KURZBIOGRAPHIE

Ralph Gomar
geb. 1927 in Frankfurt am Main als Rolf Martin Goldmeier
1945 Namensänderung in Ralph Gomar
Teilnahme am Besuchsprogramm 2003

John Goldmeier
geb. 1928 in Frankfurt am Main als Hans Ludwig Goldmeier

Eltern:
Isidor Goldmeier und Erna Goldmeier geb. Lippman

Bruder:
Hans Ludwig Goldmeier, geb. 1928

Adresse in Frankfurt:
Letzte Adresse in Frankfurt: Arndtstraße 25
Der Vater ist Teilhaber eine Weingroßhandlung in der Neuen Rothofstraße 23

Schule:
Besuch mehrerer Schulen u.a. der Varrentrappschule
Besuch des Philantropins von 1936 bis 1939

Verfolgung und Emigration:
Emigration: 1939 im Alter von 12 und 10 Jahren nach England im Rahmen eines Kindertransports
Unterbringung beider Jungen in einer jüdischen Pflegefamilie
Wegen der Bombenangriffe Evakuierung nach Nordengland auf eine Farm in Yorkshire
1945 emigrieren Mutter und beide Söhne nach Brooklyn/New York (USA)

Berufliche Laufbahn:
Ralph Gomar:
Einsatz als US-Soldat in Deutschland
Studium
Börsenmakler in New York
John Goldmeier:
Studium
Einsatz als US-Soldat in Frankreich
Professor für Sozialarbeit in Baltimore, Maryland


Quellen:
Ralph Gomar, Perspectives of the Past. An Autobiograhical Sketch, 1991.
John Goldmeier, Memoirs, Part 1, 2000.
Hessisches Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden

Fotos:
Ralph Gomar und John Goldmeier privat

Recherchen:
Ingrid Bruch und Angelika Rieber

Text:
Ingrid Bruch

Ralph Gomar und John Goldmeier

Mit dem kleinen Bruder nach England

von Ingrid Bruch

Ralph Gomar wird 1927 als Rolf Martin Goldmeier in Frankfurt geboren. Seine Eltern sind Isidor Goldmeier und Erna Goldmeier, geborene Lippman. Der Vater betreibt gemeinsam mit seinem Bruder Jakob eine Weingroßhandlung in der Nähe der Oper. Als die Ausgrenzung und Verfolgung von Juden in den 30er Jahren kontinuierlich zunimmt, muss Rolf mehrmals die Grundschule wechseln, bis er ab 1936 das Philanthropin besucht. 1939 schicken die Eltern Rolf (11) zusammen mit seinem kleineren Bruder Hans (10) im Rahmen der Kindertransporte nach England, wo beide in einer Pflegefamilie untergebracht werden. Wegen der Bombenangriffe werden die beiden Jungen mit vielen anderen englischen Kindern nach Yorkshire evakuiert, wo sie auf einer Farm aufgenommen werden.

Den Eltern gelingt es zwar, ihnen 1939 nach England zu folgen, doch beide Jungen müssen getrennt von den Eltern leben, die in London ums Überleben kämpfen müssen. Der Vater stirbt 1941 und die Mutter emigriert 1945 gemeinsam mit beiden Söhnen in die USA, wo diese zur amerikanischen Armee gehen. 1945 und 1946 wird Ralph als Soldat nach Deutschland geschickt und kommt dabei in das zerstörte Frankfurt.

Kindheit in Frankfurt

Ralph wird 1927 in Frankfurt in eine gutsituierte Familie geboren. Der Vater Isidor ist bereits 47 und hat sich in Frankfurt zusammen mit seinem Bruder Jakob mit viel Arbeit eine gutgehende Weingroßhandlung in der Rothofstraße aufgebaut. Die Brüder liefern feine deutsche Weine an ein Kaufhaus in Frankfurt und an mehrere in Berlin. Darüber hinaus haben sie nach Belgien und England expandiert, wo es ebenfalls eine Nachfrage nach deutschen Weißweinen gibt. Der Sohn von Jakob, Justin, hat die Handelsvertretung in London übernommen.

