemy Aliens“ erklärt und in ein Internierungslager auf der Isle of Man gebracht. Im September 1940 erreichen sie New York, wo der Bruder von Renis Mutter bereits lebt.
„Kristallnacht in Rhina“
In Rhina (heute: Haunetal) waren seit Jahrhunderten Juden ansässig; seit der Vertreibung der Juden aus Fulda bildeten sie einen großen Teil der Bevölkerung der Kleinstadt. Renis Vater wurde als Lehrer der jüdischen Gemeinde nach Rhina versetzt, was ihn zunächst nicht begeisterte, da er aus Rhina kam und man ihn dort noch als Kind kannte.
Rhina bedeutet auf Hebräisch Freude. Renis Kindheit jedoch war alles andere als freudig, da die Eltern ihr keine sichere und behütete Kindheit bieten konnten.
Reni erinnert sich noch heute an die alltäglichen Diskriminierungen von Juden. So wurde es ihnen verboten, ein Radio zu besitzen oder auch nur Radio zu hören. Sie bekamen neue Ausweise mit neuen Namen, Reni hieß ab da Reni Sara Katz.
Eines Tages als die Familie von einem Besuch bei den Großeltern zurückkam, mussten sie feststellen, dass bei ihnen eingebrochen und einiges zerstört worden war. Reni fand ihre Lieblingspuppe mit abgerissenem Kopf im Puppenbettchen und bekam Angst. Die Eltern gingen nicht zur Polizei, denn sie wussten, dass sie dort keine Hilfe erwarten konnten.
Das schlimmste Erlebnis, das sie nie vergessen konnte, war die sogenannte „Kristallnacht“ vom 9. November 1938. Reni kann sich noch heute an den Lärm und das Geschrei in jener Nacht erinnern. Ihr Haus wurde mit Steinen beworfen und sie wurden herausgeholt. Alle Juden mussten sich gegenüber der Synagoge versammeln und zuschauen, wie diese angezündet wurde. Die Flammen zerstörten die wertvolle Thora und die heiligen Bücher. Die Feuerwehr erschien nur, um die nicht-jüdischen Häuser zu schützen. Ihr eigenes Haus, das direkt neben der Synagoge stand, ließ die Feuerwehr mit abbrennen.
Als das Feuer endlich niedergebrannt war, wurden alle jüdischen Männer zwischen 18 und 60 Jahren zusammengetrieben und aus dem Ort gebracht. Renis Vater, der eine wichtige Funktion in der Gemeinde hatte, musste den Fußmarsch aus dem Dorf anführen. Ihm wurde unter Waffengewalt ein Hut aufgezwungen und er bekam einen Besen in die Hand gedrückt. Erst nach einigen Tagen erfuhr die Mutter, dass er nach Buchenwald gebracht worden war, wo er für einige Wochen inhaftiert wurde. Auch der Großvater kam nach Buchenwald; als Besitzer des Eisernen Kreuzes für seine Verdienste im Ersten Weltkrieg hätte dieser nie gedacht, dass ihm je solch eine Demütigung widerfahren könnte.
Reni in Frankfurt
Mit den wenigen Kleidern, die sie auf dem Leib hatten, machten sich Reni und ihre Mutter auf den Weg nach Frankfurt, wo sie bei den Großeltern wohnen konnten. Sie lebten dort einige Wochen, in denen Reni unter Alpträumen litt. Sie wäre gerne in den naheliegenden Zoo gegangen, aber die Mutter sagte immer nur: „Du bist jüdisch!“ – denn es war Juden verboten, den Zoo zu besuchen. Ebenso durfte sie nicht in den Zirkus, nicht ins Kaufhaus und nur zu bestimmten Zeiten aus dem Haus gehen. Die Großeltern väterlicherseits waren ebenfalls nach Frankfurt geflohen, das zur Stadt der Flüchtlinge wurde.
Die Mutter wollte Deutschland möglichst schnell verlassen und beantragte eine Wartenummer für die Ausreise in die USA, da ihr Bruder bereits dorthin emigriert war. Doch das Warten zog sich hin, nach langem Kämpfen schafften sie es schließlich, wenigstens eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsgenehmigung für England zu bekommen, eine Arbeitserlaubnis wurde ihnen aber verweigert. Im Sommer 1939 gelang ihnen schließlich die Flucht nach England. Zuvor mussten sie jedoch eine Vermögensabgabe an den deutschen Staat zahlen und ihren letzten Schmuck abgeben.