Rolfs Mutter ist 23, kommt aus Mainz, besitzt eine gute Schulbildung und hat vor der Ehe in einer Bank gearbeitet. Sie ist kulturell interessiert und nimmt die Kinder zu Veranstaltungen in die Oper mit. 1928 wird der Bruder Hans geboren und die Familie zieht bald danach in das Haus der Großmutter in die Arndtstraße, wo sie mehr Platz hat. Der Vater ist geschäftlich viel unterwegs, die Mutter und die Großmutter kümmern sich um den Haushalt.

Ein Kindermädchen hilft ihnen bei der Arbeit. John (Hans) erinnert sich, wie schön es war, mit dem Vater und dem Bruder gemeinsam in die Synagoge zu gehen. Manchmal gingen sie anschließend ins Büro des Vaters, wo dieser die Post durchsah. An anderen Tagen durften sie mitkommen, die Angestellten kennenlernen und bei Weinproben zusehen.

Beide Eltern waren religiös und an den Feiertagen sei der Vater immer zuhause geblieben, um diese mit der Familie zu feiern. Die Mutter sei aber weniger rituell ausgerichtet gewesen und habe die Kinder nie reglementiert. Großmutter und Mutter hätten sich liebevoll um die Erziehung und Bildung der Söhne gekümmert.

Ein Sturm braut sich zusammen

John (Hans) schreibt in seinen Memoiren, dass er bereits im Grundschulalter von einem anderen Kind zu hören bekommt, dass sie nun keine Deutschen mehr seien, denn sie hätten keine Flagge auf dem Balkon. Die Familie muss 1933 wie alle anderen Frankfurter die schwarz- rot- goldene Deutschlandfahne einrollen denn als Juden dürfen sie die neue Fahne nicht aufhängen. Hans und Rolf sind gekränkt, wenn sie von Mitschülern hören, dass sie nun nicht mehr dazu gehören.

Rolf besucht die Varrentrappschule und muss dort die Erfahrung machen, dass alle jüdischen Kinder als beste Note eine Drei bekommen. Er hat den Eindruck, dass jüdische Kinder nicht bessere Noten haben durften als deutsche Kinder. Beide Jungen fühlen sich ausgegrenzt, sie werden oft gehänselt und auf dem Schulweg bedroht. Sie versuchen Schlägereiern, so gut es geht, aus dem Weg zu gehen. Einmal wird Hans von anderen Jungen auf dem Schulweg überfallen und sein Fahrrad, auf das er so stolz war, wird demoliert.

Rolf muss aufgrund immer weiterer Ausgrenzung von jüdischen Kindern mehrmals die Grundschule wechseln und erst 1936 bis 1939, während er das Philanthropin besucht, fühlt er sich sicherer, obwohl der Schulweg nun länger und gefährlicher ist. Sein Bruder Hans kommt 1938 ebenfalls auf das Philanthropin.

1936 emigriert Carl, der Bruder der Mutter, in die USA, und seine Mutter, Rolfs Großmutter Sophie, besucht ihn 1937 dort. Sie kommt aber wieder nach Deutschland zurück, um den Rest der Familie zur Emigration in die USA zu überreden. Aber Isidor Goldmeier zögert, denn er will sein Geschäft nicht aufgeben und seinen Besitz nicht zurücklassen. Erst als die Nazis sein Geschäft ,,Goldmeier & Brüder“ in Frankfurt 1938 arisieren, beginnt er, die Flucht zu planen. John berichtet in seinen Memoiren, dass der Vater zusammengebrochen sei und er ihn zum ersten Mal in seinem Leben hat weinen sehen. Das Lebenswerk des Vaters, seine Firma, wird ihm weggenommen. Er versucht nun, Grundstücke und das Haus zu verkaufen, um davon die Emigration in die USA zu bezahlen. Die Ausreise in die USA sollte ihm aber nicht mehr gelingen.

Kindertransport nach England

Cousin Justin, der in London die Weinhandlung vertritt, ist nun ein Glückfall für die Familie, denn er kann einem Teil der Goldmeiers helfen. Um die gesetzlichen Voraussetzung für die Ausreise der Kinder zu erfüllen, sucht und findet er eine Pflegefamilie für beide Jungen. Großbritannien erlaubt 10 000 jüdischen Kindern die Einreise, und Rolf und Hans dürfen, im Rahmen dieser Quote, als Kindertransportkinder, Deutschland verlassen. 1939 reisen Rolf und Hans unter Aufsicht des ‚Refugees Children’s Movement‘ nach England aus.

Ralph erinnert sich an die Vorbereitungen: Vor der Reise müssen beim Finanzamt Gebühren für Unbedenklichkeitsbescheinigungen bezahlt werden. Bargeld dürfen sie nur in einem Gegenwert von etwa 5 Dollar pro Person mitnehmen. Da nur ganz wenig Reisegepäck erlaubt ist, kleidet die Mutter die Jungen neu ein. Jeder Junge trägt Kleidung in zwei verschiedenen Größen übereinander. Diese Ausstattung soll ihnen durch die Jahre in England helfen. Ralph erinnert sich an die Schilder auf ihren Mänteln mit dem Namen ihres Cousins Justin Goldmeier, der sie am Flughafen Croydon abholen sollte.

Ankunft in England

Beide Jungen haben keine Angst, sind aber sehr aufgeregt bei der Abreise, da sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem Flugzeug fliegen und in eine unbekannte Pflegefamilie nach England kommen sollen. Die Jungen fliegen mit einer belgischen Fluglinie ab Frankfurt, Sabena Airline, mit einem Stopp in Brüssel. Die Großmutter ist gegen einen Lufthansa Flug, da diese, ihrer Meinung nach, Hitlers Militarisierungspläne unterstütze. Beide Jungen haben bereits fleißig Englisch gelernt und dürfen sofort die englische Schule besuchen. Die jüdische Familie Wolfson, bei der sie leben, hat keine eigenen Kinder und nimmt die Jungen gerne auf. Diese fühlen sich wohl und sie lieben die West Park Central School in Sunderland. Hier freuen sie sich besonders über die neuen Schuluniformen.

Leider bricht vier Monate später der Krieg aus, und wegen der Bombenangriffe müssen alle Schüler aufs Land evakuiert werden. Rolf und Hans werden nach Bellerby, in den Norden von Yorkshire gebracht, ohne zu wissen, wo ihre Eltern sich aufhalten. Zum ersten Mal fühlen sie sich verlassen und allein. Als sie in einem Bus voll mit evakuierten Kindern auf dem Marktplatz in Bellerby ankommen, versammeln sich die Dorfbewohner, um die Kinder aufzunehmen. Rolf und Hans wollen unbedingt zusammen bleiben, was ihre Situation erschwert. Ralph kann sich an das Geflüster und Raunen erinnern, als die Dorfbewohner erfahren, dass sie deutsche Kinder sind. Keiner will sie haben, und sie bleiben lange auf der Mauer sitzen, bis alle Kinder verteilt sind. Dann endlich hören sie die Stimme von Mrs. Scott, die ruft, dass sie beide Jungen nehme.

Auf der Farm Manor House in Bellerby/Yorkshire

Die Scotts besitzen die größte und älteste Farm in Bellerby mit viel Land und Viehbestand. Sie haben fünf eigene Kinder und behandeln Rolf und Hans gut. Mrs. Scott ist sehr mütterlich und kümmert sich um die beiden Pflegekinder wie um ihre eigenen.