Reni hat ihre Großeltern väterlicherseits, die in die Zobelstraße im Frankfurter Ostend gezogen waren, nie wieder gesehen, sie sind 1941 in Frankfurt gestorben und auf dem jüdischen Friedhof beerdigt. Reni hat 2005 die Gräber besucht und erst danach erfahren, dass ihre Großmutter keines natürlichen Todes gestorben ist, wie sie immer gedacht hatte, sondern 1941 Selbstmord begangen hatte, um der Deportation nach Theresienstadt zu entgehen.
Die Großeltern mütterlicherseits konnten in die USA zu fliehen. Die Großmutter ist jedoch früh gestorben und der Großvater hatte mit seinen 63 Jahren in den USA große Mühe, Englisch zu lernen. Er arbeitete in einer Fabrik und musste, wie er sagte, „sein Geld sauer verdienen“.
Emigration nach England und die USA 1939/40
Völlig mittellos landeten Reni und ihre Eltern 1939 in einem möblierten Zimmer in London. Es war die Zeit des Kriegsbeginns und Reni erinnert sich an Bombardierungen, Gasmasken und Luftschutzkeller. Nach ein paar Monaten wurde der Vater als Staatsbürger eine Feindeslands („Enemy Alien“) plötzlich abgeholt – die Mutter belastete dies sehr, sie bekam Herzprobleme, denn sie hatte Angst, dass die Familie wieder getrennt würde. Von der Vermieterin wurde die Mutter daraufhin als Lügnerin und Simulantin denunziert – sie sei zu jung, um Herzschmerzen zu haben. Da Reni ein Kind war, wollten die englischen Behörden sie aus London evakuieren, um sie vor den Bomben zu schützen, aber die Mutter weigerte sich, sich nun auch noch von ihrer Tochter zu trennen.
Nachdem ihre Ausweise mit dem Stempel „Enemy Alien“ versehen worden waren, brachte man die Familie schließlich in ein Internierungslager auf die Isle of Man. Frauen und Männer wurden getrennt untergebracht und durften sich wöchentlich nur einen Brief schreiben. Auf der Isle of Man mussten wegen überfliegender Bomber die Fensterläden ständig geschlossen gehalten werden. Nach einigen Monaten wurde ihnen endlich die Ausreise in die USA gestattet, denn der Bruder von Renis Mutter bürgte für die Familie. Als „Enemy Aliens“ wurden sie mit einer großen Polizeieskorte zum Schiff gebracht.
Bei ihrer Ankunft in New York holte der Onkel sie am Schiff ab und es wurde sogar ein Pressefoto gemacht, das Reni als die jüngste Kriegsgefangene zeigt, die je die USA erreicht hatte.
Ganz arm, mit nur 7 Dollar, zogen sie in ein möbliertes Zimmer mit Kochplatte zu Verwandten. Doch hier in den USA durften sie arbeiten: Da die Mutter in Deutschland eine Lehre als Putzmacherin gemacht hatte, fand sie bald Arbeit in einer Fabrik und konnte die Familie ernähren. Der Anfang war sehr schwer und die Lebensbedingungen hart. Als dann beide Eltern eine Arbeit hatten, konnten sie sich eine eigene Wohnung leisten. Sie lebten in einem Viertel, in dem es viele deutsche Migranten gab und fanden Freunde dort.
Reni hatte in Europa noch keine Schule besucht – aber sie hatte das Glück, dass ihr Vater Lehrer war und ihr schon lesen beigebracht hatte, so durfte sie nun gleich in die zweite Klasse. Dennoch fühlte sie sich sehr fremd in den USA, sie trug andere, europäische Kleidung, musste English lernen und wurde als Deutsche angesehen.
Reni bedauert es aufgrund der schwierigen und unsicheren Verhältnisse Einzelkind geblieben zu sein. Viele ihrer aus Deutschland geflüchteten Bekannten und Freunde hatten ebenfalls nur ein Kind, weil es schon schwer genug gewesen sei, mit nur einem Kind zu überleben. Die Lücke füllen heute ihre vielen Freunde. Ihren Mann Walter lernte sie in der deutschen Exilgemeinde von Washington Heights in Brooklyn kennen. Ironischer Weise wurde diese neue Nachbarschaft wegen der vielen deutschen Flüchtlinge das ‚Vierte Reich‘ genannt.