Das Leben auf der Farm ist sehr einfach, aber sie haben genug zu essen, gehen zur Schule und spielen mit den Kindern der Scotts. Vor allem sind sie hier sicher vor den Bomben und können die Natur genießen. Am Nachmittag nach der Schule hat jedes Kind eine Aufgabe auf der Farm zu erledigen.

Ralph denkt gern an die Hühner, für deren Futter und Stall die Jungen verantwortlich waren, was ihnen großen Spaß gemacht habe. Rolf und Hans, die sich jetzt Ralph und John nennen, leben etwa zweieinhalb Jahre zusammen auf der Farm. Während Ralph die Handelsschule in Leeds besucht, verlässt sein Bruder John die Farm, weil er auf ein Internat, die ,,Stoatly Rough School“ in Haselmere, Surrey, kommt, wo er 1945 einen Schulabschluss macht. Dies hat er seiner Mutter zu verdanken, die als Haus- und Kindermädchen in London arbeitet und über Bekannte einen Sponsor für seinen Internatsbesuch gefunden hat, der seine Schulgebühren übernimmt. Rolf hat Pech, denn seine Schule wird geschlossen, bevor er einen Abschluss machen kann.

Kriegsjahre in London

Nachdem beide Kinder über ein halbes Jahr keinen Kontakt zu ihren Eltern haben, erreicht sie in Bellerby die Nachricht, dass die Eltern kurz vor Kriegsbeginn über Holland nach England geflohen sind. Beide Eltern müssen in London in getrennten Unterkünften leben, denn die Mutter lebt und arbeitet als Kindermädchen in einem fremden Haushalt, während der Vater sich als Würstchenverkäufer durchschlägt und in einem Hostel unterkommt. Während des Bombenkrieges gegen England wird er als Firewatcher angestellt. Nie wieder würden sie als ganze Familie zusammenkommen können, denn der Vater stirbt 1941 an einem Herzinfarkt. Wegen des Krieges können die Kinder die Eltern zunächst nur selten in den Ferien sehen, da die Reise nach London teuer und gefährlich ist.

Während John seine Zeit im Internat in Haselmere verbringt, zieht Ralph, nachdem seine Schule geschlossen worden ist, nach London, um eine Arbeit zu finden. Nach einem kurzen Training arbeitet er von 1942 bis 1945 für eine Telefongesellschaft, die innerbetriebliche Systeme in Büros installiert. Er wohnt in verschiedenen Jugendherbergen und wünscht sich wegen der Bombardierungen oft nach Bellerby zurück. In seiner Freizeit geht er oft ins Theater, in die Oper und in Konzerte. Hier wurzelt seine Begeisterung für Musik und Gesang. Er belegt Kurse, um seine Stimme zu entfalten, und finanziert mit seinem kargen Gehalt eine musikalische Ausbildung.

Keine Staatsangehörigkeit

1945, als er 18 wird, ist Ralph mit seiner Lebenssituation unzufrieden, und möchte diese verändern. Es wird ihm bewusst, dass seine Bildung und Ausbildung, ohne Abschluss, unzureichend für die Zukunft ist. Darüber hinaus ist er staatenlos, denn die Deutschen haben ihm die Staatsbürgerschaft entzogen. Deswegen überlegt er sich nun, der britischen oder amerikanischen Armee beizutreten, um so eine Staatsbürgerschaft zu erwerben. Er beobachtet Soldaten im Hyde Park und findet, dass die Kaugummi und Erdnüsse kauenden amerikanischen Soldaten, die Baseball spielen, glücklicher als die britischen aussehen und weniger ärmlich scheinen. Amerika war für seine Familie ohnehin der große Traum gewesen, der wegen des Kriegsbeginns geplatzt war. So beschließt er, der US-Armee beizutreten und zusammen mit Mutter und Hans in die USA auszuwandern. Da der Krieg in Europa anhält, wird er 1945 sofort in die Armee aufgenommen und erhält, nach bestandenem Aufnahmetest und erfolgreichem Basistraining in den USA, direkt die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Ralph hat sich dafür eingesetzt, dass seine Mutter und sein Bruder mit ihm in die USA ausreisen können. Onkel Carl, der Bruder der Mutter, schickt aus New York eine Bescheinigung, dass weder die Mutter noch sein Bruder John nach der Einreise von staatlicher Unterstützung abhängig sein würden. Im Februar 1945 verlassen sie auf dem Frachter Liberty Großbritannien. Nachdem das Frachtschiff Nahrungsmittel und Ausrüstung für die amerikanischen Soldaten nach England gebracht hat, fährt es drei Wochen lang im Konvoi mit anderen Frachtschiffen, begleitet von der Royal Navy und im Zickzackkurz, um den deutschen U-Booten auszuweichen, bis nach Halifax in Nova Scotia, Canada. Von dort geht es mit dem wenigen Gepäck im Zug nach New York.

Als Besatzungssoldat in Frankfurt

Kurz nach der Überfahrt kommt Ralph zum Infanterietraining nach Augusta, Georgia, wo er aufgrund seines britischen Akzents den Spitznamen ,,Limey“, der Brite, erhält, was ihn aber nicht weiter gestört habe. Wegen seiner Deutschkenntnisse wird er im Rahmen des Military Intelligence Service als Soldat von dort sofort nach Deutschland geschickt. Seine Vorgesetzten empfehlen ihm, aus Sicherheitsgründen seinen Namen zu amerikanisieren, da der Krieg noch anhält. Er wählt die englische Version von Rolf, die er in England schon benutzte und ,,Gomar“ als phonetische Kurzform von Goldmeier. Nun ist er ein Amerikaner, der sich Ralph Gomar nennt und kein Staatenloser mehr.

Als sein Truppenschiff in Le Havre, Frankreich, anlegt, erfährt er vom Ende des Krieges. Ralph sieht es als eine Ironie des Schicksals, dass ein Güterzug ihn nun als Besatzungssoldat nach Frankfurt, in seine Heimatstadt, bringt. Als erstes besucht er dort sein Geburtshaus und das Haus, wo er bis 1939 gelebt hat, und ist erschüttert zu sehen, dass beide Häuser zerstört sind. Er macht zahlreiche Fotos von den Ruinen in seiner Heimatstadt und von seinem zerstörten Elternhaus.

Zunächst arbeitet Ralph als Dolmetscher bei Konflikten zwischen amerikanischen Soldaten und der lokalen Bevölkerung. Im Military Intelligence Headquarter soll er in seiner Funktion als Übersetzer darüber hinaus mithelfen, Kontakte zu Wissenschaftlern und Ingenieuren herzustellen, die an der Raketenentwicklung beteiligt gewesen sind. Um diese für amerikanische Entwicklungszentren in Huntsville, Houston und Palo Alto zu gewinnen, finden geheime Treffen statt, bei denen er anwesend ist. Nach dieser Tätigkeit als Übersetzer kommt er als amerikanischer Verbindungsoffizier in die französische Besatzungszone nach Baden-Baden, wo er für den Interzonenverkehr zuständig ist und Visa für die amerikanische und französische Zone ausstellt.

Ein schwerer Neubeginn in Manhattan

Mit etwa 20 Jahren wird Ralph aus der Armee entlassen und kann ein normales Leben beginnen. 1946 kehrt er nach New York zurück und zieht zu Mutter und Bruder. Hier erlebt er zunächst einen Kulturschock. Mithilfe der Verwandten gelingt es ihnen, ein gemeinsames kleines Apartment in Washington Heights in Brooklyn zu finden.