Insgesamt ist sie sehr dankbar für die Möglichkeiten, die ihr USA boten. So konnte sie nach Abschluss der Schule kostenlos am New York City College studieren und Lehrerin werden. 1954 heiratete sie Walter Hanau und bekam zwei Söhne, mittlerweile hat sie sieben Enkelkinder und sechs Urenkel. Reni unterrichtete über 30 Jahre lang im New Yorker Schulsystem und konnte sich immer wieder begeistern, wenn sie sah, wie Kinder nach einem Jahr Schulbesuch mit dem Lesen begannen. Nach ihrer Pensionierung hat sie russische Migranten in Englisch unterrichtet.
„Rhina revisited“
2005 hat Reni Hanau zusammen mit ihrem Mann Walter, ihrem Sohn Stuart und dessen beiden Töchtern Rhina und Frankfurt besucht. In Rhina hat sie mit Zeitzeugen gesprochen und das verfallene und leerstehende Haus ihrer Großeltern gesehen, was sie traurig stimmte. Die Feuerwehr steht jetzt da, wo ihr Elternhaus war. Anstelle der Synagoge gibt es ein Dorfgemeinschaftshaus mit einem Hinweisschild auf die frühere Synagoge. Bevor sie zurück nach Frankfurt fuhren, besuchte sie das Grab ihres Onkels auf dem alten jüdischen Friedhof in Haunetal. In Frankfurt hat sie dann auch mit ihrer Familie die Gräber der Großeltern besucht.
Obwohl die Pogromnacht von 1938 Renis Leben in Deutschland zerstört und sie gezwungen wurde, Deutschland zu verlassen, ist sie heute nicht verbittert. Sie setzt dem Hass, den sie erfahren hat, ihre Menschlichkeit entgegen. Engagiert tritt sie bis in die Gegenwart für Menschenrechte, Demokratie und Freiheit ein und sucht das Gespräch mit jungen Leuten.
Besuch an der Ernst-Reuter-Schule
2010 hat Reni Hanau im Rahmen des Besuchsprograms zusammen mit ihrem Ehemann Walter Hanau das Oberstufengymnasium der Ernst-Reuter-Schule besucht. Die Lehrerinnen und Lehrer waren beeindruckt von ihrer positiven Ausstrahlung und Persönlichkeit. Ingrid Bruch unterrichtete damals als Klassenlehrerin die 12e, deren Schüler und Schülerinnen in der großen Mehrheit einen Migrationshintergrund haben; zum Teil haben ihre Eltern selbst Krieg, Flucht und Vertreibung erlebt.
Reni war fasziniert und überrascht von der besonders vielfältigen Zusammensetzung der Klasse. Ihr engagiertes Eintreten für Vielfalt und Respekt für den Einzelnen kam bei den Schülerinnen und Schülern gut an und die Geschichte ihrer Diskriminierung löste bei ihnen Mitgefühl und Trauer aus, sowie die Bereitschaft, sich gegen Rassismus zu engagieren.
Zeitzeugin im Jewish Heritage Museum New York
Reni Hanau arbeitet seit Jahren mit dem Museum of Jewish Heritage in Manhattan zusammen. Hier führt sie durch das Museum und engagiert sich in Gesprächen mit Jugendlichen gegen Rassismus, für Toleranz und Zivilcourage. Hierbei ist ihr der Dialog zwischen den sehr heterogenen Jugendgruppen das Wichtigste. Im Museum kommen auch jüdische und afroamerikanische Jugendliche zu Gesprächen zusammen. Sie tritt als Zeitzeugin auch an Schulen und Universitäten auf und erzählt ihre Geschichte. Ihr Motto bei all diesen Begegnungen ist:
„Meeting Hate with Humanity“
Auch der beeindruckende Besuch an der Ernst-Reuter-Schule stand unter diesem Motto und hat die Jugendlichen sehr bewegt. Für die Beteiligten wurde am Ende deutlich, dass Jugendliche in ‚Mainhattan‘ (Frankfurt) denen in Manhattan gar nicht so fern sind, was die Vielfalt und Heterogenität betrifft.