Bis 1950 genießen sie die gemeinsame Wohnung in Brooklyn, feiern wöchentlich mit Onkel Carl und dessen Frau Shabbath und lernen Freunde kennen. Sie arbeiten hart für ihren Lebensunterhalt und nehmen alle Jobs an, die sie bekommen können. Die Mutter arbeitet als Altenpflegerin, später in einer Fabrik als Sekretärin und schließlich als Hilfskraft in einer Arztpraxis.

Nach seiner Armeezeit hat Ralph viele Nebenjobs, z. B. als Diamantschleifer, Pelzhändler oder als Kellner, um sein Studium zu finanzieren. 1951 heiratet die Mutter Josef Levy, einen deutschen Juden aus Bitburg und sie ziehen zusammen in ein Stadthaus in Forrest Hills in Queens. Levy besitzt ein Uhrengeschäft, in dem beide Brüder öfter arbeiten, und Ralph erinnert sich an die Kuckucksuhren, die er dort verkauft hat. Die Angestellten von Josef Levy seien polnische Juden gewesen, die Yiddish sprachen, nur die Sekretärin habe damals Englisch gesprochen.

Der Traum vom Studium

Ralph hat als ehemaliger Soldat Anspruch auf ein Stipendium. Sein großes Problem ist jedoch, dass er aufgrund der Kriegsumstände keinen formalen Schulabschluss besitzt, der ihn zu einem Studium berechtigt. Alle seine Bewerbungen an staatlichen Universitäten werden aus diesem Grund zurückgewiesen. Ralph erzählt in seinen Memoiren, wie er durch Zufall in der New York Times von einem Experiment am Hunters College, einem Mädchencollege, liest, das die ersten jungen Männer für eine zukünftige Koedukation aufnehmen will. Zunächst wird seine Bewerbung abgelehnt, er hat dann aber Glück, als er über ein Bewerbungsgespräch die Möglichkeit erhält, als Gaststudent zu beweisen, dass er aufgrund besonderer Umstände zwar nicht den erforderten Abschluss hat, aber bei den Leistungen mithalten kann. Von den vielen Mädchen der Klasse wird er unterstützt, und er kann wegen seiner guten Fremdsprachenkenntnisse den Notenschnitt halten. So erfüllt sich sein Traum vom Studium doch noch.

Nebenbei wird ihm seine Leidenschaft für Bühne und Musik bewusst, denn er hat einen Nebenjob als Türsteher am College Theatre. Dort kann er sogar seiner Freundin gelegentlich einen freien Platz verschaffen, wenn die Vorstellungen nicht ausgebucht sind. 1950 graduiert er am Hunters College mit einem Bachelor in internationalen Beziehungen. Danach beginnt er eine Karriere als Opernsänger. Mit einer kleinen New Yorker Opernkompanie tritt er in klassischen Opern wie Don Giovanni, La Boheme oder der Zauberflöte auf und bereist die Ostküste. Konzertprogramme aus jener Zeit zeigen seine Rollen und Auftritte. Seine Begeisterung für die Musik wurde in seinen Londoner Jahren geprägt, als er seine Freizeit in Konzerten und im Royal Ballet verbracht hatte.

1952 heiratet Ralph Doritt Reichenberg und verlässt das Haus der Mutter und des Stiefvaters. In den 50er Jahren werden seine Tochter Wendy und sein Sohn Ian geboren. Das Einkommen als Sänger reicht nun nicht mehr aus, und er arbeitet nebenher im Uhren-und Schmuckgeschäft seines Stiefvaters. Um mehr zu verdienen, hat er sich schließlich als assistant broker an der Wallstreet, für 50 Dollar die Woche, beworben, und die Stelle bekommen, da er über gute Fremdsprachenkenntnisse verfügte. Nebenher hat er Kurse am N.Y. Institute of Finance belegt und es allmählich geschafft, Wertpapierhändler zu werden. 40 Jahre lang ist er dann in New York Börsenmakler gewesen und er erzählt, es habe ihm mehr Spaß gemacht, als Kuckucksuhren zu verkaufen.

Die junge Familie zieht in die Vorstadt nach Jericho, Long Island, und Ralph pendelt jeden Tag mit dem Zug die 25 Meilen nach Manhattan. 1972 lässt er sich nach zwanzig Ehejahren scheiden und zieht zurück nach New York. 1977 heiratet Ralph zum zweiten Mal und pendelt erneut auf der Long Island Railroad. In den folgenden Jahren unternimmt er viel mit seiner Frau Barbara. Beide reisen gern und besuchen über zwanzig Länder in Europa. 1991 sind sie auf den Spuren von Ralphs Kindheits-und Jugendjahren in England. Vor allem der Besuch in Bellerby rührt sie tief, weil sie mit großer Gastfreundschaft von den Nachkommen der Scotts auf der Manor Farm empfangen werden. Sie werden herzlich bewirtet und über die modernisierte Farm geführt. Erinnerungen und Fotos werden ausgetauscht. Für Ralph ist der Besuch sehr aufwühlend, da er alte Freunde und sogar seine ehemalige Lehrerin trifft. Die Wärme seiner Pflegeeltern Scott findet er auch bei deren Nachfahren.

Teilnahme am Besuchsprogramm der Stadt Frankfurt 2003

Im Juni 2003 nimmt Ralph Gomar die Einladung der Stadt Frankfurt an. Er besucht als Zeitzeuge das Kaiser-Friedrich-Gymnasium in Bad Homburg. Er berichtet den gespannt und berührt lauschenden Schülerinnen und Schülern abwechselnd auf Deutsch und Englisch, wie sich die Lebensumstände ab 1933 schleichend aber kontinuierlich für Juden verschlechtert haben, wie die Großmutter ihr Silberbesteck der Eierfrau verschenkt hat, damit es den Nazis nicht in die Hände fallen sollte. Die Großmutter versuchte, noch 1941 mit dem Schiff in die USA zu fliehen. Sie ist jedoch auf der Überfahrt gestorben, denn die nationalsozialistischen Behörden hätten ihr als Jüdin das Insulin verweigert, das sie dringend für die Zeit der Überfahrt gebraucht hätte. Sie wurde auf den Bahamas beerdigt, wo Ralph zusammen mit Barbara viele Jahre später ihr Grab besucht hat.

Obwohl Ralph viele schreckliche Dinge in seinem Leben erleben musste, ist er der Meinung, dass er Glück im Leben hatte. Zum Beispiel, dass der Krieg zu Ende war, als er in Europa ankam, dass er schließlich doch noch ohne Schulabschluss studieren konnte, und vor allem, dass er eine Mutter hatte, die in den schwierigen Kriegsjahren immer für die beiden Jungen kämpfte und sie in allem unterstützte, so gut sie konnte.

 


John Goldmeier

Auch Ralphs Bruder John studiert nach der Emigration in die USA. Er finanziert sein Studium an der Abendschule am City College New York mit einer Reihe von Nebenjobs. Er schließt das Studium mit einem Bachelor in Sozialarbeit ab und erwirbt dann einen Masterabschluss in New Orleans.

Nach Abschluss seines Studiums tritt John ebenfalls der amerikanischen Armee bei und wird in Orléans, Frankreich stationiert, wo er in seinem Beruf als Sozialarbeiter tätig ist. Von Frankreich aus bereist er Europa und besucht auch seine Heimatstadt Frankfurt.

1955 wird er als Captain entlassen und arbeitet als Sozialarbeiter in New York für das City Board of Education. 1961 heiratet er Dorothy Fried und sie bekommen einen Sohn, Barry, sowie zwei Töchter, Karen und Susan. 1966 erwirbt John an der University of Chicago einen PhD, anschließend lehrt er dreißig Jahre lang als Professor für Sozialarbeit an der University of Maryland School of Social Work. 2001 stirbt er im Alter von 73 Jahren in Columbia, Maryland.